Der Herr der Welt. Robert Hugh Benson

Der Herr der Welt - Robert Hugh Benson


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ei­ni­ger Jah­re im Chris­ten­tum er­zo­gen wor­den, und manch­mal schi­en es ihm, als hät­te dies einen Ein­druck zu­rück­ge­las­sen. Sie hat­te ein al­tes Ge­bet­buch, »See­len­gar­ten«, das sie gern bei sich trug, ob­wohl sie im­mer mit ei­nem An­schein von Ge­ring­schät­zung pro­tes­tier­te, es sei nur Un­sinn. Und doch wäre es Oli­ver lie­ber ge­we­sen, sie hät­te es ver­brannt. Aber­glau­be ist ein ver­zwei­fel­tes Ding, an das sich das ent­flie­hen­de Le­ben klam­mert, und das mit zu­neh­men­der Ge­hirn­schwä­che sich be­greif­li­cher­wei­se wie­der gel­tend macht. Das Chris­ten­tum, so sag­te er sich, war roh und al­bern; roh, we­gen sei­ner in die Au­gen sprin­gen­den Gro­teskheit und Un­mög­lich­keit; und al­bern, weil es sich so ab­so­lut fremd ge­gen­über dem herz­er­freu­en­den Stro­me des mensch­li­chen Le­bens ver­hielt. Es schlich un­an­sehn­lich um­her, wie er wuss­te, in klei­nen, dunklen, da und dort ver­streu­ten Kir­chen; es rief mit hys­te­ri­scher Sen­ti­men­ta­li­tät zum Him­mel in der West­mins­ter-Ka­the­dra­le, in die er ein­mal ein­ge­tre­ten war und auf die er mit ei­ner Art an­ge­wi­der­ter Wut blick­te; es schwätz­te sinn­lo­ses, un­wah­res Zeug sei­nen ur­teils­lo­sen An­hän­gern, den al­ten Wei­bern und geis­tig nicht ganz Zu­rech­nungs­fä­hi­gen, vor. Zu schreck­lich wäre es ihm aber, wenn sei­ne ei­ge­ne Mut­ter es noch mit wohl­wol­len­den Au­gen be­trach­te­te.

      Oli­ver selbst war, so­weit er nur zu­rück­den­ken konn­te, stets ein hef­ti­ger Geg­ner al­ler Zu­ge­ständ­nis­se an Rom und Ir­land ge­we­sen. Es war un­er­träg­lich, dass die­se bei­den Ge­bie­te end­gül­tig je­nen Narr­hei­ten, je­nem hin­ter­lis­ti­gen Blöd­sinn preis­ge­ge­ben sein soll­ten; wa­ren sie doch Pflanz­stät­ten des Aufruhrs, Pest­beu­len auf dem An­ge­sich­te der Mensch­heit. Nie war er mit je­nen ein­ver­stan­den, wel­che mein­ten, es sei bes­ser, dass all das Gift des Wes­tens sich an ei­nem Orte ver­ei­nigt fin­de, als dass es über­all ver­streut sei. Auf je­den Fall war es nun ein­mal da. Rom war gänz­lich je­nem al­ten Man­ne im wei­ßen Talar über­las­sen und hat­te da­für sämt­li­che Pfarr­kir­chen und Ka­the­dra­len Ita­li­ens in Tausch ge­ge­ben, und es galt als aus­ge­macht, dass mit­tel­al­ter­li­che Fins­ter­nis dort un­um­schränkt herrsch­te. Und Ir­land hat­te, nach­dem es vor drei­ßig Jah­ren sich selbst zur ei­ge­nen Ver­wal­tung über­las­sen wor­den war, sich für den Ka­tho­li­zis­mus er­klärt und sei­ne Arme dem In­di­vi­dua­lis­mus in sei­ner bös­ar­tigs­ten Form ge­öff­net. Eng­land hat­te la­chend sei­ne Ein­wil­li­gung ge­ge­ben; war es doch durch die un­mit­tel­ba­re Über­sie­de­lung der Hälf­te sei­ner ka­tho­li­schen Be­völ­ke­rung nach je­ner In­sel be­freit von ei­ner be­trächt­li­chen Quan­ti­tät Gä­rungs­stof­fes; es hat­te so­gar im Ein­ver­ständ­nis mit der kom­mu­nis­ti­schen Ko­lo­ni­al­po­li­zei dem In­di­vi­dua­lis­mus dort jede Er­leich­te­rung ge­währt, um ihn sich selbst der Lä­cher­lich­keit preis­ge­ben zu las­sen. Ko­mi­sche Din­ge al­ler Art er­eig­ne­ten sich dort. Oli­ver hat­te, be­lus­tigt und zu­gleich er­bit­tert, von dort er­folg­ten, neue­ren Er­schei­nun­gen ei­ner in Blau ge­klei­de­ten Frau ge­le­sen, und dass, wo ihr Fuß ge­ruht hat­te, Ka­pel­len er­rich­tet wor­den wa­ren. Ei­nen we­ni­ger be­lus­ti­gen­den Ein­druck mach­te auf ihn Rom, denn durch Ver­le­gung der ita­lie­ni­schen Re­gie­rung nach Tu­rin hat­te die Re­pu­blik be­trächt­lich an Ge­fühls­wert ver­lo­ren und dem al­ten Re­li­gi­ons­schwin­del neu­er­dings zu dem gan­zen ver­lo­cken­den Nim­bus ei­ner his­to­ri­schen Er­schei­nung ver­hol­fen. Im­mer­hin, das war un­ver­kenn­bar, konn­te die­ser Zu­stand nicht von lan­ger Dau­er sein; die Welt hat­te end­lich an­ge­fan­gen, zur Ein­sicht zu kom­men.

      Ei­ni­ge Au­gen­bli­cke noch, nach­dem sei­ne Frau weg­ge­gan­gen war, stand er an der Türe, Be­ru­hi­gung schöp­fend aus dem herr­li­chen An­blick des­sen, was die Herr­schaft ge­sun­der Ver­nunft hier ge­schaf­fen und vor ihm nie­der­ge­legt hat­te: die end­lo­sen Dä­cher­rei­hen, die ho­hen Glas­kup­peln der öf­fent­li­chen Ba­de­an­stal­ten und Turn­hal­len, die mit Spitz­tür­men ver­se­he­nen Schu­len, in de­nen je­den Mor­gen das Bür­ger­recht ge­lehrt wur­de, die spin­nen­ar­ti­gen Krä­ne und die Gerüs­te, die da und dort sich er­ho­ben; selbst die we­ni­gen Kirchtür­me stör­ten ihn in die­sem Au­gen­blick nicht. Da wog­te er hin, im grau­en Duns­te Lon­d­ons ent­schwin­dend, ein Bild wahr­haf­ti­ger Schön­heit, die­ser un­er­mess­li­che Strom von Män­nern und Frau­en, die end­lich die Grund­leh­re des Evan­ge­li­ums be­grif­fen hat­ten: Es gibt kei­nen Gott au­ßer dem Men­schen, kei­nen an­de­ren Pries­ter als den Po­li­ti­ker, kei­nen an­de­ren Pro­phe­ten als den Schul­meis­ter …

      Dann mach­te er sich wie­der an die Aus­ar­bei­tung sei­ner Rede. —

      Auch Ma­bel war ein we­nig nach­denk­lich, als sie mit ih­rer Zei­tung auf den Kni­en im Zuge nach Brighton saß. Die­se Nach­rich­ten aus dem Os­ten hat­ten sie mehr be­un­ru­higt, als sie es vor ih­rem Gat­ten hat­te mer­ken las­sen; und doch schi­en es un­glaub­lich, dass von ei­ner wirk­li­chen Ge­fahr ei­ner In­va­si­on die Rede sein kön­ne. Hier im Wes­ten war das Le­ben so ver­nünf­tig und ru­hig; end­lich hat­te der Mensch sich hier auf fes­ten Grund hin­auf­ge­ar­bei­tet und es war un­denk­bar, dass er je wie­der in die Lehm­hüt­ten zu­rück­ge­drängt wer­den könn­te; das wäre ja im di­rek­ten Ge­gen­satz zu den Ge­set­zen der Ent­wick­lung. Und doch muss­te sie zu­ge­ben, dass Ka­ta­stro­phen in der Metho­de der Na­tur lie­gen …

      Sie saß ganz ru­hig, ein paar­mal einen flüch­ti­gen Blick auf die dürf­ti­gen un­zu­sam­men­hän­gen­den Nach­rich­ten wer­fend, um sich dann in den die­se be­han­deln­den Leit­ar­ti­kel zu ver­tie­fen, der eben­falls in Be­fürch­tun­gen sich er­ging. Ei­ni­ge Her­ren im jen­sei­ti­gen Halb­ab­teil spra­chen über den­sel­ben Ge­gen­stand; ei­ner be­schrieb die von der Re­gie­rung be­trie­be­nen Ma­schi­nen­fa­bri­ken, die er eben be­sucht hat­te, und die fie­ber­haf­te Eile, mit der dort ge­ar­bei­tet wur­de, wäh­rend sei­ne Mit­rei­sen­den ihn mit Zwi­schen­fra­gen be­stürm­ten. Dort war also auch kei­ne Er­mu­ti­gung zu ho­len. Durch die Fens­ter konn­te sie eben­so we­nig bli­cken, dazu war auf den Haupt­li­ni­en die Ge­schwin­dig­keit eine zu große für das Auge; der lan­ge In­nen­raum des Wa­gens, von ei­nem sanf­ten Licht er­leuch­tet, bil­de­te ih­ren Ge­sichts­kreis. Ihre Au­gen wan­del­ten ge­gen die mo­del­lier­te wei­ße De­cke, zu den köst­li­chen, ei­chenum­rahm­ten Wand­ge­mäl­den hin, nach den tie­fen, elas­ti­schen Sit­zen hin­über und zu den run­den Lam­pen­glo­cken über ih­rem Haup­te, de­nen das Licht ent­ström­te, dann wie­der nach ei­ner Mut­ter mit ih­rem Kin­de, die ihr schräg ge­gen­über­saß. Da er­klang das große Si­gnal, die schwa­che Vi­bra­ti­on ver­stärk­te sich ein we­nig, einen Au­gen­blick spä­ter spran­gen die au­to­ma­ti­schen Tü­ren zu­rück und sie trat auf den Bahn­steig der Sta­ti­on Brighton hin­aus.

      Als sie die zum Bahn­hof­plat­ze füh­ren­de Trep­pe hin­ab­stieg, be­merk­te sie ei­ni­ge Schrit­te vor sich einen Pries­ter. Er schi­en ein sehr rüs­ti­ger und von den Jah­ren nicht ge­beug­ter, al­ter Mann zu sein, denn trotz sei­nes wei­ßen Haa­res war sein Schritt fest und gleich­mä­ßig. Sie blieb am Fuße der Trep­pe einen Au­gen­blick ste­hen, und, halb zur Sei­te ge­wandt, sah sie zu ih­rer Über­ra­schung, dass sein Ge­sicht das ei­nes jun­gen Man­nes war, mit fei­nen, doch ener­gi­schen Zü­gen, dunklen Au­gen­brau­en und sehr leb­haf­ten, grau­en Au­gen. Dann schritt sie wie­der vor­an und schlug, den Platz über­schrei­tend,


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