AUF MESSERS SCHNEIDE (The End 6). G. Michael Hopf
fand Cruz, doch laut dem, was Baxter zuletzt über ihn gehört hatte, sollte er zu den Kirchenbesuchern gehören. Schnell drängten sich Gedanken darüber auf, wie man den Machtwechsel vollziehen solle. Da noch niemand zum Vize ernannt worden war, würde das Präsidentenamt Edward Williams zufallen, dem Staatssekretär. Er hatte diesen Posten nach Wilburs Tod übernommen, und Cruz hatte es für notwendig erachtet, jeden an Ort und Stelle zu behalten, der bereits anwesend war. Er hatte Williams gemocht und geglaubt, mit ihm arbeiten zu können, solange er so ruhig und besonnen blieb, wie er ihm während der vorangegangenen Monate vorgekommen war. Im Gegensatz zu Wilbur fiel Williams nicht mit der Tür ins Haus und handelte unvoreingenommen. Er war einfach gesagt locker und entspannt. Außerdem hatte der Präsident festgestellt, dass er sich leicht überzeugen ließ, und sah dies als seinen größten Vorzug.
Das Gestöhn und Geschrei der Verwundeten hallte von den verkohlten, bröckelnden Mauern wider.
Dieses Blutbad sehen zu müssen tat Baxter weh, auch weil solche Eindrücke etwas allzu Alltägliches wurden. Die ersten Angriffe hatten aufs Militär abgezielt; jetzt sah es so aus, als habe man die Regierung in ihrem Herzen treffen wollen.
Der General verließ die Ruine durch den Haupteingang und schaute sich im hastigen Getümmel der Ersthelfer um; niemand schien ihn zu bemerken. Unsichtbar zu sein gefiel ihm ziemlich gut.
Dann kam aber ein junger Offizier, sein Gehilfe, zu ihm gelaufen. »Sir«, begann er. »Wir haben die Nachricht erhalten, die Sekretäre Williams und Allen seien tot. Sie hielten sich heute Morgen in der Kirche auf; ihre Leichen wurden eben im gerichtsmedizinischen Büro der Basis identifiziert.«
Für Baxter kam dies einem Schock gleich.
»Sir, Sie sehen aus, als fehle Ihnen etwas«, fügte der Offizier an.
»Mir geht es gut; ich kann es bloß nicht fassen. Das ist eine fürchterliche Tragödie. Wir müssen einberufen, was noch vom Kabinett übrig ist, und uns in den Regierungsbüros besprechen.«
Mehrere Mitglieder seines Schutztrupps näherten sich. Der Anführer, ein junger Mann namens Ferguson, machte deutlich: »Sir, Sie müssen sofort aufbrechen.«
»Ich komme«, erwiderte Baxter und folgte ihnen zu seinem Wagen.
Ferguson, der neben ihm stolzierte, wies seinen Vorgesetzten zurecht. »Sir, Sie dürfen sich Ihrem Schutzteam nicht einfach so entziehen, schon gar angesichts dessen, was heute geschehen ist.«
Als sie das Fahrzeug erreichten, hielt ihn der General am Arm fest. »Ich weiß Ihre Besorgnis zu schätzen, aber schreiben Sie mir niemals vor – und ich meine niemals –, was ich tun soll. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Ferguson schaute ihm in die Augen. »Aber Sir …«, fing er an.
Baxter nahm seine Hand weg und hielt sie hoch.
»Schweigen Sie! Die Antwort, die ich von Ihnen erwarte, lautet: Sir, jawohl, Sir.«
Ferguson sah ein, dass er nicht gegen ihn anreden konnte, also gab er nach. »Sir, jawohl, Sir.«
»Gut, wir verstehen uns«, entgegnete der General und stieg ein.
***
In den Räumlichkeiten der Regierung tauchten nach und nach die ersten Amtsträger auf, und es ging immer hitziger zu.
Baxter wollte sich sofort in sein Büro zurückziehen; als er jedoch die Tür öffnete, traf er auf ein Gesicht, das er seit Monaten nicht gesehen hatte. In seinem dick gepolsterten Ledersessel saß entspannt, wie man an seinen lässig im Schoß liegenden Händen erkannte, Eli Bennett. Er war der Fahrer gewesen, der Annaliese zur Flucht aus dem Krankenhaus nach Sandy in Utah verholfen hatte. Dort war er auch geblieben, um in aller Abgeschiedenheit zu leben. Als er von dem Vorfall während Präsident Conners Rede und Wilburs Tod gehört hatte, war es für ihn an der Zeit gewesen, zurückzukehren. Allerdings hatte er dies nicht als Eli Bennett tun können. Zum Glück war es aufgrund der Flüchtlingskrise leicht gewesen, ohne Papiere nach Cheyenne zu gelangen, weshalb er sich unter die Schutzsuchenden gemischt und sich ungehindert Zugang verschafft hatte. Im Laufe der vergangenen paar Monate war es ihm gelungen, sich den Widerständlern wieder anzuschließen.
»Glückwunsch, Mr. President«, grüßte er lachend.
Baxter drehte sich um, weil er befürchtete, jemand könne die Bemerkung des Mannes gehört haben, und schloss schnell die Tür. »Was wollen Sie hier?«
»Ich bin schon seit Monaten zurück. In dem ganzen Trubel konnte ich mich recht einfach einschmuggeln.«
Baxter ging zum Schreibtisch hinüber und herrschte ihn an: »Stehen Sie von meinem Sessel auf! Ach was, verschwinden Sie gleich aus meinem Büro! Ich sollte Sie festnehmen lassen.«
»Ich habe die Neuigkeiten gehört, muss aufregend für Sie sein«, bemerkte Eli schmunzelnd.
»Sie denken, ich hätte etwas damit zu tun?«, fragte Baxter.
Eli schaukelte im Sitzen, während er entgegnete: »Natürlich sind wir es gewesen, aber der eine oder andere wird Sie verdächtigen.«
»Was wollen Sie?«, wiederholte der General.
»Sie hatten ein Motiv«, fuhr Bennett süffisant fort. Er wusste genau, dass seine Stichelei Baxter ärgerte.
»Hatte ich nicht.«
»Und ich sage: Sie hatten sehr wohl. Jedenfalls werden nicht wenige zwei und zwei zusammenzählen können.«
Da drehte sich Baxter um und griff zum Türknauf, hielt jedoch inne, als Eli ihn warnte.
»Ich würde bleiben lassen, was Sie vorhaben, falls Sie vorhaben, was ich denke. Sollte ich nicht zurückkommen, packen mehrere Personen aus, was sie über Sie wissen. General, Sie haben den Widerstand gemeinsam mit Wilbur und Pat angeführt, bevor Sie den Schwanz einzogen.«
Baxter ließ den Knauf los und drehte sich wieder um. »Verdammt, Mann, was wollen Sie?«
»Ich will, dass Sie Präsident werden, jawohl. Jedoch lege ich Wert darauf, dass Sie wissen, wem Sie das zu verdanken haben. Genauer gesagt legen wir Wert darauf. Ich handle nicht nur in eigener Sache.«
Baxter schaute verkniffen drein und knirschte mit den Zähnen.
»Sie werden alles tun, egal was wir Ihnen auftragen«, fügte Eli hinzu, bevor er aufstand.
»Ich möchte, dass Sie abhauen.«
Sein Gast trat vor den Schreibtisch und blieb wenige Zoll vor ihm stehen. »Erzählen Sie mir, wie Bethanny gestorben ist. Ich hörte, Sie sei mit einem Kopfschuss in einer Gasse gefunden worden. Zudem soll die Kugel gefunden worden, aber irgendwie verloren gegangen sein, und der arme Pat kam auf die gleiche Weise um. Zunächst habe ich Sie dahinter vermutet, bis mir einfiel, wie Sie sie immer angesehen haben. Sie hatten eine Schwäche für Bethanny.«
»Raus.«
»Ich gehe ja schon, keine Angst. Sehen Sie nur zu, dass Sie mich auf die Liste setzen. Ich werde mich oft blicken lassen, sobald Sie in dem Büro am Ende des Flurs sitzen.« Damit verließ Bennett den Raum.
Als die Tür zufiel, seufzte Baxter laut. Er hatte geglaubt, seine Spuren verwischt zu haben, war jedoch von seiner Vergangenheit eingeholt worden, und zwar auf verhängnisvolle Art. Zerknirscht darüber, damals überhaupt zur Gegenseite übergelaufen zu sein, ging er zu seinem Sessel und ließ sich hineinfallen. Dann drehte er sich damit um und schaute zum Fenster hinaus. Mehrere Gebäudeblocks weit entfernt stieg eine schwarze Rauchfahne am grauen Himmel auf. Als zuvor in der Kirche von einer Tragödie die Rede gewesen war, hatte er dieses Wort bewusst gewählt. Dass so etwas geschehen sollte, war nie in seinem Sinne gewesen. Damals, als er mit dem Widerstand geliebäugelt hatte, war dies eine Gegenreaktion auf Conners zusehends machthaberisches Verhalten gewesen. Jetzt schien ebenjene Gruppe, zu deren Mitbegründern er gehörte, selbst machthungrig geworden zu sein, und hatte ihn am Haken.
Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen finsteren Gedanken.
»Ja?«