IRONCUTTER - Die Geheimnisse der Toten. David Achord

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ich, und nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich sie wie ein notgeiler Teenager angegafft hatte, deutete ich auf Mick und Kim. »Mick, Kim, das ist Anna. Anna, das sind Mick und seine reizende Frau Kim.« Sie sagten einander kurz Hallo und dann herrschte unangenehmes Schweigen.

      Kim bemerkte es und scheuchte ihren Ehemann von dem Sofa. »Komm schon, du Fettsack, die beiden müssen offenbar etwas besprechen.«

      Sie erhoben sich, aber bevor er verschwand, sah Mick noch einmal Anna an. »Ich bin nicht wirklich fett, ich habe nur schwere Knochen.«

      Kim rief noch einmal nach ihm und dann eilte er endlich hinaus.

      Anna sah mich finster an. »Wir müssen reden.«

      Ich nickte. Ich hatte die Bedeutung dieser drei Worte auch schon in Textform verstanden, auch wenn sie dort ohne diesen Klugscheißer-Unterton hatten auskommen müssen.

      »Duke weiß, wer Sie sind.«

      Ich nickte und tat so, als wüsste ich genau, wovon sie redete, doch dann fragte ich: »Wer ist Duke?«

      Ihre Kinnlade fiel hinunter. »Er ist der Chef des Baroque Biker Clubs. Sie haben gestern mit ihm gesprochen.« Ah, der Alte. Hatte ich mir doch gedacht, dass er das Sagen hatte. Anna fuhr fort: »Der Stripklub gehört ihm ebenfalls. Letzte Nacht saßen sie in meiner Ecke und führten ein langes Gespräch, über den Prozess, hauptsächlich aber über Sie.«

      Ich legte die Stirn in Falten. »Wieso? Ich habe doch nur diese dämlichen Dokumente überbracht. Das heißt doch nichts.« Na ja, eigentlich schon. Dieser Duke konnte froh sein, wenn er wegen der Prozesskosten nicht seinen Stripklub verkaufen musste.

      »Bull glaubt, dass Sie ihn beschimpft haben, und konnte auch ein paar der anderen Biker davon überzeugen. Duke meinte, dass er sich darum kümmern würde, aber fragen Sie mich nicht, was das bedeuten soll.« Sie zuckte mit den Achseln. »Das könnte alles Mögliche heißen.«

      Als ich dieses Mal nickte, verstand ich es tatsächlich. Manche Leute haben ein dünnes Fell und sehr fragile Egos. »Ich weiß es zu schätzen, dass Sie mir das erzählen. Das hätten Sie nicht tun müssen, wissen Sie?«

      »Doch, das musste ich«, antwortete sie. Ich warf ihr einen fragenden Blick zu.

      Anna lächelte, aber auf eine ganz spezielle Weise, war es ein sehr trauriges Lächeln. »Als ich zwölf Jahre alt war, wurde mein Vater ermordet. Sie waren damals der Detective, dem man unseren Fall zuwiesen hatte. Sie schnappten die Kerle, die dafür verantwortlich waren, und sperrten sie ein. Ich dachte mir schon, dass Sie mir irgendwie bekannt vorkamen, und als ich mir dann Ihre Visitenkarte ansah und Ihren Namen las, konnte ich schließlich eins und eins zusammenzählen.«

      Ich sah sie mir daraufhin genauer an, und erst jetzt erkannte ich in ihr das zwölfjährige hagere Mädchen mit der Akne und der Zahnspange wieder. Ihr Vater hatte Marihuana und Ecstasy von Zuhause aus vertickt. Dann kamen irgendwann zwei Dreckskerle auf die glorreiche Idee, ihn auszurauben. Er wehrte sich, wurde angeschossen und verblutete schließlich vor den Augen seiner Familie auf dem Küchenboden. Das Ganze war jetzt zehn Jahre her … damals, als ich noch der absolute Überflieger gewesen war.

      »Jetzt erinnere ich mich wieder. Sie hatten eine Mutter und eine ältere Schwester. Wie geht es den beiden?« Anna sah hastig weg und ihr Gesicht verdunkelte sich. »Ach, die sind scheiße.«

      Ich musste wohl einen wunden Punkt bei ihr getroffen haben, also bohrte ich nicht weiter nach. Stattdessen zog ich meinen Flachmann hervor und nahm einen Schluck daraus, bevor ich ihn ihr anbot. Sie schüttelte höflich den Kopf. Ich sah auf die Uhr.

      »Okay, ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie mich warnen wollten, aber ich habe um fünf Uhr eine Verabredung im idyllischen Rockvale.« Anna nickte verständnisvoll, als ich mich erhob, aber ihre Enttäuschung war nicht zu übersehen. Ich bekam den Eindruck, dass sie meine Gesellschaft bewusst gesucht hatte, und an weiblicher Gesellschaft mangelte es mir seit einiger Zeit. Also traf ich eine blitzschnelle Entscheidung, als sie ebenfalls aufstand.

      »Wollen Sie mich vielleicht begleiten?«, bot ich ihr an und zeigte zu meinem Auto hinaus. »Es ist ein sonniger Tag und ich habe ein Cabrio. Wir könnten uns doch während der Fahrt auf den neuesten Stand bringen.« Sie zögerte für einen Moment, bevor sie meine Einladung mit einem freundlichen Lächeln annahm.

      Unterwegs erzählte mir Anna, wie ihr Leben seit damals verlaufen war. Wenn sie mich ansah, wirbelte der Fahrtwind ihre Haare in die Höhe. Ich ertappte mich bei dem Gedanken daran, mir vorzustellen, wie sie auf mir saß und ihre Haare auf die gleiche Weise um ihren Kopf peitschten, während sie sich in Ekstase wand. Ich versuchte, die Bilder schnell wieder zu verdrängen, und beobachtete, wie sie an meinem Radio herumdrehte.

      »Funktioniert es?«, fragte sie.

      »Klar doch. Ist ein Standard-Mittelwellen-Radio.« Sie sah mich verwirrt an, also erklärte ich es ihr. »Damals gab es solche Radios nur auf Wunsch.«

      »Oh, dann hörten die Leute damals wohl nicht so gern Musik«, antwortete sie. Ich musste lachen. Ich persönlich hielt die Musik der Fünfziger und Sechziger immer noch für die beste Musik überhaupt, aber anstatt mit ihr darüber zu diskutieren, wechselte ich lieber das Thema.

      »Wie sind Sie eigentlich Stripperin geworden?«, fragte ich sie. Sie zögerte kurz, bevor sie die Frage beantwortete.

      »Ich hatte eine Freundin, die strippte. Sie verdiente gutes Geld damit und ich dachte mir, wieso sollte ich es nicht selbst ausprobieren?«

      »Da würden mir sofort ein Dutzend Gründe einfallen«, spottete ich.

      »Sie werden mir jetzt aber keine Lektion erteilen, oder?«

      »Nope«, warf ich schnell ein und mir wurde bewusst, dass ich wohl besser meine Klappe gehalten hätte.

      »Gut.« Ein paar Meilen fuhren wir schweigend dahin und dann redete sie weiter. »Es ist ja nicht so, als ob ich vorhätte, eine Karriere damit zu machen, aber es ist gutes Geld. Ich hatte innerhalb weniger Monate mein Auto abbezahlt und gerade erst war ich mit Freunden in Vegas. Alles bar bezahlt. Das könnte ich mir mit einem Drecksjob als Kellnerin oder etwas Ähnlichem niemals leisten.«

      Ich nickte, sagte aber nichts dazu.

      »Sie verurteilen mich doch«, rief sie.

      »Überhaupt nicht.«

      »Aber Sie sagen nichts dazu.«

      »Sie haben mich doch nicht nach meiner Meinung gefragt.« Über die Jahre hinweg hatte ich gelernt, dass es seinen Grund hatte, wenn die Leute einen nicht nach seiner Meinung fragten. Meistens wollten sie diese nämlich gar nicht hören.

      Ich wechselte daraufhin das Thema. »Haben Sie einen Freund?«

      »Ja, das hatte ich, aber er ist durchgedreht, als ich ohne ihn nach Vegas gefahren bin, also habe ich ihn abgeschossen«, erklärte sie mir und grinste hämisch. »Er ist ein Cop. Vielleicht kennen Sie ihn sogar.«

      »Arbeitet er hier in Nashville?«, fragte ich. Sie nickte. Ich zuckte mit den Schultern. »Ich kenne nicht mehr viele von den jüngeren Cops. Ich arbeite schon seit einer ganzen Weile nicht mehr dort.«

      Anna sah mich fragend an. »Habe ich irgendetwas nicht mitbekommen? Sie sind gar kein Cop mehr?« Ich schüttelte langsam den Kopf. »Wieso nicht? Sind Sie im Ruhestand?«

      »Ich habe den Job an den Nagel gehängt.«

      »Wieso?«

      Ich warf ihr einen Seitenblick zu und fuhr weiter. »Ist eine lange Geschichte.«

      Sie hob ihre Hände und wackelte mit den Fingern, als würde sie mich mit einem Fluch belegen wollen. »Ooh, der Detective macht einen auf geheimnisvoll«, sagte sie mit einem sarkastischen Grinsen.

      Okay, sie wollte es offenbar nicht anders. »Meinetwegen. Also, die Geschichte geht ungefähr so: Ich lernte meine Frau kennen, da war ich ungefähr in Ihrem Alter. Ihr Name war Marcia. Wir heirateten und ein paar Jahre später wurde sie schwanger. Ungeplant, denn sie wollte gar keine Kinder.


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