Der Herr der Welt. Robert Hugh Benson
ihn umgebenden Stühle ruhig und aufrecht heraustrat, das Birett wieder auf dem weißen Haar, bemerkte er eine alte Frau, die ihn aufmerksam beobachtete. Er zögerte einen Moment, ungewiss, ob sie etwa zu beichten wünschte, und da sie dieses Zögern gewahrte, schritt sie auf ihn zu.
»Verzeihen Sie, Herr«, begann sie.
Es schien also keine Katholikin zu sein. Er lüftete sein Birett.
»Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte er.
»Verzeihen Sie, Herr, aber waren Sie in Brighton, bei dem Unglück vor zwei Monaten?«
»Gewiss.«
»Ah, ich dachte es mir; meine Schwiegertochter sah Sie damals.«
Percy fing an, ungeduldig zu werden; es ärgerte ihn ein wenig, sogleich an seinem, zu seiner Jugend so stark kontrastierenden Haare wiedererkannt zu werden.
»Waren Sie dort, Madame?«
Zweifelnd und neugierig blickte sie ihn an, ihre alten Augen an seiner Figur auf- und abgleiten lassend. Dann sammelte sie sich.
»Nein, Herr, es war meine Schwiegertochter, — verzeihen Sie, Herr, aber —«
»Nun?«, fragte Percy und gab sich Mühe, die Ungeduld aus seiner Stimme fernzuhalten.
»Sind Sie der Erzbischof, Herr?«
Der Priester lächelte, sodass seine weißen Zähne zwischen den Lippen sichtbar wurden.
»Nein, Madame, ich bin nur ein einfacher Priester. Der Erzbischof ist Dr. Cholmondeley. Mein Name ist Percy Franklin.«
Sie sagte nichts, aber während sie ihn noch anblickte, machte sie einen etwas altmodischen Knicks, und Percy schritt der dunklen, reich geschmückten Kapelle zu, um seine Andacht zu verrichten.
1 Calvaria, die Schädelstätte (Übersetzung des hebräischen »Golgatha«) <<<
3.
Die Unterhaltung der Priester beschäftigte sich an jenem Abend bei Tisch sehr lebhaft mit der außerordentlichen Ausbreitung des Freimaurertums. Seit vielen Jahren hatte dieses nun zugenommen, und die Katholiken waren sich der Gefahren desselben vollkommen bewusst, denn die Zugehörigkeit zu dieser geheimen Gesellschaft war durch deren unzweideutige Verdammung durch die Kirche unvereinbar geworden mit dem Glauben. Es blieb dem Menschen nur die Wahl zwischen jener und seinem Glauben. Die Entwicklung war während des letzten Jahrhunderts eine außerordentliche gewesen. Zuerst hatte der organisierte Angriff auf die Kirche Frankreichs stattgefunden, und was die Katholiken längst vermutet hatten, wurde dann zur Gewissheit durch die Enthüllungen des Jahres 1918, die P. Gerome, ein Dominikaner und ehemaliger Freimaurer, über die Loge gemacht hatte. Da war es offenkundig geworden, dass die Katholiken recht hatten, und dass die Loge, wenigstens in ihren höheren Graden, allenthalben verantwortlich war für die auffallende Bewegung gegen die Religion. Wohl war der Eindruck auf die öffentliche Meinung ein gewaltiger, aber P. Gerome, sein Urheber, war bald darauf gestorben. Dann kamen die großartigen Spenden in Frankreich und Italien an Spitäler, Waisenhäuser und für ähnliche Zwecke, und wiederum begann der Verdacht zu schwinden. Dadurch schien es — und dieser Anschein hatte auch bis jetzt noch bestanden — seit siebzig Jahren und mehr, dass die Freimaurerei nichts als eine weitverzweigte, philanthropische Gesellschaft sei. Nun begannen von Neuem Zweifel daran aufzusteigen.
»Ich höre, dass Felsenburgh Freimaurer ist«, bemerkte Monsignore Macintosh, der Administrator der Kathedrale, »Großmeister oder so etwas.«
»Wer ist denn Felsenburgh?« warf ein junger Priester ein.
Monsignore schüttelte den Kopf.
»Er ist ein Geheimnis«, meinte ein anderer Priester, Father Blackmore, »aber er scheint große Aufregung hervorzurufen. Seine Lebensbeschreibung wurde heut auf dem Kai feilgeboten.«
»Vor drei Tagen«, warf Percy ein, »traf ich einen amerikanischen Senator, der mir sagte, dass selbst dort nichts von ihm bekannt sei, als seine außerordentliche Sprachgewandtheit. Er trat erst vergangenes Jahr hervor und scheint durch seine ganz ungewöhnlichen Methoden allein alles angeordnet zu haben. Dazu ist er ein bedeutender Linguist. Das ist auch der Grund, weshalb er nach Irkutsk mitgenommen wurde.«
»Ja, die Freimaurer, —«, fuhr Monsignore fort. »Es ist eine sehr ernste Sache. Im vergangenen Monat habe ich durch sie vier meiner Beichtkinder verloren.«
»Die Zulassung der Frauen war ihr Hauptstreich«, murmelte Father Blackmore, indem er sich noch etwas Rotwein einschenkte.
»Es ist merkwürdig, dass sie damit so lange zögerten«, bemerkte Percy.
Auch einige andere äußerten sich in diesem Sinne. Es schien, dass auch sie in letzter Zeit durch das Umsichgreifen der Freimaurerei Beichtkinder eingebüßt hatten. Auch wurde die Vermutung geäußert, dass oben, in der Kanzlei des Erzbischofs, ein Hirtenbrief sich in Vorbereitung befinde, der sich mit der Frage befasse.
Monsignore schüttelte bedeutungsvoll den Kopf. »Es braucht mehr als das«, meinte er.
Percy erinnerte daran, dass die Kirche ihr letztes Wort in der Sache ja bereits vor einigen Jahrhunderten gesprochen habe: Sie hatte alle Mitglieder geheimer Gesellschaften mit der Exkommunikation belegt und damit alles getan, was sie tun konnte.
»Ausgenommen, die Sache immer und immer wieder ihren Kindern vorzustellen«, fügte Monsignore bei; »ich werde nächsten Sonntag darüber predigen.«
Percy machte sich, als er wieder auf seinem Zimmer war, eine kurze rasche Notiz, entschlossen, auf diese Angelegenheit in seinem nächsten Schreiben an den Kardinalprotektor nochmals zurückzukommen. Öfters hatte er schon in früheren Berichten des Freimaurertums erwähnt, aber es schien ihm Zeit, abermals die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Dann begab er sich daran, die vorgefundenen Briefe zu öffnen, zuerst jenen, den er als von der Hand des Kardinals kommend erkannte.
Es war ein merkwürdiges Zusammentreffen, dass, als er eine Reihe von Fragen überflog, die Kardinal Martins Brief enthielt, eine derselben sich eben auf diese Angelegenheit bezog, von der man bei Tisch gesprochen hatte. Sie lautete: »Was haben Sie über die Freimaurer zu berichten? Felsenburgh