Der Herr der Welt. Robert Hugh Benson
nur daran glauben? Er sah doch so intelligent aus.«
»Liebes Kind, wenn ich dir, als du noch in der Wiege lagst, erzählt hätte, der Mond sei nichts weiter als frischer Käse, und dir das jeden Tag von früh bis abends eingebläut hätte, so würdest du es jetzt wohl beinahe glauben, übrigens bist du ja selbst überzeugt, daran zweifle ich keinen Augenblick, dass die Euthanasier die wahren Priester sind.«
Mabel atmete befriedigt auf und erhob sich.
»Oliver, du verstehst es wirklich, einen zu trösten. Ich habe dich sehr lieb. So, und nun muss ich in mein Zimmer gehen, ich zittre immer noch.« —
In der Mitte des Zimmers hielt sie an und sah auf einen ihrer Schuhe.
»Wie —«, bemerkte sie leise.
Ein sonderbarer, rostfarbener Fleck war darauf, und ihr Gatte bemerkte, dass sie erbleichte. Er stand hastig auf.
»Meine Liebe«, sagte er, »sei nicht töricht.«
Sie sah ruhig lächelnd zu ihm auf und verließ das Zimmer.
Nachdem sie gegangen war, blieb er noch einen Augenblick ruhig sitzen. Wie glücklich er doch war! Er konnte sich das Leben ohne sie gar nicht vorstellen. Vor sieben Jahren — sie war damals zwölf Jahre alt — hatte er sie kennengelernt, und voriges Jahr waren sie zusammen zum Standesbeamten gegangen, um den Ehebund zu schließen. Sie war ihm wirklich unentbehrlich geworden. Freilich hätten die Welt und er auch ohne sie fortbestehen können, aber es wäre ihm doch nicht lieb gewesen, es versuchen zu müssen. Er wusste es wohl, denn dies waren seine Ansichten in Bezug auf weltliche Liebe, dass zwischen ihnen eine zweifache Zuneigung, eine intellektuelle sowohl, als auch eine physische bestand; aber darüber hinaus gab es nichts. Doch gefielen ihm ihre schnelle Auffassungsgabe und die Übereinstimmung zwischen ihren und seinen Anschauungen. Man hätte meinen mögen, es wären zwei Flammen, die sich zu einer Dritten, größeren vereint hatten: Wohl hätte eine jede derselben für sich allein brennen können — eine derselben wird ja schließlich einmal übrig bleiben müssen —, doch konnte man sich inzwischen der Wärme und des Lichtes erfreuen, die sie beide ausstrahlten. Ja, mehr als glücklich war er, dass sie durch einen glücklichen Zufall dem herabstürzenden Flugschiffe entkommen war.
Über seine Darlegung des christlichen Glaubens machte er sich keine Gedanken mehr; für ihn galt es als ausgemacht, dass Katholiken diese Art Dinge glaubten; sie so darzustellen, wie er getan hatte, kam ihm ebenso wenig blasphemisch vor, als wenn man über einen Fidschigötzen mit Perlmutteraugen und einer Perücke aus Pferdehaaren lachen würde; es war einfach unmöglich, dabei Ernst zu bewahren. Auch er hatte ein- oder zweimal in seinem Leben sich gewundert, wie es möglich sei, dass menschliche Geschöpfe solchen Plunder glauben konnten; aber die Psychologie hatte ihn verstehen gelehrt, dass Suggestion so ziemlich alles zu bewirken imstande sei; das stand darum für ihn vollkommen fest. Es war auch wieder dieses abscheuliche Ding, dieses Christentum, welches so lange das Umsichgreifen der Bewegung zugunsten der Euthanasie mit all ihren so wohltätigen Folgen gehemmt hatte.
Seine Augenbrauen zogen sich zu einer Falte zusammen bei dem Gedanken an den Ausruf seiner Mutter: »Gebe Gott!« Er lächelte über das arme, alte Ding mit seinem pathetisch-kindischen Wesen und wandte sich wieder seinem Schreibtische zu. Unwillkürlich kehrten seine Gedanken zu Mabel zurück, zu ihrem Erbleichen, als sie des Blutfleckens auf ihrem Schuh gewahr geworden war. Ja, es war eine Tatsache, die sich nicht leugnen ließ. Wie sollte man sie erklären? Wohl am einfachsten durch den erhabenen Glauben an die Menschheit, an diesen wundervollen Gott, der an die zehntausendmal im Tage starb und auferstand, der täglich gestorben war, seitdem die Welt bestand, wie einst jener alte, verrückte Fanatiker Saulus von Tarsus, und sich wieder erhob, nicht nur einmal, wie der Sohn jenes Zimmermanns, sondern mit jedem Kinde, das neu zur Welt kam. Das war die Antwort; und war sie etwa nicht überwältigend erschöpfend?
Eine halbe Stunde später trat Mr. Phillips ein, wieder mit einem Bündel Papiere.
»Keine weiteren Nachrichten aus dem Osten?«, fragte er ihn.
1.
Die Korrespondenz mit dem Kardinalprotektor von England beschäftigte Percy Franklin täglich direkt mindestens zwei Stunden, und indirekt nahezu acht.
In den letzten acht Jahren hatte der Heilige Stuhl, den modernen Bedürfnissen entsprechend, seine gewohnte Methode einer Revision unterzogen, und jede wichtige Kirchenprovinz des gesamten Erdkreises besaß nun nicht nur einen sie leitenden Metropoliten, sondern auch einen Vertreter in Rom, dessen Aufgabe es war, einerseits mit dem Papste, andrerseits mit den Diözesanen, die er vertrat, in direkter Verbindung zu stehen. Mit anderen Worten, die Zentralisation hatte, Hand in Hand mit den Gesetzen des Lebens, rasche Fortschritte gemacht, und damit auch die Freiheit in der Methode und die Ausdehnung der Macht. Englands Kardinalprotektor war Abt Martin, ein Benediktiner, und es war Percys Aufgabe, wie auch die eines Dutzend weiterer Bischöfe, Priester und Laien (mit denen, beiläufig erwähnt, jede Form von Beratung ihm verboten war), jenem täglich in einem langen Briefe Bericht zu erstatten über die Dinge, die zu seiner Kenntnis kamen.
Es war daher ein merkwürdiges Leben, das, Percy führte. Er hatte im erzbischöflichen Palais zu Westminster ein paar Zimmer angewiesen erhalten und gehörte, wenn ihm auch weitgehende Freiheit gelassen war, zu dem Kapitel der Kathedrale. Er erhob sich früh, widmete eine Stunde der Betrachtung, worauf er seine Messe las. Dann frühstückte er, betete ein wenig Brevier und machte sich an den Entwurf seines Berichtes. Um zehn Uhr stand er Besuchern zur Verfügung und war dann gewöhnlich bis Mittag in Anspruch genommen teils von jenen, die freiwillig kamen und ihn zu sprechen wünschten, teils von seinem Stabe, von einem halben Dutzend Berichterstattern, die ihm angezeichnete Artikel aus Zeitungen nebst ihren eigenen Bemerkungen dazu zu besorgen hatten. Dann speiste er gemeinsam mit den übrigen Priestern des Hauses; nach Tisch ging er aus, Leute aufzusuchen, deren Ansichten zu hören ihm notwendig erschien; kurz nach sechzehn Uhr pflegte er zurückzukehren zu einer Tasse Tee. Nach Beendigung seines Breviers und einem Besuch beim heiligsten Altarssakrament schloss er sich ein, seinen Brief abzufassen, der bei aller Kürze doch bedeutende Aufmerksamkeit und genaue Abwägung erforderte. Nach dem Abendessen machte er sich einige Notizen für den nächsten Tag, empfing wieder Besuche und ging bald nach zweiundzwanzig Uhr zur Ruhe. Zweimal in der Woche war er verpflichtet,