Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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das sich von Fräu­lein Schank füh­ren ließ, »se­hen Sie nur, um des Him­mels wil­len – ein gan­zes Schwein­chen! Wie lieb das ist!«

      Ja, ein gan­zes klei­nes Schwein­chen lag auf der Schüs­sel, weich in Salat­blät­ter ge­bet­tet. Sorg­los sei­ne brau­ne Kin­der­nackt­heit zei­gend, schi­en es zu schlum­mern.

      »Wel­che Über­ra­schung!« mein­te Fräu­lein Schank.

      »Ja«, ver­setz­te Fräu­lein Sal­ly kurz und schob mit har­tem, rück­sichts­lo­sem Fin­ger den Kopf des klei­nen Tie­res auf den Salat­blät­tern zu­recht.

      »Nur tap­fer her­an«, er­mun­ter­te Herr La­nin die jun­gen Leu­te und stieß ei­ni­ge von ih­nen jo­vi­al in den Rücken. »Wen­den Sie sich nur an mei­ne Toch­ter. Sie – Tod­dels – Sie, Herr von Koll­hardt – wen­den Sie sich nur an Sal­ly.«

      »So­gleich, lie­ber Papa«, ent­geg­ne­te Fräu­lein Sal­ly ge­reizt. »Al­len zu­gleich kann ich nicht die­nen! Fräu­lein Kat­ter, wün­schen Sie ein Stück Fer­kel?«

      »Fast ist es scha­de, das lie­be Tier an­zu­schnei­den«, ent­geg­ne­te das alte Fräu­lein, lach­te und sah da­bei Fräu­lein Schank an, die­se aber woll­te nicht mit­la­chen.

      »Set­zen wir uns, mei­ne Her­ren!« schrie Klappe­kahl und rück­te sei­nen Stuhl ganz nahe an den Tisch her­an. »Nur kei­ne Be­schei­den­heit, das ist die schlech­tes­te Po­li­tik; auf dem Ball muss ein je­der ver­su­chen, den schöns­ten Bis­sen zu er­wi­schen – so­wohl beim Tanz so­wie beim Sou­per. Das ist kal­ter Trut­hahn, nicht wahr, Fräu­lein Sal­ly? Ah, su­perb! Ich bit­te um ein Stück; von Ih­rer Hand vor­ge­legt, schmeckt es um so bes­ser. Ein gu­tes Stück ist in un­se­rem Al­ter das ein­zi­ge, was wir von jun­gen Schö­nen be­an­spru­chen dür­fen. Wie, Dok­tor? Ah! Fräu­lein Ma­ri­ann­chen, Sie set­zen sich ne­ben mich! Su­perb! Fräu­lein Sal­ly, ich bit­te um ein Stück Trut­hahn für mei­ne Nach­ba­rin.«

      »Ma­ri­an­ne!« er­tön­te Fräu­lein Sal­lys Stim­me im schar­fen Ge­schäftston. »Wün­schen Sie auch Aspik?«

      Ma­ri­an­ne schwieg und schau­te Fräu­lein Sal­ly an­däch­tig aus ih­ren run­den Au­gen an.

      »Aspik?« wie­der­hol­te Fräu­lein Sal­ly und sprach die­ses Wort so glatt und ge­übt aus, dass es wie ein­sil­big klang; als Ma­ri­an­ne aber im­mer noch nicht ver­ste­hen woll­te, zuck­te Fräu­lein Sal­ly die Ach­seln und reich­te ihr den Tel­ler.

      »Ah, das ist Aspik?« flüs­ter­te Ma­ri­an­ne und starr­te den ro­ten Gal­lert ver­klärt an. »Ist Aspik im­mer so?« wand­te sie sich schüch­tern an den Apo­the­ker.

      »Ja – o ja!« er­wi­der­te die­ser mit vol­lem Mun­de, »im­mer – von je­her –«

      »Ge­wiss! Ich sage«, er­tön­te die ge­wich­ti­ge Stim­me des Haus­herrn, »hö­ren Sie, Dok­tor, was ich sage. Ich sage also: Es­sen ist al­ler­dings eine Ar­beit, zu der man einen ge­wis­sen Ernst mit­brin­gen muss. Es­sen rech­ne ich qua­si un­ter die Pf­lich­ten.«

      »Ich bit­te um ein we­nig Pas­te­te. Ich ken­ne mei­ne Pf­licht. Ich ver­gra­be nicht mein Pfund«, rief Klappe­kahl da­zwi­schen.

      »Nein«, fuhr Herr La­nin fort, »ins Lä­cher­li­che kann man al­les zie­hen. Aber – ab­ge­se­hen von al­len Wit­zen – ich sage: der Mensch muss es­sen. Durch das Es­sen füh­ren wir uns Le­bens­stoff zu. Das zwei­te ist: Be­we­gung. Da ver­ar­bei­ten wir den emp­fan­ge­nen Stoff. Das drit­te – sage ich – ist: Wis­sen­schaft!« Da­bei schlug er so kräf­tig auf den Tisch, dass Ma­ri­an­ne Schulz er­schro­cken zu­sam­men­fuhr. »Wis­sen­schaft! Denn den ver­ar­bei­te­ten Le­bens­stoff müs­sen wir dazu ver­wen­den, uns Wis­sen­schaft zu er­wer­ben und un­se­ren Geist zu bil­den«, da­bei mach­te Herr La­nin ein Hand­be­we­gung nach oben, als müss­te der ge­bil­de­te Geist sehr hoch aus sei­nem Kop­fe her­aus­wach­sen.

      »Ach, das sind Ihre sys­te­ma­tisch-he­gel­schen Ide­en, bes­ter La­nin«, wand­te Klappe­kahl ein.

      Herr La­nin mach­te eine wür­de­vol­le Mie­ne. Ja, sei­ne Ide­en wa­ren viel­leicht he­gelsch, er woll­te das nicht in Ab­re­de stel­len. He­gel aber, mein­te er, habe auch man­ches Gute. Das är­ger­te den Apo­the­ker. He­gel war ein Phan­tast, be­haup­te­te er, nichts wei­ter. Heut­zu­ta­ge brau­che man Po­si­ti­ves. Er – Klappe­kahl – hielt es mit Dar­win.

      »O Gott!« rief Fräu­lein Schank lei­se, und Fräu­lein Kat­ter frag­te teil­neh­mend:

      »Ist Ih­nen et­was in die falsche Keh­le ge­kom­men, lie­be Schank?«

      »Nein – aber Dar­win. Hör­ten Sie denn nicht?«

      »Pfui, pfui, der schlech­te Affe!« ver­setz­te dar­auf das alte Fräu­lein er­schro­cken.

      »Ja, ich stam­me vom Af­fen ab!« fuhr Klappe­kahl warm fort. »Ich bin stolz dar­auf, denn dass ich kein Affe bin, ver­dan­ke ich den An­stren­gun­gen mei­ner Ah­nen und – so­zu­sa­gen – mei­nen ei­ge­nen An­stren­gun­gen. Der Mensch ist ein Par­ve­nü, aber er soll sich sei­ner Ab­kunft nicht schä­men – er soll sich viel­mehr der er­run­ge­nen Stel­lung, des er­run­ge­nen Ver­mö­gens freu­en: des In­tel­li­genz­ver­mö­gens«, und der Red­ner streck­te sei­ne fla­che Hand über den Tisch, als läge das herr­li­che lan­ge Wort dar­auf und soll­te al­len ser­viert wer­den.

      »Mora­li­sches Ge­fühl und Rechts­be­wusst­sein kann sich nie­mand er­wer­ben, das wird uns von oben ver­lie­hen«, wand­te Herr La­nin mit fei­er­li­cher Be­stimmt­heit ein, wie ein Pries­ter bür­ger­li­cher Moral – der er war.

      Rosa hat­te sich dicht un­ter einen Arm­leuch­ter ge­setzt und aß. Am­bro­si­us stand schwei­gend hin­ter ihr und be­dien­te sie. Ein leich­ter Dampf, von den Spei­sen auf­stei­gend, trüb­te die Luft, und die Ker­zen hat­ten matt­gel­be Flam­men, wie Lich­ter im Ne­bel. Es war heiß im Ge­mach. Mit ro­ten Wan­gen und Au­gen­li­dern lehn­ten sich die An­we­sen­den in ihre Ses­sel zu­rück; vor ih­nen das wir­re Durchein­an­der großer Spei­se­res­te. Das Bild war häss­lich, wie es ein zu Ende ge­hen­des Fest­mahl zu sein pflegt. – Un­ter all den er­hitz­ten sat­ten Leu­ten schi­en Rosa, still über ih­ren Tel­ler ge­beugt, für Am­bro­si­us, der sie auf­merk­sam und an­däch­tig be­trach­te­te, et­was Fei­er­li­ches und Poe­sie­vol­les an sich zu ha­ben, et­was, das sie von ih­rer Um­ge­bung ab­son­der­te und sie mit wär­me­rem, zar­te­rem Lich­te ver­klär­te. Legt in zwei ganz all­täg­li­che Au­gen nur ein klei­nes Fünk­chen jun­ger Lie­be und Lei­den­schaft, und die­se Au­gen wer­den euch um vie­les vor­neh­mer er­schei­nen.

      »Ich bin satt – und Sie«, sag­te Rosa und wand­te sich lä­chelnd nach Am­bro­si­us um.

      »Oh, ich«, er­wi­der­te Am­bro­si­us, »ich mag nicht!«

      »Doch! Ich gebe Ih­nen mei­nen Platz. Ich bin fer­tig.«

      Wie sie das so ein­fach ge­sagt hat­te, fand er nicht so­gleich et­was Zier­li­ches zu er­wi­dern und setz­te sich auf den Stuhl, den Rosa ihm über­ließ.

      Im Saal ne­ben­an wa­ren die Fens­ter ge­öff­net wor­den, um fri­sche Luft zu­strö­men zu las­sen, und der Zug­wind jag­te den auf­ge­wir­bel­ten Staub um die Flam­men des Kron­leuch­ters. Rosa stell­te sich an ein Fens­ter. Kühl schlug ihr die Nacht­luft ent­ge­gen und er­schreck­te sie fast. – Ein hef­ti­ger Som­mer­re­gen


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