IRONCUTTER - Die Geheimnisse der Toten. David Achord
meine Frage musste sie verwirrt haben. Ich war kurz davor, das Gespräch erneut zu beenden.
»Ich weiß ja nicht, für wen Sie sich halten, aber man legt nicht einfach auf, wenn man einen potenziellen Klienten in der Leitung hat. Als kompetenter Geschäftsmann sollten Sie so etwas eigentlich wissen«, antwortete sie.
»Meine Teuerste, als ich Ihnen meinen Preis nannte, verriet mir Ihre Reaktion bereits alles, was ich wissen muss. Sie können sich mich nicht leisten und werden deshalb versuchen, mich herunterzuhandeln.« Wieder folgte ein Moment perplexen Schweigens. Ich goss mir in der Zwischenzeit ein Glas Wasser ein und wartete auf eine einfallsreiche Antwort von ihr.
»Junger Mann, Sie wissen gar nichts über mich«, antwortete sie eisig. Das war alles andere als einfallsreich, eher langweilig. Ich hatte wirklich Wichtigeres zu tun.
»Sie haben recht, ich weiß überhaupt nichts über Sie. Wollen wir es nicht einfach dabei belassen?« Das war nicht die erste Antwort, die mir auf der Zunge gelegen hatte, aber ich versuchte, weiterhin höflich zu bleiben.
»Ganz sicher nicht. Wir werden jetzt meinen Fall besprechen«, forderte sie.
»Ich hoffe inständig, dass es nichts mit Ihrem untreuen Ehegatten zu tun hat, denn bei Seitensprüngen ermittle ich nicht«, log ich, denn mich beschlich langsam das Gefühl, dass es genau damit zu tun hatte.
»Und wieso nicht?«, wollte sie daraufhin wissen.
Ich nahm das Telefon vom Ohr und starrte es einen Moment lang ungläubig an. Meine Güte, diese Frau wollte einfach nicht lockerlassen. Ich musste tief durchatmen, um nicht ein paar Dinge zu sagen, die ich hinterher bereuen würde.
»Madam, ich schulde Ihnen bestimmt keine Erklärung. Wenn ich jemanden um mich haben wollte, dem ich den ganzen Tag über Rechenschaft ablegen müsste, wäre ich verheiratet oder wieder bei meiner Mutter eingezogen.« Jetzt legte ich wieder auf, ohne ihre Antwort abzuwarten.
»Verdammt, das wird offenbar wieder so ein Tag.« Ich kümmerte mich noch schnell um ein paar Dinge, unter anderem, dass mein Flachmann mit Scotch gefüllt war, und fuhr dann in die Stadt.
Zwanzig Minuten später saß ich im Empfangsbereich der Goldman Anwaltskanzlei. Es war ein modernes Büro, welches das gesamte zwanzigste Stockwerk in einem Wolkenkratzer in Nashville einnahm.
Mein Hintern hatte sich kaum an das teuer aussehende Ledersofa gewöhnt, als auch schon eine überaus attraktive Frau aus einer der schwarzen Türen trat. Sie musterte mich mit ihren strahlend grünen Augen durch eine nerdig aussehende Brille hindurch, und ich tat das Gleiche, nur mit braunen Augen und ohne Brille. Ich schätzte sie auf Ende dreißig. Sie war schlank und trug ihre langen dunklen Haare zu einem unordentlichen Knoten zusammengesteckt, der von etwas zusammengehalten wurde, das wie zwei chinesische Essstäbchen aussah. Mit der kessen Brille, die auf ihrer Nase ruhte, sah sie verdammt süß aus.
»Mister Ironcutter?«, erkundigte sie sich mit einer angenehmen Stimme, in der ein Hauch von Südstaatenakzent mitschwang. Sofort stand ich auf. Sie lächelte mich freundlich an. »Ich bin Simone Carson, Shermans persönliche Assistentin.« Sie streckte mir die Hand entgegen, die ich offenbar etwas zu lange schüttelte. Sie wartete jedoch geduldig, bis ich damit fertig war, so als wäre sie es schon gewöhnt, dass sich die Männer in ihrer Gegenwart zum Affen machten.
»Wenn Sie mir bitte folgen würden?«
Und ob ich das wollte! Sie machte eine äußerst gute Figur in ihrem Sekretärinnen-Outfit. Es schmiegte sich genau an den richtigen Stellen an ihre Kurven. Ich wäre ihr überall hin gefolgt. Sie führte mich in ein Eckbüro, von dem aus man einen wundervollen Blick auf das Stadion der Titans hatte. Sherman saß hinter einem großen und mit Schnitzereien verzierten Walnuss-Schreibtisch und sprach mit einem etwa gleichaltrigen Mann. Als ich das Büro betrat, sah er auf und lächelte mich an.
»Thomas«, begrüßte er mich warmherzig. Er war ein älterer Mann, der so langsam auf die Achtzig zuging, mit einem Engelsgesicht und kahlem Kopf. Nur an den Seiten klammerten sich noch ein paar Büschel weißer Haare. Er lächelte und kniff die Augen zusammen. »Schön, dich zu sehen.« Wir schüttelten uns die Hände und er deutete auf seinen Gast.
»Das ist Richter Barrett Conway.« Richter Conway schien wie Sherman in den Siebzigern zu sein. Sein Gesicht war glattrasiert, sein kurzes graues Haar lichtete sich oben auf dem Kopf ein wenig, und er sah mich mit strahlend-blauen Augen durch eine Gleitsichtbrille mit Drahtgestell an. Auch er gab mir die Hand, während Sherman erklärte: »Wir beide kennen uns schon ewig, wir waren damals zusammen auf der juristischen Fakultät.«
Ich nickte. Sherman Goldman war seit mehr als fünfzig Jahren als Anwalt tätig, also musste ihre Freundschaft wirklich schon eine ganze Weile bestehen. Nach der Begrüßung deutete Sherman auf einen Sessel. Simone, die kurz hinausgegangen war, kam nur wenige Augenblicke später mit einer Tasse und einer Kanne zurück.
»Etwas Kaffee, Thomas?«, fragte sie. Ich nickte dankbar, sah ihr dabei zu, wie sie mir anmutig Kaffee einschenkte, und musste feststellen, dass ich sie von Sekunde zu Sekunde mehr mochte. Als sie fertig war, nahm sie neben Sherman Platz.
»Thomas, Barrett ist Richter am Konkursgericht im mittleren Bezirk von Tennessee.« Richter Conway nickte und erhob sich. Erst jetzt fiel mir auf, dass er einen Gehstock benutzte, aber es war kein gewöhnlicher Gehstock. Ich hatte schon Stöcke wie diesen gesehen. Er war aus dem Hartholz einer Esche gefertigt und ich rechnete förmlich damit, dass eine kleine Drehung am Griff eine spitze Waffe zutage fördern würde. Man konnte nie vorsichtig genug sein, dachte ich.
»Ich lasse euch dann mal allein«, sagte er und warf mir einen ernsten Blick zu. »Sie haben mich hier nicht gesehen, Thomas.« Ich nickte langsam, so als wüsste ich ganz genau, was er von mir wollte, dann gab er Sherman die Hand und ging.
»Ich habe ihm versichert, dass du die Sache diskret behandeln würdest«, erklärte mir Sherman, nachdem Richter Conway uns verlassen hatte.
»Was geht hier vor, Sherman?«, fragte ich.
»Barrett bat ich mich um einen persönlichen Gefallen und ernannte mich im Zuge dessen zum Treuhänder in einer Insolvenz Sache. Ein Chapter-Eleven-Fall.«
Simone beugte sich nach vorn und reichte mir eine dicke Akte. Der Kartenreiter wies die betroffene Firma als Robard Trucking aus – eine Speditionsfirma. Ich überflog die erste Seite, bei der es sich um eine grobe Zusammenfassung handelte. Während ich die Akte anschließend flüchtig durchblätterte, sagte ich: »Wenn ich mich recht erinnere, ist Chapter-Eleven eine Möglichkeit für Firmen, ihre Verbindlichkeiten auf Vordermann zu bringen, während die Geldgeber gleichzeitig daran gehindert werden, zu klagen.«
Sherman lächelte. »Sehr gut, Thomas.«
»Aber ich schätze, da gibt es ein Problem.«
»Für Barrett ist an der ganzen Sache etwas faul, und nachdem ich die Akte gelesen habe, muss ich ihm recht geben. Wir haben den Fall ausführlich diskutiert und dann entschieden, dich mit ins Boot zu holen.«
»Ich kann gern ein paar Vorladungen überbringen, wenn du das willst«, sagte ich.
Sherman lehnte sich in seinem Sessel nach vorn. »Vielleicht sollte ich es dir genauer erklären: Wenn eine Firma den Antrag stellt, nach Chapter-Eleven bemessen zu werden, müssen ein paar bestimmte Auflagen eingehalten werden. Dazu gehört unter anderem, dass der Hauptschuldner binnen einhundertzwanzig Tagen einen Sanierungsplan aufzustellen hat. Im Klartext heißt das: Die Firma muss einen serösen Plan ausarbeiten, wie sie die Schulden abzuarbeiten gedenkt. Die Vorsitzenden von Robard Trucking haben das jedoch bisher versäumt. Erschwerend kommt noch hinzu, dass wir glauben, dass die Direktoren der Firma bereits vor Antragstellung einige Zahlungen abgewickelt haben.«
»Und deshalb entschied der Richter, einen Treuhänder einzusetzen«, vermutete ich. Sherman nickte. »Aber, wieso dich?«
»Wie ich bereits sagte, wir kennen uns schon ewig. Wir haben einiges miteinander erlebt.« Er sagte dies auf eine Art, die deutlich machte, dass er nicht vorhatte, näher ins Detail zu gehen, und ich beließ es dabei. Ich meine,