Der Herr der Welt. Robert Hugh Benson

Der Herr der Welt - Robert Hugh Benson


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flat­ternd und schla­gend, ei­nem ver­en­den­den, grau­si­gen, be­flü­gel­ten Un­tie­re gleich, mensch­li­che Schreie aus­sto­ßend und fast so­fort be­gin­nend, in ge­bro­che­ner Le­bens­kraft ein­her­zu­krie­chen.

      Ma­bel wuss­te kaum mehr, was nun ge­sch­ah; aber einen Au­gen­blick spä­ter ward sie durch einen hef­ti­gen Druck von rück­wärts nach vorn ge­drängt, bis sie, vom Kopf bis zu den Fü­ßen zit­ternd, vor ei­ner form­lo­sen Mas­se, dem zer­malm­ten, stöh­nen­den und sich win­den­den Kör­per ei­nes zu ih­ren Fü­ßen lie­gen­den Man­nes stand. Et­was wie ar­ti­ku­lier­te Lau­te stieß er aus; sie un­ter­schied deut­lich die Na­men: Je­sus und Ma­ria.

      »Las­sen Sie mich durch, ich bin ein Pries­ter«, drang es plötz­lich an ihr Ohr.

      1 Ori­gi­nal: »mi­nis­ters of eutha­na­sia«, in der ers­ten Fas­sung sinn­los mit »Die­ner Eutha­na­si­as« über­setzt. <<<

      3.

      Oli­ver war von ei­nem pa­ni­schen Schre­cken be­fal­len, als sei­ne Mut­ter eine hal­be Stun­de dar­auf mit der Nach­richt her­ein­stürz­te, ei­nes der Re­gie­rungs­flug­schif­fe sei eben, als der Vier­zehn­ein­halb-Uhr-Zug sei­ne Pas­sa­gie­re in Brighton ab­ge­setzt hat­te, auf den Bahn­hofs­platz her­ab­ge­stürzt. Er wuss­te nur zu ge­nau, was das zu be­deu­ten hat­te, denn er er­in­ner­te sich ei­nes sol­chen vor zehn Jah­ren er­folg­ten Un­glückes, kurz nach­dem das Ge­setz er­las­sen wor­den war, das Pri­vat­flug­schif­fe ver­bot. Es be­deu­te­te, dass je­des dar­auf be­find­li­che le­ben­de We­sen ge­tö­tet war und wahr­schein­lich noch vie­le an­de­re, die sich auf dem Plat­ze, auf den es ge­stürzt war, be­fun­den hat­ten, — und was dann? Der Be­richt war nur zu klar: Sie muss­te um die­se Zeit auf dem Plat­ze ge­we­sen sein.

      Er sand­te eine ver­zwei­fel­te De­pe­sche an ihre Tan­te und war­te­te, auf sei­nem Stuhl hin- und her­rückend, auf die Ant­wort. Sei­ne Mut­ter saß bei ihm.

      »Gebe Gott —«, schluchz­te sie auf und hielt ver­le­gen inne, als er sich plötz­lich nach ihr wand­te.

      Aber das Schick­sal war gnä­dig ge­we­sen, und drei Mi­nu­ten, be­vor Mr. Phil­lips mit der Ant­wort den Pfad ent­lang­hum­pel­te, trat Ma­bel selbst ins Zim­mer, ziem­lich blass und lä­chelnd.

      »Him­mel!«, rief Oli­ver, tief auf­at­mend, wäh­rend er auf­sprang.

      Sie hat­te ihm nicht viel zu er­zäh­len; es war noch kei­ne Er­klä­rung des Un­glückes ver­öf­fent­licht.

      Sie be­schrieb den Schat­ten, das Zi­schen und den Krach des Fal­les. Dann stock­te sie.

      »Nun, mei­ne Lie­be?«, frag­te ihr Gat­te, des­sen Wan­gen noch von ei­ner ziem­li­chen Bläs­se be­deckt wa­ren, wäh­rend er sich nahe zu ihr her­an­setz­te und ihre Hand strei­chel­te.

      »Es war ein Pries­ter da­bei«, sag­te Ma­bel, »ich sah ihn schon vor­her auf der Sta­ti­on.«

      Oli­ver konn­te sich ei­nes et­was krampf­haf­ten La­chens nicht ent­hal­ten.

      »Er lag mit sei­nem Kru­zi­fix so­fort auf den Kni­en«, fuhr sie fort, »noch ehe die Ärz­te er­schie­nen. Sag’ mir ein­mal, mein Lie­ber, glau­ben die Leu­te tat­säch­lich al­les die­ses?«

      »Wa­rum nicht? Sie den­ken we­nigs­tens, es zu glau­ben«, sag­te Oli­ver.

      »Es kam al­les so — so plötz­lich, und er stand da, wie wenn er al­les er­war­tet hät­te. Oli­ver, wie kön­nen sie nur?«

      »Wes­halb? Die Leu­te wer­den an al­les glau­ben, wenn sie nur früh­zei­tig da­mit be­gin­nen.«

      »Und der Mann schi­en eben­falls dar­an zu glau­ben, — der Ster­ben­de, mei­ne ich. Ich sah es in sei­nen Au­gen.«

      Sie stock­te.

      »Nun, mei­ne Lie­be?«

      »Oli­ver, was wür­dest du ei­nem Ster­ben­den sa­gen?«

      »Sa­gen? Nichts, na­tür­lich! Was könn­te ich sa­gen? Aber ich glau­be nicht, dass ich je­mals je­man­den ster­ben sah.«

      »Auch ich nicht, bis heu­te«, sag­te die jun­ge Dame und schau­der­te ein we­nig. »Die Eutha­na­sie­leu­te wa­ren bald an der Ar­beit.«

      Oli­ver nahm sie sanft bei der Hand.

      »Mein Lieb­ling, es muss­te ent­setz­lich ge­we­sen sein. Wie, du zit­terst ja im­mer noch?«

      »Nein, aber höre ein­mal … Weißt du, wenn ich ir­gen­det­was hät­te sa­gen sol­len, hät­te ich es auch tun kön­nen. Sie la­gen alle ge­ra­de vor mir, ich war ver­wirrt; dann aber wuss­te ich, dass ich nichts zu sa­gen hat­te. Ich hät­te doch nicht gut von Hu­ma­ni­tät spre­chen kön­nen.«

      »Mei­ne Lie­be, es ist ja be­dau­er­lich, aber du weißt, es liegt wirk­lich nicht viel dar­an. Es ist ja al­les schon vor­über.«

      »Und — und sie ha­ben so­gleich ein Ende ge­macht?«

      »Frei­lich, ja!«

      Ma­bel press­te ihre Lip­pen ein we­nig zu­sam­men, de­nen ein schwe­rer Seuf­zer ent­fuhr. Eine Art in­ne­rer Un­ru­he, die sie nach­denk­lich mach­te, war wäh­rend der Rück­fahrt über sie ge­kom­men. Sie wuss­te be­stimmt, es wa­ren nur die Ner­ven, aber sie konn­te der­sel­ben noch nicht Herr wer­den. Es war, wie sie ge­sagt, das ers­te Mal, dass sie den Tod ge­se­hen hat­te.

      »Und je­ner Pries­ter — je­ner Pries­ter denkt auch so?«

      »Mei­ne Lie­be, lass dir sa­gen, was er glaubt. Er glaubt, dass der Mann, dem er das Kru­zi­fix vor­ge­hal­ten und über den er jene Wor­te ge­spro­chen hat, nun ir­gend­wo an­ders lebt, ob­wohl sein Ge­hirn tot ist; er weiß nicht ganz si­cher, wo, aber ent­we­der ist er in ei­ner Art Hochofen, um lang­sam ver­brannt zu wer­den, oder, wenn er Glück ge­habt und je­nes Stück Holz sei­ne Wir­kung ge­tan hat, ir­gend­wo über den Wol­ken vor drei Per­so­nen, die aber nur eins sind, ob­wohl es drei sind; er glaubt, dass dort noch eine große Men­ge and­rer Leu­te sind, fer­ner


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