AUF MESSERS SCHNEIDE (The End 6). G. Michael Hopf
Conner, Ihnen noch Ihrem Nachfolger, wer auch immer das sein wird. Sie haben den Osten fallen lassen, auf dass er zugrunde geht, ihn abgestoßen; dann sind Sie in Ihr Versteck abgehauen und haben den Versorgungsstrom abgebrochen, sodass der Rest des Landes praktisch auf sich allein gestellt blieb, woraufhin sich weitere Fragen bezüglich Ihrer Einstellung erübrigt haben. Alles, was leben soll, braucht Zuwendung und Unterstützung. Mit ihrer Weigerung, weiterhin Hilfe zu leisten, haben Sie dazu beigetragen, die letzten Verbindungen zu kappen, die das Land geeint haben.«
Cruz blieb sitzen und ließ Gordons Schelte über sich ergehen. Der Mann urteilte durchaus nicht falsch; ehrlich gesagt musste er ihm bis zu einem gewissen Grad recht geben.
Er fuhr mit seiner Zurechtweisung fort. »Die Vereinigten Staaten werden niemals vergehen, doch das Land, so wie Sie es bislang kannten, existiert nicht mehr. Passen Sie auf das Gebiet auf, das Sie halten, machen Sie es stark; dann, nachdem Sie bewiesen haben, dass Sie eine Vereinigung sind, die es wert ist, Anschluss zu ihr zu suchen, ziehen Sie los und wenden Sie sich an jene, die sich abgewandt haben, und finden Sie heraus, ob sie freiwillig zurückkehren möchten.«
»Kein Anruf«, sagte Cruz, indem er das Telefon hochhielt. »Es sind jetzt zehn Minuten, vielleicht mehr.«
Gordon schaute wieder auf seine Uhr. »Es kann sich nur um eine Verzögerung handeln, da meldet sich schon noch jemand.«
»Ich habe mir alles angehört und kann es verstehen, stehe aber wie erwähnt unter einem Eid. Nicht jeder in jenen Bundesstaaten ist ein Rebell; einige halten uns nach wie vor die Treue. Ich kann sie nicht aufgeben.«
»Die dürfen bleiben oder gehen; die Wahl steht ihnen frei.«
Endlich läutete das Telefon, wobei Cruz zusammenzuckte. Er fummelte hektisch daran herum, bevor er den Anruf entgegennahm. »Ja.« Ein Nicken, dann fragte er: »Wie schlimm?« Noch ein Nicken. »Mit mir ist alles in Ordnung, ja. Mir geht es gut.« Während er Gordon anschaute, wiederholte er dies. »Mir geht es gut.«
Sein Gegenüber nickte ebenfalls.
»Nein, Sie brauchen mich nicht abzuholen; lassen Sie mich diese Besprechung ordentlich zu Ende führen. Oh, haben Sie erwähnt, dass ich hier bin? Nein. Gut. Tun Sie es auch nicht; das muss geheim bleiben, um jeden Preis.« Damit trennte er die Verbindung. Nachdem er das Gerät auf seinen Schoß gelegt hatte, rieb er mit einem Daumen über die Anzeige. Dabei kaute er auf seiner Unterlippe, ohne den Kopf anzuheben, und sagte: »In der katholischen Kirche St. Mary's wurde eine Bombe gezündet. Einundfünfzig Menschen sind tot, womöglich mehr; im Moment kann man die Zahl nicht genau bestimmen.«
»Ich habe Sie gewarnt.«
Nun schaute Cruz auf. »Ich wäre zur Weihnachtsmesse dort gewesen, wenn Sie nicht darauf bestanden hätten, sich hier mit mir zu treffen.«
»Tut mir leid«, entgegnete Gordon betrübt.
»Woher weiß ich, dass das kein Trick ist, kein kranker, ausgeklügelter Plan, den Sie sich ausgedacht haben?«
»Seien Sie sich dessen einfach sicher.«
»Mehr Informationen haben Sie nicht? Nur dass ein Attentat auf mich unmittelbar bevorstand?«
»Das ist alles, was ich erfahren habe. Meine Quelle gab an, man wolle Sie unschädlich machen, und dies sei der Erste von mehreren Anschlägen.«
»Wer ist ›man‹?«
»Das ist der Haken, ich weiß es nicht«, antwortete Gordon. Er kannte die Kontaktperson wirklich nicht, die sich Monate zuvor an ihn gewandt hatte und sich seitdem regelmäßig mit ihm kurzschloss.
Cruz stand enttäuscht auf und begann, hin und her zu gehen. »Was Sie also mit mir abmachen möchten, beruht darauf, dass Sie uns Informationen geben? Zudem gehe ich davon aus, dass Sie mehr mit uns zu teilen haben.«
»Das sollte ich, ja.«
»Sollte?«
»Was ich Ihnen heute erzählt habe, bekam ich sozusagen auf Treu und Glauben gesagt«, erklärte Van Zandt, »oder als Beweis dafür, dass meine Quelle über solche Informationen verfügt.«
»Und im Gegenzug für diese Informationen verlangen Sie was von mir?«
»Ich verlange, dass Sie alle Streitkräfte aus Olympia und dem Westen Washingtons abrücken. Ferner will ich einen Vertrag mit Ihnen schließen, in dem Sie die Republik Kaskadien als freie, unabhängige Nation anerkennen.«
Cruz blieb stehen und drehte sich zu Gordon um. »Versichern Sie mir noch einmal, dass Sie nicht selbst hinter dem Angriff gerade eben stecken. Wie kann ich da sicher sein?«
»Gar nicht, schätze ich; ich kann nur beteuern, nichts damit zu tun zu haben. Es war ohnehin nicht der erste Anschlag auf Cheyenne.« Hiermit erinnerte Gordon an bisherige Konfrontationen der USA mit Terroristen und Widerständlern.
Cruz spürte, dass sein Gesprächspartner die Wahrheit sagte; darum hatte er seine Familie auch in den Cheyenne Mountain zurückkehren lassen. »Wer war es dann?«, fragte er nun.
Gordon lehnte sich zurück. »Ich weiß es nicht – noch nicht.«
Cruz kam mit großen Schritten auf ihn zu und blieb dicht vor dem Tisch stehen. Er schaute Van Zandt von oben herab an und sprach: »Eben ist eine Bombe in einer Kirche explodiert und hat Dutzende getötet. Geben Sie mir die Telefonnummer Ihrer Quelle, ich will selbst mit ihr reden.«
»Die Nummer bringt Ihnen nichts«, erwiderte Gordon. »Ich habe diesbezüglich bereits selbst nachgeforscht. Wenn man sie anruft, meldet sich niemand.«
»Uns stehen mehr Hilfsmittel zur Verfügung als Ihnen, also geben Sie sie mir«, beharrte Cruz.
»Und was bekomme ich dafür?«
»Jemand ermordet mehr als fünfzig Menschen, und ich muss diese Informationen erkaufen?«
»Ja. Ich bin hier, um für meine Unterstützer Freiheit auszuhandeln, und der Preis dafür sind Informationen.«
Der Stehende brauste auf. »Sie spielen mit mir.«
»Das tue ich nicht«, gab Van Zandt in entsprechendem Ton zurück. »Es ist tragisch, was heute passiert ist, und Sie müssen sich auf mehr gefasst machen, doch ich bin nicht bereit, einfach so etwas derart Wertvolles ohne Gegenleistung weiterzugeben.«
Cruz rieb erneut mit den Zähnen an seiner Unterlippe und wandte sich ab. Er kochte vor Wut, weil sein Gegner mit ihm feilschte und schacherte.
»Kommen wir nun ins Geschäft?«, drängte Gordon.
»Warum versucht man mich umzubringen?«
»Weil Sie der Präsident der Vereinigten Staaten sind.«
»Aber was ist der Grund dafür? Warum sollte mich jemand loswerden wollen? Ich bin nicht Conner, ja sogar das Gegenteil von ihm. Die Widerstandsbewegung kann es nicht sein; soweit ich gehört habe, nähert sie sich mir allmählich an.«
»Ich glaube aber, dass es die Widerstandsbewegung ist, vermutlich irgendein radikaler Flügel, dessen Mitglieder denken, ein Neubeginn sei nur möglich, indem man sich vom alten Regime befreit, und Sie, mein Freund, repräsentieren dieses Regime noch.«
»Was wollen die?«, fragte Cruz.
»Ihren Tod.«
»Nein, das meine ich nicht. Worauf zielen sie ab? Wollen sie, dass unsere Ordnung zusammenbricht? Dass wir uns zurückziehen und hinter dem Stacheldraht, den Betonwänden und Barrikaden von Cheyenne verstecken?« Cruz Stimme klang klagend. Er ließ sich wieder auf einen Stuhl fallen und starrte ins Leere.
»Vielleicht ist es etwas Persönlicheres«, spekulierte Gordon.
Cruz dachte darüber nach. Wer würde ihn am liebsten tot sehen? Wer hasste ihn persönlich?
»Hören Sie, das ist alles, was ich weiß. Ich habe sechsmal mit dieser Person gesprochen, einem Mann. Er nannte mir seinen Namen nicht, ist im Bild über Ihr Tun und muss gewusst haben, dass Sie diesen Gottesdienst besuchen würden.«