IRONCUTTER - Die Geheimnisse der Toten. David Achord

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Ich hatte keine Ahnung, ob sie es verdient hatte oder nicht. Für einen kurzen Moment überlegte ich, ihm zu sagen, dass das vielleicht ein etwas hartes Urteil sei, aber dann kam ich zu der Einsicht, dass es sich nicht lohnte, mit ihm darüber zu streiten.

      »Was wurde denn aus ihrem Freund?«

      »Er ging nach Hause und schoss sich den Kopf weg«, antwortete ich.

      Mein Onkel nickte leicht, als wollte er damit sagen, dass er das für das einzig Richtige hielt. Er nahm noch einen letzten langen Zug von seiner Zigarette und schnippte sie dann auf die Interstate. »Brauchen wir die Schrotflinte noch?«

      »Nope. Dieses Mal ist es ein Klient«, sagte ich, während ich die Fahrspur wechselte und schnell auf achtzig Meilen beschleunigte. Er nickte zufrieden und nahm noch einen Schluck aus dem Flachmann, bevor er ihn mir zurückgab. Fünfzehn Minuten später parkte ich den Wagen vor einem Starbucks in einer Ladenzeile am südlichen Ende der Stadt.

      »Wer ist es dieses Mal?«, fragte er.

      »Ein Mann mit mehr Geld als Verstand«, antwortete ich.

      Onkel Mike grunzte. »Von denen laufen offenbar eine ganze Menge herum.«

      Almose Larkins, der es vorzog, Al genannt zu werden, war ein unscheinbarer, pummeliger Mann mit kurzen dunklen Haaren, einem festgeklebten Grinsen und einer unbekümmerten Art. Er arbeitete als erfolgreicher Vertreter einer Handelskette für Getränke und lernte, zumindest seinem Äußeren nach zu urteilen, seine weiblichen Bekanntschaften vornehmlich im Internet oder in dunklen Bars kennen. Mit einer dieser Damen war er derzeit auch liiert, und sie war der Grund, warum er mich angeheuert hatte. Er saß an einem der Außentische und lächelte, als ich mich ihm näherte.

      »Hi, Thomas«, begrüßte er mich überschwänglich, während ich mich setzte. Ich seufzte innerlich. Ich wusste, in ein paar Minuten würde er nicht mehr lächeln.

      »Hi, Al.« Ich schüttelte ihm die Hand. »Okay, ich habe deine Informationen, zusammen mit der Rechnung. Das Ganze beläuft sich auf tausenddreihundertunddrei Dollar. Für dich glatte Tausenddreihundert.« Ich hatte ihm einen Nachlass gegeben, weil ich ihn als Freund ansah, aber ich musste trotzdem irgendwie meine Rechnungen bezahlen.

      Al nickte, zückte sein Scheckbuch und füllte eilig einen der Schecks aus. Ich wartete geduldig. Als er ihn mir hinüberreichte, warf ich einen schnellen prüfenden Blick darauf, faltete ihn dann zusammen und steckte ihn in meine Tasche.

      »In Ordnung, dann fassen wir deinen Fall noch einmal kurz zusammen.« Ich langte in den Aktenordner und kramte ein Porträtfoto einer atemberaubenden arabischen Schönheit mit wallendem rabenschwarzem Haar und mandelbraunen Augen hervor.

      »Ja, das ist mein Mädchen«, sagte Al stolz. Ich nickte bestätigend und fuhr fort.

      »Seit etwa einem Monat habt ihr beide verschiedene obszöne und bedrohende Textnachrichten erhalten. Alle richteten sich gegen sie.«

      Al seufzte. »Richtig, und die Cops haben nichts dagegen unternommen«, nörgelte er. Ich legte eine kurze Pause ein, um im Kopf nach den richtigen Worten zu suchen, mit denen ich ihm erklären konnte, wieso die Cops nichts unternommen hatten.

      »Das hier sind die Kopien der Berichte aus den Unterlagen des zuständigen Detectives.« Ich zog die betreffenden Papiere aus dem Ordner und schob sie ihm über den Tisch zu. »Wie du daraus ersehen kannst, hat der Detective die Herausgabe der Telefonaufzeichnungen erwirkt.«

      Ich blätterte durch die Unterlagen und zog das entsprechende Dokument hervor. »Dieser Bericht des Mobilfunkbetreibers zeigt alle Telefonaufzeichnungen an. Du kannst sie gern in Ruhe studieren, aber im Moment möchte ich erst einmal auf den abschließenden Bericht des Detectives eingehen.« Ich schob ihm den Bericht zu und ließ ihn das Dokument überfliegen. Ganz besonders jene Sätze, die ich vorher mit einem gelben Textmarker gekennzeichnet hatte. »In ihrer Zusammenfassung kommt der Polizeibeamte zu dem Schluss, dass sämtliche Textnachrichten von einer getürkten Telefonnummer aus abgeschickt wurden«, sagte ich.

      »Und was bedeutet das?«, fragte er.

      »Das ist eine von diesen Handy-Apps, die man herunterladen kann, um seine eigene Nummer zu verschleiern und beim Angerufenen eine andere Nummer anzuzeigen. Das ist illegal, wird aber nur in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt. Ich möchte allerdings besonders auf einen Satz des Detectives hinweisen. Er bezieht sich dort auf die Vergangenheit deiner Verlobten.«

      Ich deutete auf den farbig hervorgehobenen Satz. »Das ist der Grund, warum sie den Fall zu den Akten gelegt haben.« Al las den Satz langsam, dann las er ihn noch einmal und sah mich schließlich an. Seine Verwirrung war ihm deutlich anzusehen.

      »Ich fand den Satz recht interessant, also habe ich ein paar kleine Ermittlungen angestellt.« Ich griff erneut in meine Mappe und holte einen Stapel mit etwa zwölf Berichten hervor, die von einer Büroklammer zusammengehalten wurden.

      »Was ist das alles?«, fragte er.

      »Dies sind Polizeiberichte, die deine Verlobte in den vergangenen drei Jahren angehäuft hat. Wenn du sie liest, wirst du feststellen, dass es sich dabei um verschiedene Berichte über Stalking, Belästigungen, Drohungen und Ähnliches handelt. Die Ermittler, die mit diesen Fällen betraut waren, haben schließlich jeden einzelnen der Fälle aufgrund mangelnder Kooperation des Opfers eingestellt.«

      Ich schwieg und ließ ihn für eine Minute die Berichte durchsehen. »Ich habe mich außerdem noch etwas näher mit den Textnachrichten beschäftigt«, sagte ich und zog den letzten Bericht hervor. »Sowohl die getürkte Nummer als auch die Handynummer deiner Verlobten sind stets zeitgleich am entsprechenden Funkmast eingetroffen.« Ich breitete den Bericht vor ihm aus. »Sie ist diejenige, die diese Nachrichten verschickt hat«, schloss ich mit leiser Stimme.

      Al starrte mich ungläubig an. »Hat sie das? Aber wieso?«, fragte er verwirrt. Seine Stimme klang zweifelnd und beinahe kindlich.

      »Manchmal ist es nicht leicht, das Verhalten anderer Menschen zu erklären, Al. Manche Ärzte würden vielleicht den Begriff Verfolgungswahn verwenden. Du hast mir mal erzählt, dass sie eine traumatische Kindheit hatte. Vielleicht hat das Spuren bei ihr hinterlassen, die erst jetzt zutage treten. Ich bin kein Psychiater, also kann ich nur raten. Alles, was ich sagen kann, ist, dass du, wenn du diese Frau liebst, an noch ein paar mehr Problemen zu knabbern haben wirst. Du solltest sie dringend überreden, einen Therapeuten aufzusuchen.«

      Al wusste nicht, was er darauf antworten sollte, und studierte stattdessen noch einmal die Berichte. Das Schweigen, das folgte, begann langsam unangenehm zu werden, also stand ich auf und machte mich leise vom Acker. Mein Onkel streckte mir den Flachmann entgegen, als ich in den Wagen stieg. Er war beinahe leer.

      »Musst du noch irgendwohin, bevor ich dich absetze?«, fragte ich ihn. Er schüttelte den Kopf und zündete sich eine Zigarette an. Ich tippte auf ein Symbol auf meinem Telefon. »Die Vorladung für Turnbull wurde übergeben«, sprach ich in das Gerät.

      »Mit wem sprichst du da?«

      »Ich schicke eine Nachricht an William«, antwortete ich ihm. William, war William Goldman, ein frischgebackener Anwalt, der fest entschlossen dazu schien, jedermann in Nashville zu verklagen. Nicht, dass ich mich darüber beklagen will – schließlich verdiente ich eine beachtliche Summe an jeder Vorladung, die ich auslieferte.

      »Eine Nachricht?« Mein Onkel war ein typischer Mittsechziger und hatte es nicht für nötig gehalten, mit den technischen Errungenschaften Schritt zu halten. Er grunzte angewidert: »Die meisten normalen Menschen reden am Telefon, mit einem lebenden Menschen am anderen Ende«, murmelte er.

      Ich lächelte. »Klar, wenn es Sherman wäre, würde ich persönlich mit ihm telefonieren, aber das ist sein Enkel, und mit dem kommuniziere ich hauptsächlich über Nachrichten.« Sherman war Williams Großvater. Ihn bewunderte und verehrte ich. Mit William kam ich einfach nur irgendwie klar.

      Ich setzte Onkel Mike an seinem Haus an der Vine Road Ridge ab und fuhr dann nach Hause.

      Kapitel 2


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