Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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lach­te. »Du hät­test wohl gern mit­ge­tanzt.«

      »Hät­te ich schö­ne Klei­der, dann ja«, mein­te Ida; »aber er war auch schön!«

      »Wer?« Rosa er­rö­te­te.

      »Der jun­ge Herr dort von Lan­ins. Mit dem hät­te ich gern ge­tanzt. Er war der Al­ler­schöns­te. Nicht?«

      »Was ver­stehst du da­von?« ver­setz­te Rosa un­si­cher.

      »Schon recht«, er­wi­der­te Ida ru­hig; »wenn ich auch nichts da­von ver­ste­he, so weiß ich doch, dass er schön ist. Wenn er mit Ih­nen tanz­te, Fräu­lein Rosa, dann mach­te er ganz große Au­gen, das habe ich auch ge­se­hen. Soll ich ihn ru­fen?«

      »Ihn ru­fen? Wa­rum?«

      »Von drü­ben kann er ja leicht her­über­kom­men. Ich mein­te, Sie wol­len ihn se­hen.«

      »Oh, ich nicht!« rief Rosa und blick­te zer­streut zu den Dä­chern auf. »Tu, was du willst.«

      »Wol­len Sie hier war­ten, Fräu­lein Rosa?«

      »Ich weiß es nicht. Vi­el­leicht ruhe ich mich hier noch aus. Aber – du weißt, Ida – mir ist es gleich­gül­tig, ob je­mand kommt oder nicht. Ich woll­te nur mit dir spre­chen.«

      »Schon recht«, be­merk­te Ida und schurr­te mit ih­ren ab­ge­tra­ge­nen Schu­hen über die Stra­ße, die Lan­in­sche Trep­pe hin­an. Rosa trip­pel­te un­schlüs­sig hin und her. Soll­te sie wei­ter­ge­hen? Soll­te sie blei­ben? Sie lehn­te sich an die Türe des Tröd­ler­la­dens und schau­te den Schwal­ben nach – mit ei­nem hüb­schen Ge­sicht, das an nichts Be­son­de­res zu den­ken schi­en. End­lich kam Ida wie­der – lang­sam und gäh­nend her­an­ge­schli­chen. »Er wird gleich kom­men«, be­rich­te­te sie und setz­te sich auf die Tür­schwel­le.

      »Ida – du hast doch nicht…?« rief Rosa. »Nun, mir gilt es gleich, ob je­mand kommt oder nicht. Ich habe nie­man­den ru­fen las­sen. Ich nicht.«

      »Gut! So kommt er zu mir.« Da­bei zuck­te Ida die Ach­seln, schloss halb die Au­gen und saß schläf­rig und ru­hig da, wie ein al­tes, blei­ches Weib, das all die Ju­gend­tor­hei­ten kennt und ver­ach­tet. Die Glo­cke an Lan­ins La­den­tür er­klang, und Am­bro­si­us eil­te auf die Stra­ße hin­ab, ohne Hut, bunt­ge­stick­te Pan­tof­feln an den Fü­ßen und ein stol­zes Lä­cheln auf den Lip­pen.

      »Ein we­nig in Neg­ligé«, schrie er schon von wei­tem. Dann stell­te er sich vor Rosa hin, eine Hand in die Sei­te ge­stemmt. »Aber bei Gott! Ich habe wun­de Füße von ges­tern. Wie geht es dir? Hm – ach so, wir sind nicht al­lein. Wie geht es Ih­nen, mein gnä­di­ges Fräu­lein?« Da­bei lach­te er ge­heim­nis­voll.

      »Gut, recht gut, Herr von Tel­le­r­at«, er­wi­der­te Rosa und wieg­te ver­le­gen ih­ren Ober­kör­per.

      »Kom­men Sie«, fuhr Am­bro­si­us fort. »Stel­len wir uns hier in die Ni­sche zwi­schen die Tür und das Haus. Hier sieht uns kein Mensch, höchs­tens dort vom Sa­lon aus; aber um die­se Zeit geht nie­mand ans Fens­ter, das weiß ich! Ha – ha! Hier ist es nett, so­zu­sa­gen ge­müt­lich. Hat Ih­nen der gest­ri­ge Schreck nicht ge­scha­det? Ich war um Sie in To­des­angst. Aber ich muss­te fort, um Sie nicht zu kom­pro­mit­tie­ren. Der Lurch soll mir die­sen Streich be­zah­len. Er hat mich furcht­bar an­ge­grif­fen. Mit­ten in un­se­rem Bei­sam­men­sein, mit­ten in – hm«, er warf den Kopf zu­rück und such­te nach ei­nem poe­ti­schen Aus­druck. »Mit­ten – so­zu­sa­gen in der ar­ka­di­schen Schä­fer­stun­de ge­stört zu wer­den, das zog mir das Herz zu­sam­men.«

      »Sie hät­ten es nicht tun sol­len«, sag­te Rosa lei­se.

      »Wa­rum nicht?« Am­bro­si­us’ Ge­sicht ward rot und böse. »Dazu muss­te es kom­men, liebs­te Rosa, du muss­test ein­mal er­fah­ren, wie sehr ich dich lie­be. Glaubst du, es hat mich nicht ge­kränkt, den gan­zen Abend mit an­se­hen zu müs­sen, wie je­der Schul­bub den Arm um ein Mäd­chen le­gen darf, das – hm, ja – das mir ge­hört? Dir war’s viel­leicht recht, ich aber litt dar­un­ter. Ich woll­te dich für mich ganz al­lein ha­ben.« Als er sah, dass Rosa über sei­ne Hef­tig­keit er­schrak, ward er ru­hi­ger, ge­fühl­vol­ler. Ach Gott! Rosa ahn­te nicht, wie heiß er sie lieb­te, wie sie sein gan­zes Glück in ih­rer klei­nen, leicht­fer­ti­gen Hand hielt. Er kann­te nicht flüch­ti­ge, ober­fläch­li­che Ge­füh­le. Das war es, was ihm oft Un­heil brach­te, dass er es mit je­der Lei­den­schaft zu ernst nahm. Er war zu tief an­ge­legt, zu treu; er dach­te zu gut von den Men­schen. All die­ses trug er mit ru­hi­ger Stim­me vor, wieg­te sich von ei­nem Bein auf das an­de­re, blick­te über das Mäd­chen hin­weg die al­ten Klei­der an und ver­zog ein we­nig das Ge­sicht, weil die Son­ne ihm in die Au­gen schi­en.

      Rosa, sich fest an die Wand des Hau­ses leh­nend, lausch­te an­däch­tig den klin­gen­den, ab­ge­grif­fe­nen Lie­bes­phra­sen. Der wei­che, ge­dämpf­te Stim­men­ton des jun­gen Man­nes wieg­te sie in eine an­ge­neh­me Schlaff­heit. Sie ach­te­te kaum mehr auf den Sinn der Wor­te, der Klang al­lein schi­en ihr schon et­was Schwü­les, Be­stri­cken­des an sich zu ha­ben, et­was, das zu Kopf steigt und die Ge­dan­ken ein­schlä­fert.

      Die Stra­ße vor ih­nen war leer, in den hell­be­schie­ne­nen Häu­sern wa­ren die Vor­hän­ge her­ab­ge­las­sen, auf dem son­ni­gen Markt­plat­ze trie­ben sich nur die Spat­zen um, sanf­te, ab­ge­ris­se­ne Vo­gel­lau­te ein­an­der zu­wer­fend, und schau­te man in die Fer­ne, dann glaub­te man ein flim­mern­des Zit­tern der Luft wahr­zu­neh­men.

      Am­bro­si­us war jetzt bei der Schil­de­rung sei­nes wun­der­bar wech­sel­vol­len Her­zens an­ge­langt, wech­sel­voll in tol­ler Lust und rät­sel­haf­ter Me­lan­cho­lie; aber im­mer be­stän­dig in – hm, der Nei­gung zur Ge­lieb­ten. Von je­her war es sein Wunsch ge­we­sen, mit ei­nem Weib, das mit ihm sym­pa­thi­sier­te, nach ei­ner un­be­wohn­ten In­sel zu ent­flie­hen, um nur der Lie­be zu le­ben, und Rosa war die­ses Weib.

      Die Ge­schich­te mit der un­be­wohn­ten In­sel er­griff und be­geis­ter­te Rosa. Groß und zärt­lich rich­te­te sie ihre Au­gen auf Am­bro­si­us, als er aber lei­den­schaft­lich aus­rief: »Du bist die­ses Weib, das ich su­che!« da lach­te Rosa. Nie­mand hat­te sie bis jetzt noch »Weib« ge­nannt, das war ihr zu neu. Sie fühl­te es wohl, wie un­pas­send es war, zu la­chen, wie sehr Am­bro­si­us das übel­neh­men muss­te, und den­noch tat sie es – noch dazu das tö­rich­te, her­aus­plat­zen­de La­chen der Schank­schen Schü­le­rin­nen. Ida, an die nie­mand ge­dacht hat­te, stimm­te laut und rau in die­ses La­chen ein. Am­bro­si­us ward dun­kel­rot, die Ader auf sei­ner Stirn schwoll an, und in maß­lo­ser Wut fuhr er auf das Ju­den­mäd­chen los, stieß es mit dem Fuß. »Was? Du bist noch hier? Ich will dich leh­ren, hier hor­chen.« Ida er­hob sich und schlich lang­sam und krumm fort, mit ih­ren blan­ken Au­gen schie­fe, gif­ti­ge Bli­cke auf Am­bro­si­us wer­fend. »Ka­nail­le!« rief die­ser ihr nach.

      »Oh, las­sen Sie sie!« fleh­te Rosa. »Sie er­zählt sonst al­les wei­ter.«

      »Sie möge!« rief Am­bro­si­us hef­tig. »Ich ma­che mir nichts dar­aus. Ich fürch­te mich vor nie­man­dem. Mir ist al­les gleich, und dir – dir ist auch al­les gleich. Al­les – al­les.«

      Er er­griff Ro­sas Hand und hielt sein zor­ni­ges, er­hitz­tes Ge­sicht nahe an das Ge­sicht des Mäd­chens. »Ist dir nicht al­les gleich – sage –!« Rosa schwieg – sie fürch­te­te sich, er aber fass­te sie an die Schul­tern und küss­te sie fest auf die Lip­pen,


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