Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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ha­ben sich un­an­stän­dig be­trun­ken und kom­men jetzt, um mich zu stö­ren, um mir auf­zu­lau­ern.«

      »O nein, Herr von Tel­le­r­at. Ich bit­te sehr, nicht so un­freund­lich mit Ihrem Kol­le­gen zu spre­chen.« Lurch pro­tes­tier­te mit mehr Si­cher­heit, als Am­bro­si­us an ihm ge­wohnt war. »Auch soll­ten Sie nicht so laut spre­chen, es könn­te Sie je­mand hö­ren, und das wäre – Fräu­lein Rosa un­an­ge­nehm, denn Sie ha­ben Fräu­lein Rosa ge­küsst, mit Er­laub­nis zu sa­gen; dar­um war ich so still, ich moch­te Sie nicht stö­ren. Wenn aber je­mand käme…«

      »Ah – hm«, ließ Am­bro­si­us ver­lau­ten. »Ja so!« Er warf einen scheu­en Blick auf sei­nen Kol­le­gen, denn er fühl­te, dass die­ser un­be­que­me Mit­wis­ser sich sei­ner Macht wohl be­wusst war. Da­rum lach­te Am­bro­si­us und gab sich das An­se­hen, als ma­che er sich aus der gan­zen Ge­schich­te nicht viel.

      »Sie ver­ges­sen ja das arme Täub­chen«, rief Lurch sen­ti­men­tal. »Da liegt es; ach, es ist ohn­mäch­tig.«

      Be­we­gungs­los lag Rosa da, die Auf­re­gung und der Schreck hat­ten ih­rem blei­chen Ge­sicht einen Aus­druck so tie­fen Schmer­zes auf­ge­prägt, dass die bei­den jun­gen Män­ner be­stürzt wur­den.

      »Was tun wir, Lurch?« frag­te Am­bro­si­us hilf­los und är­ger­lich.

      »Oh, mit ein we­nig Spi­ri­tus ist aus­ge­hol­fen – hier hab ich die Fla­sche.«

      Un­schlüs­sig nag­te Am­bro­si­us an sei­ner Un­ter­lip­pe. »Lurch«, be­gann er dann, »man wird uns im Saa­le ver­mis­sen.«

      »Ja, Herr von Tel­le­r­at, das ver­mu­te ich al­ler­dings«, er­wi­der­te Lurch sehr un­deut­lich, denn er hielt den Kor­ken der Fla­sche zwi­schen den Zäh­nen, wäh­rend er den Spi­ri­tus auf sein Ta­schen­tuch goß.

      »Das könn­te uns kom­pro­mit­tie­ren?« frag­te Am­bro­si­us wei­ter.

      »Mög­lich, Herr von Tel­le­r­at, mög­lich wäre es im­mer­hin«, war die Ant­wort.

      Am­bro­si­us fass­te sei­nen Ent­schluss, leg­te Ro­sas Kopf has­tig auf die Kis­te und eil­te zur Türe. »Nicht wahr, bes­ter Lurch«, rief er zu­rück, »Sie se­hen nach Rosa – nach – hm dem Mäd­chen? Ich keh­re in den Saal zu­rück. Mei­ne Ab­we­sen­heit wird auf­fal­len – –«

      Er ver­schwand.

      Freund­lich, mild und gut­ge­launt blick­te Lurch auf das da­lie­gen­de Mäd­chen; wun­der­lich aber war es, wie die­se Freund­lich­keit, die­se Mil­de und gute Lau­ne ihm übel stan­den und sein Ge­sicht ver­zerr­ten. Mit krum­men Kni­en und auf den Fuß­spit­zen nä­her­te er sich der Kis­te und drück­te be­hut­sam sein Ta­schen­tuch ge­gen Ro­sas Ge­sicht; da­bei stieß er zu­wei­len einen kla­gen­den Laut aus oder sprach lei­se vor sich hin in der wei­chen, lal­len­den Wei­se, in der Am­men ihre Säug­lin­ge an­zu­re­den pfle­gen. »So – so – es wird bes­ser. Le­gen wir das auf die klei­ne Stirn – die klei­ne, klei­ne Stirn –; ist’s so gut, was?« Rosa be­weg­te sich. »Oh«, mein­te Lurch ernst, hielt in sei­ner Be­schäf­ti­gung inne, lausch­te einen Au­gen­blick und drück­te dann sei­nen gel­ben Mit­tel­fin­ger fest an Ro­sas Schul­ter.

      Rosa seufz­te, rich­te­te sich halb auf und schau­te ver­wun­dert um sich; sie ver­stand ihre Le­bens­la­ge nicht. Vor ihr stand Lurch, krumm vor Rüh­rung und Ver­le­gen­heit.

      »Ja, Fräu­lein Rosa, ich bin’s, nur ich – Con­rad Lurch – fürch­ten Sie sich nicht. Ih­nen war nicht ganz wohl; der Spi­ri­tus hat Ih­nen gut­ge­tan. Sie wol­len Ihr Füß­chen von der Kis­te her­ab­zie­hen? Es könn­te Sie er­mü­den, ich will Ih­nen hel­fen – ah, es ist schon ge­sche­hen. Jetzt ist Ih­nen bes­ser, Fräu­lein Rosa, nicht?«

      Rosa dach­te nach – ließ die Arme schlaff nie­der­hän­gen und streck­te die Füße von sich. Das zer­knit­ter­te Kleid war tief von den Schul­tern her­ab­ge­glit­ten – wirr hin­gen ihr die Lo­cken ins Ge­sicht –, und das ärm­li­che Mond­licht ließ die gan­ze Ge­stalt selt­sam weiß und bleich er­schei­nen.

      »Wa­rum bin ich hier – im La­den? Und warum sind Sie hier?« frag­te sie lang­sam.

      »Das kommt da­her –«, er­klär­te Lurch. »Doch, Sie wer­den sich des­sen schon ent­sin­nen. Ich habe ei­ni­ges ge­se­hen, ich will nicht da­von spre­chen, es könn­te Sie be­lei­di­gen. Herr von Tel­le­r­at ging in den Saal zu­rück.«

      »Ah –«, jetzt wuss­te es Rosa, und ihr ward ban­ge. »Fort will ich«, sag­te sie rau.

      »Ge­wiss, Fräu­lein Rosa; er­lau­ben Sie nur«, und be­hut­sam fass­te Lurch den Rand von Ro­sas Kleid. »Das ist nicht für alle Welt.«

      Die kal­ten Fin­ger, die sie be­rühr­ten, lie­ßen Rosa vor Wi­der­wil­len schau­dern, und sie be­gann zu wei­nen.

      »Hab ich Ih­nen weh­ge­tan?« klag­te Lurch, und in sei­nen trü­ben Au­gen stan­den auch Trä­nen.

      »Ich kann die Türe nicht fin­den«, schluchz­te Rosa.

      »Wei­nen Sie dar­über, Fräu­lein Rosa? Die Türe kann ich Ih­nen zei­gen; hier ist sie.«

      Rosa lief hin­aus, ei­lig, als wür­de sie ge­jagt. Der dunkle Raum, den sie ver­ließ, er­reg­te in ihr je­nes pein­vol­le Ge­fühl, das Kin­der er­fasst, wenn sie an fins­te­ren Ecken vor­über müs­sen.

      Der Saal war fast leer, nur in ei­ner Ecke saß Frau La­nin und schlief, in der ent­ge­gen­ge­setz­ten Ecke saß Herr Herz und schlief eben­falls, und die bei­den Schlum­mern­den sand­ten sich ab­ge­ris­se­ne, schnur­ren­de Kehl­lau­te zu, dass es wie eine Un­ter­hal­tung in ei­ner bar­ba­ri­schen Spra­che klang. Auf ei­nem Ses­sel kau­er­te et­was Wei­ßes – Ma­ri­an­ne Schulz. Sie schluchz­te dort lei­se, denn seit dem Sou­per hat­te kei­ner mit ihr ge­tanzt. Sie konn­te sich nicht ent­schlie­ßen, den Saal zu ver­las­sen und das fest­li­che Mus­se­lin­kleid ab­zu­le­gen.

      Rosa ging zu ih­rem Va­ter hin­über, leg­te ihre Arme um sei­nen Hals und weck­te ihn mit ei­nem Kuss.

      »Komm –«, sag­te sie.

      »Ge­wiss, mein Kind; es ist schon spät, nicht?«

      »Lei­ser, Papa, dass nie­mand uns hört.«

      »Haha, wie­der ein Spaß.«

      Arm in Arm gin­gen sie hin­aus. Eine Wol­ke zog über den Mond, und ein sanf­tes Däm­mer­licht lag über der schlum­mern­den Stadt, den stil­len wei­ßen Häu­sern, den lee­ren feuch­ten Stra­ßen, wie das graue Zwie­licht ei­ner Kran­ken­stu­be.

      Elftes Kapitel

      Am fol­gen­den Tage war Rosa krank. Ja, sie fühl­te sich sehr krank. Ab­ge­hetzt und atem­los fuhr sie aus dem Schlaf auf. Wir­re Träu­me, auf die sie sich nicht mehr be­sin­nen konn­te, hat­ten sie ge­jagt und ver­folgt. In Fie­ber­näch­ten wird das auf­ge­reg­te Blut eine Peit­sche, die uns nim­mer Ruhe gönnt; jede neue Wel­le ein neu­er Schlag, der uns aus ei­nem wüs­ten Trau­mort in den an­dern treibt, bis wir, zu Tode er­mat­tet, er­wa­chen. Die wil­den Träu­me hat­ten Rosa so weit von ih­rem fried­li­chen Zim­mer fort­ge­tra­gen, dass sie sich jetzt ver­wun­dert um­schau­te. Son­nen­strah­len stahlen sich lus­tig gelb durch die Spal­ten der Vor­hän­ge und zit­ter­ten als matt­blon­de Flo­cken auf der Wand. Eine Flie­ge schwirr­te, lei­se sum­mend, den Licht­weg vom Vor­hang


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