Der Herr der Welt. Robert Hugh Benson

Der Herr der Welt - Robert Hugh Benson


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in sich trägt. Die­se Wel­t­an­schau­ung war umso be­ste­chen­der, fand umso mehr An­klang, als sie den Sin­nen de­rer ver­ständ­lich war, die aus ihr ge­bo­ren wa­ren. Wohl hat­te auch sie Ge­heim­nis­se auf­zu­wei­sen, aber es wa­ren Ge­heim­nis­se, die eher an­lock­ten als ab­schreck­ten, denn aus ih­nen för­der­te jede neue Ent­de­ckung, die der Mensch ma­chen konn­te, stets neue Herr­lich­kei­ten zu­ta­ge. Selbst un­be­seel­te, leb­lo­se Ob­jek­te, wie die Fos­si­li­en, der elek­tri­sche Strom, die fer­nen Ster­ne, all dies wur­de vom Welt­geis­te als Staub ein­fach bei­sei­te ge­wor­fen, al­les, was für Got­tes All­ge­gen­wart zeug­te und sei­ne Na­tur ver­kün­de­te. Wie gründ­lich hat­te z. B. nur die von dem Astro­no­men Klein vor zwan­zig Jah­ren ge­mach­te An­kün­di­gung, dass das Be­wohnt­sein ge­wis­ser Pla­ne­ten eine fest­ste­hen­de Tat­sa­che ge­wor­den sei, die Mei­nung der Mensch­heit von sich selbst ge­än­dert! Aber die ein­zi­ge Be­din­gung des Fort­schrit­tes und des Wie­der­auf­bau­es von Je­ru­sa­lem war für den Pla­ne­ten, den der Zu­fall zur Wohn­stät­te der Mensch­heit be­stimmt hat­te, nicht das Schwert, das Chris­tus ge­bracht oder das Mo­ham­med schwang, son­dern der Frie­de, der ein Pro­dukt der Ver­nunft, de­ren Gren­zen er nicht über­stieg, der Frie­de, der aus dem Be­wusst­sein her­vor­ging, dass der Mensch al­les sei und nur durch ge­gen­sei­ti­ges Ver­tra­gen und Ent­ge­gen­kom­men im­stan­de sei, sich wei­ter zu ent­wi­ckeln. Für Oli­ver und sein Weib er­schi­en das ab­ge­lau­fe­ne Jahr­hun­dert wie eine Of­fen­ba­rung; im­mer mehr wa­ren die al­ten, aber­gläu­bi­schen Vor­stel­lun­gen ab­ge­brö­ckelt, im­mer wei­ter war das neue Licht ge­drun­gen; der Geist der Welt war auf­ge­gan­gen, die Son­ne war im Wes­ten ver­sun­ken und nun — mit Schre­cken und Ab­scheu muss­ten sie von Neu­em die Wol­ken sich zu­sam­men­zie­hen se­hen, dort, von wo al­ler Aber­glau­be aus­ge­gan­gen war.

      Ma­bel stand plötz­lich auf und kam zu ih­rem Man­ne her­über.

      »Mein Lie­ber«, sag­te sie, »du musst nicht ver­zagt sein; es wird auch das vor­über­ge­hen, wie al­les an­de­re vor­über­ge­gan­gen ist. Es ist schon sehr viel ge­won­nen, dass sie auf Ame­ri­ka über­haupt hö­ren, und die­ser Mr. Fel­sen­bur­gh scheint mir auf der rich­ti­gen Sei­te zu ste­hen.«

      Oli­ver er­griff ihre Hand und küss­te sie.

      2.

      Oli­ver schi­en wäh­rend des Mit­tags­ti­sches eine hal­be Stun­de spä­ter in sehr ge­drück­ter Stim­mung zu sein. Sei­ne Mut­ter, eine alte Frau von na­he­zu acht­zig Jah­ren, die sich nie vor Mit­tag se­hen ließ, schi­en es so­fort zu be­mer­ken, denn, nach­dem sie ihn ein paar­mal an­ge­se­hen und ei­ni­ge Wor­te mit ihm ge­wech­selt, ver­sank sie in Schwei­gen und wid­me­te sich ih­rem Tel­ler.

      Ein an­ge­neh­mes, klei­nes Zim­mer war es, in dem sie sa­ßen, dicht hin­ter je­nem Oli­vers und, dem all­ge­mei­nen Brauch zu­fol­ge, ganz in Grün ge­hal­ten. Die Fens­ter gin­gen auf einen klei­nen Gar­ten hin­ter dem Hau­se und auf die mit wil­dem Wein be­wach­se­ne Mau­er, wel­che die­ses Be­sitz­tum von dem nächs­ten trenn­te. Auch die Mö­bel wa­ren ganz dem all­ge­mei­nen Ge­brauch ent­spre­chend; ein be­que­mer, runder Tisch stand in der Mit­te, um ihn drei hohe Lehn­stüh­le mit her­auf­ge­schla­ge­nen Arm­stüt­zen, wäh­rend das Mit­tel­stück des­sel­ben, auf ei­ner run­den Säu­le von ziem­li­chem Um­fang ru­hend, das Ge­schirr trug. Seit drei­ßig Jah­ren schon war es in den Häu­sern der Bes­ser­ge­stell­ten ge­bräuch­lich ge­wor­den, das Spei­se­zim­mer ober­halb der Kü­che an­zu­le­gen, und das Ser­vie­ren der Gän­ge ver­mit­telst ei­nes in der Mit­te des Ess­ti­sches be­find­li­chen hy­drau­li­schen Auf­zu­ges zu be­werk­stel­li­gen. Der Fuß­bo­den be­stand ganz aus dem in Ame­ri­ka er­fun­de­nen ge­räusch­lo­sen, sau­be­ren und für Auge und Fuß an­ge­neh­men As­best-Kork­prä­pa­rat.

      Ma­bel brach das Schwei­gen.

      »Und dei­ne Rede für mor­gen?«, frag­te sie, in­dem sie zu ih­rer Ga­bel griff.

      Oli­ver nahm einen et­was leb­haf­te­ren Aus­druck an und wur­de ge­sprä­chi­ger.

      Wie es schi­en, fing Bir­ming­ham an, un­ru­hig zu wer­den. Von Neu­em er­hob man die For­de­rung des Frei­han­dels mit Ame­ri­ka; man be­gnüg­te sich nicht mehr mit den in­ne­r­eu­ro­päi­schen Ver­kehrs­er­leich­te­run­gen, und es war Oli­vers Auf­ga­be, sie zu be­ru­hi­gen. Es wäre nutz­los, nahm er sich vor ih­nen zu sa­gen, in eine Agi­ta­ti­on ein­zu­tre­ten, so­lan­ge die Fra­ge des Os­tens nicht er­le­digt wäre; sie soll­ten doch die Re­gie­rung ge­ra­de jetzt nicht mit sol­chen Klei­nig­kei­ten be­läs­ti­gen. Er hat­te au­ßer­dem den Auf­trag, ih­nen zu er­klä­ren, dass die Re­gie­rung ganz auf ih­rer Sei­te ste­he und ent­schlos­sen sei, bald zu­zu­stim­men.

      »Dick­köp­fe sind sie«, sag­te er är­ger­lich, »hart­nä­ckig und selbst­süch­tig; sie sind wie die Kin­der, die zehn Mi­nu­ten vor Tisch noch nach dem Es­sen schrei­en; es wird ja un­be­dingt dazu kom­men, wenn sie nur ein we­nig Ge­duld ha­ben woll­ten.«

      »Und wirst du ih­nen die­ses sa­gen?«

      »Dass sie Dick­köp­fe sind? Selbst­ver­ständ­lich!«

      Ma­bel blick­te ih­ren Gat­ten mit ei­nem wohl­ge­fäl­li­gen Lä­cheln an. Sie wuss­te nur zu gut, dass er sei­ne Be­liebt­heit zum großen Tei­le sei­ner Of­fen­her­zig­keit ver­dank­te: Den Leu­ten ge­fiel es, sich von ei­nem ge­nia­len, küh­nen Man­ne, der in ma­gne­ti­scher Erei­fe­rung vor ih­nen her­um­sprang und ges­ti­ku­lier­te, Schelt­wor­te und Grob­hei­ten sa­gen zu las­sen.

      »Wie wirst du hin­fah­ren?«, frag­te sie.

      »Flug­schiff. Ich wer­de mit dem um acht­zehn von Black­fri­ars ab­fah­ren; um neun­zehn ist die Ver­samm­lung, und um ein­und­zwan­zig bin ich wie­der zu­rück.«

      Er ließ sich die Vor­spei­se sehr gut schme­cken, und sei­ne Mut­ter sah mit dem ge­dul­di­gen Lä­cheln ei­ner al­ten Frau auf.

      Ma­bel be­gann, lei­se mit den Fin­gern auf der Da­mast­de­cke zu trom­meln.

      »Sei so gut und be­ei­le dich, mein Lie­ber«, sag­te sie, »ich muss um drei Uhr in Brighton sein.«

      Oli­ver schluck­te den letz­ten Bis­sen hin­ab, schob sei­nen Tel­ler in die Mit­te der Tisch­plat­te zu­rück, blick­te um­her, ob auch die üb­ri­gen Tel­ler dort un­ter­ge­bracht sei­en, und griff mit der Hand un­ter den Tisch.

      So­fort und ohne je­des Geräusch ver­schwand das Mit­tel­stück, und die Drei war­te­ten mit der ge­wohn­ten Gleich­gül­tig­keit, wäh­rend das Klir­ren der Tel­ler von un­ten her­auf­klang.

      Die alte Mrs. Brand war eine rüs­tig aus­se­hen­de Dame und trotz der Run­zeln noch von fri­scher Ge­sichts­far­be; sie trug eine auf dem Haupt be­fes­tig­te Man­til­la, wie sie etwa vor fünf­zig Jah­ren Mode war; doch auch an ihr konn­te man die­sen Mor­gen eine ge­drück­te Stim­mung be­mer­ken. Die Vor­spei­se war nach ih­rer An­sicht nicht recht ge­lun­gen, der neue Nähr­stoff nicht so gut wie der frü­he­re, er war ein klein we­nig san­dig; nach Tisch woll­te sie ein­mal da­nach se­hen.

      Da ver­nahm man wie­der das Klir­ren, ein schwa­ches, schie­ben­des Geräusch, und das Mit­tel­stück er­schi­en wie­der an sei­nem Plat­ze, eine wun­der­ba­re Nach­ah­mung ei­nes Bra­thuh­nes tra­gend. —

      Oli­ver


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