Der Herr der Welt. Robert Hugh Benson
Felsenburgh?«
»Mein liebes Kind, das fragt man sich allgemein. Man weiß nur, dass er im letzten Moment der amerikanischen Abordnung beigegeben wurde. Der ›Herald‹ brachte vorige Woche seine Lebensbeschreibung, die aber als nicht den Tatsachen entsprechend bezeichnet wurde. So viel ist gewiss, dass er noch sehr jung und bisher nie hervorgetreten ist.«
»Nun, jetzt ist er hervorgetreten.«
»Gewiss, es scheint, als wäre er der Macher der ganzen Sache. Von den anderen hört man nie ein Wort. Es ist ein Glück, dass er auf der richtigen Seite steht.«
»Und was ist deine Meinung?«
Oliver blickte wieder nachdenklich durch das Fenster. »Ich glaube, es ist ein Versteckspiel«, sagte er. »Das einzige Eigentümliche an der Sache ist nur, dass kaum jemand sie sich wirklich vorzustellen scheint. Sie übersteigt allem Vermuten nach jede Einbildungskraft. Daran ist nicht zu zweifeln, dass der Osten während der letzten fünf Jahre sich zu einem Einfall in Europa gerüstet hat. Nur durch Amerika wurde er davon zurückgehalten; es ist ein letzter Versuch, ihn wenigstens zu hemmen. Warum aber Felsenburgh sich vordrängt —« brach er ab. »Jedenfalls muss er ein guter Linguist sein. Dies ist wenigstens das fünfte Mal, dass er zu einer Menge spricht. Vielleicht ist er nur der amerikanische Dolmetscher. Gott! Ich möchte wissen, wer er ist.«
»Hat er noch einen anderen Namen?«
»Julian, glaube ich, eine Depesche sagte es.«
»Wie gelangte diese her?«
Oliver schüttelte den Kopf.
»Privatunternehmen«, sagte er. »Die europäischen Agenturen haben die Arbeit eingestellt. Jedes Telegrafenamt wird Tag und Nacht bewacht. Scharen von Flugschiffen kreuzen an jeder Grenze. Das Reich hat offenbar die Absicht, die Angelegenheit ohne uns zu ordnen.«
»Und wenn es schlimm geht?«
»Meine liebe Mabel, — wenn die Hölle losbricht —« er machte eine abwehrende Bewegung.
»Und was tut die Regierung?«
»Man arbeitet Tag und Nacht; ebenso das übrige Europa; es wäre fürchterlich, wenn es zum Kriege käme.«
»Und stehst du keinen Ausweg?«
»Ich sehe zwei Wege«, antwortete Oliver langsam. »Entweder sie fürchten sich vor Amerika und überlegen es sich, das Feuer zu schüren, oder Sie werden durch die Nächstenliebe dazu gebracht, ihre Hand zurückzuhalten; wenn man sie nur dazu bringen könnte, zu begreifen, dass im Zusammenarbeiten die einzige Hoffnung für die Welt liegt. Aber ihre verdammten Religionen —«
Die junge Frau seufzte und sah hinaus über das weite Dächermeer zu ihren Füßen.
Die Lage war in der Tat so ernst, als sie nur sein konnte. Jenes gewaltige Reich, bestehend aus einem Staatenbund unter der Leitung des Sohnes des Himmels — es war durch Verschmelzung der japanischen mit der chinesischen Dynastie und den Fall Russlands entstanden —, hatte seine Kräfte gefestigt und war sich seiner eigenen Macht während der letzten fünfunddreißig Jahre bewusst geworden, seitdem in der Tat es seine dürre gelbe Hand auf Australien und Indien gelegt hatte. Während die übrige Welt die Unvernunft des Kriegführens kennen gelernt, hatte jene, nachdem die russische Republik dem vereinten Angriff der gelben Rasse unterlegen war, an sich gerissen, was ihr erreichbar war. Es schien jetzt, als ob die Zivilisation des abgelaufenen Jahrhunderts nochmals in das Chaos zurückgeschwemmt werden sollte, aus dem sie entstanden. Nicht, als ob man sich Sorge machte wegen der gelben Rasse. Es waren deren Herrscher, welche, nach einer nahezu ewig dauernden Lethargie begonnen hatten, sich zu regen, und es war schwer, einzusehen, wodurch diese nunmehr wieder hätten zur Ruhe gebracht werden können. Es lag außerdem etwas Grimmerregendes in dem Gerücht, dass religiöser Fanatismus die Triebfeder der Bewegung sei, und dass der so lange geduldige Osten sich endlich daran mache, durch die modernen Ausgleichsmittel von Feuer und Schwert diejenigen zu bekehren, die zum größten Teile jeden religiösen Glauben, außer den an die Menschheit, abgelegt hatten.
Für Oliver war die Sache einfach zum Verstandesverlieren. Wenn er aus seinem Fenster herniederblickte und, soweit der Horizont reichte, dieses London so friedlich vor sich liegen sah, wenn seine Gedanken über Europa hinflogen und überall dem vollkommenen Triumph des Menschenverstandes und seiner Werke über die ungenießbaren Ammenmärchen des Christentums begegneten, da schien es ihm unerträglich, dass es auch nur eine Möglichkeit geben sollte, all das wieder zurückzuwerfen in das unmoderne, ja barbarische Gestreite der Sekten und Dogmen, denn nichts anderes als dieses würde die Folge sein, wenn der Osten seine Hand auch noch auf Europa legte. Ja, selbst der Katholizismus würde wieder aufleben, sagte er sich, dieser eigentümliche Glaube, der stets neu aufgeflammt war, so oft die Verfolgung zum vernichtenden Schlage gegen ihn ausgeholt hatte; und nach Olivers Dafürhalten war von allen Glaubensformen der Katholizismus die groteskeste und erniedrigendste. Diese Aussicht beunruhigte ihn in seinem Innersten weit mehr als der Gedanke an die physische Katastrophe und das Blutvergießen, das über Europa hereinbrechen musste mit dem Heraufziehen des Ostens. Es gab nur eine Hoffnung, von religiöser Seite her, wie er Mabel dutzendmal auseinandergesetzt hatte, und sie bestand darin, dass es dem quietistischen Pantheismus, der im Verlaufe des letzten Jahrhunderts im Osten wie im Westen, unter Mohammedanern, Buddhisten, Hindus, unter den Anhängern des Konfuzius und anderer Religionen solche Riesenfortschritte gemacht hatte, gelingen würde, den religiösen Wahnsinn, von dem diese exoterischen Brüder des Ostens befallen waren, zu besiegen. Pantheismus war nach Olivers Begriffen das, was er selbst war; ihm war »Gott« die Summe des in steter Weiterentwicklung begriffenen, geschaffenen Lebens, und unpersönliche Einheit war das Wesen des Seins dieses »Gottes«. Ehrgeiz war ihm die große Häresie, welche die Menschen im Gegensatz zueinander brachte und den Fortschritt hinderte, denn nach seiner Meinung lag der Fortschritt in dem vollkommenen Aufgehen des Einzelnen in der Familie, der Familie im Gemeinwesen, im Staate, des Staates im Kontinent, und des Kontinents in der Welt. Die Welt endlich war selbst und zu jeder Zeit nicht mehr als der Ausdruck unpersönlichen Lebens. Es war in der Tat der katholische Gedanke unter Beiseitelassung des übernatürlichen, eine Zusammenfassung irdischer Schicksale, ein Aufgeben des Individualismus auf der einen