Dr. Daniel Staffel 7 – Arztroman. Marie Francoise
besten Freunde? Ich meine… für einen Oberarzt gehört es sich eigentlich nicht, seine Patienten beim Vornamen zu nennen.«
»Ich habe Dr. Scheibler in diesen schrecklichen Stunden der vergangenen Nacht als einen erstklassigen Arzt und warmherzigen Menschen kennengelernt«, erwiderte Annemarie, und Dieter spürte, daß er gegen den Arzt jetzt nicht allzu viel sagen durfte, wenn er sich ihr Vertrauen nicht verscherzen wollte.
»Nichts für ungut, Annemarie, es war ja nur so ein Eindruck«, meinte er vage, dann legte er wieder einen Arm um ihre Schultern. »Ich weiß nicht, ob du in diese Klinik mitfahren solltest. Du
siehst sehr mitgenommen aus. Wäre es nicht besser, du würdest dich von mir nach Hause bringen lassen?«
Doch Annemarie schüttelte nur den Kopf. »Ich weiche keinesfalls von Franzls Seite. Er braucht mich jetzt, und im umgekehrten Fall würde er für mich dasselbe tun.«
»Also schön«, gab Dieter nach. »Dann bestehe ich darauf, dich zu begleiten, und wenn ich im Krankenwagen nicht mitkommen kann, werde ich eben mit meinem Auto nach München fahren.«
Ein Gefühl der Wärme breitete sich in Annemarie aus.
»Ach, Dieter, ich bin so froh, daß du da bist«, erklärte sie. »Wahrscheinlich hätte ich dich gestern abend gar nicht wegschicken sollen.« Sekundenlang schmiegte sie sich vertrauensvoll an ihn. »Du bist ein wirklicher Freund.«
Jetzt trat Dr. Scheibler wieder in die Eingangshalle, und Annemarie löste sich so abrupt von Dieter, daß sie von einem erneuten Schwindelanfall ergriffen wurde. Sie taumelte, griff haltsuchend um sich und sackte dann zu Boden, weil Dieter nicht rasch genug reagiert hatte und Dr. Scheibler noch zu weit entfernt gewesen war, um sie aufzufangen.
»Annemarie!«
Diesmal war Dieters Besorgnis zumindest teilweise echt, allerdings weniger der jungen Frau als vielmehr des Vermögens wegen, das hinter ihr stand.
Dr. Scheibler zögerte nicht lange, sondern nahm Annemarie auf die Arme und trug sie ins Untersuchungszimmer der Chirurgie.
»Wolfgang!« rief er dem Chefarzt zu, während er die bewußtlose Annemarie in eine stabile Seitenlage brachte und ihre Beine hochlagerte. »Hast du Zeit?«
Der Chefarzt kam im Laufschritt heran, doch zusammen mit ihm erreichte auch Dr. Daniel den Untersuchungsraum. Er war gerade dabei gewesen, die Klinik zu verlassen, um in seine Praxis zurückzukehren, als er gesehen hatte, wie Dr. Scheibler die bewußtlose junge Frau hier hereingetragen hatte.
»Bemüh’ dich nicht, Wolfgang«, meinte er mit einem Blick zur OP-Kleidung des Chefarztes. »Ich nehme an, man erwartet dich im Operationssaal. Um Fräulein Demel kümmere ich mich schon.« Er sah Dr. Scheibler an. »Sie können mit Ihrem Patienten nach München fahren. Notfalls bringe ich Fräulein Demel nach, wenn sie bei ihrem Verlobten sein will. Allerdings läßt sich ihre Untersuchung jetzt nicht mehr länger hinauszögern.« Immerhin war es heute schon die zweite Ohnmacht, die Annemarie erlitten hatte.
»Was ist mit ihr?« wollte Dieter wissen, der in der offenen Tür stehengeblieben war und ratlos auf die Ärzte sah, die Annemarie umringten.
»Wer sind Sie?« wollte Dr. Daniel wissen, während er schon Puls und Blutdruck kontrollierte. Dr. Metzler und Dr. Scheibler verließen inzwischen den Untersuchungsraum.
»Dieter Krause«, antwortete er. »Ich bin ein Freund von Annemarie und Franz.«
Dr. Daniel warf dem jungen Mann einen kurzen prüfenden Blick zu, doch Dieter spielte den Besorgten so überzeugend, daß nicht einmal der erfahrene Arzt Verdacht schöpfte.
»Bitte gehen Sie einstweilen hinaus, Herr Krause«, bat Dr. Daniel. »Wenn ich meine Untersuchungen abgeschlossen habe und Fräulein Demel sich wieder ein wenig erholt hat, können Sie zu ihr kommen.«
Er wartete, bis Dieter draußen war, dann schloß er die Tür, ehe er zu Annemarie zurückkehrte. Ihre Lider begannen bereits zu flattern, dann öffnete sie die Augen und richtete sich sofort auf, was zu einem erneuten Schwindelanfall führte.
»Franzl!« stieß sie hervor.
Sanft drückte Dr. Daniel sie zurück. »Ihr Verlobter ist mit Dr. Scheibler auf dem Weg nach München, Sie können versichert sein, daß er in den besten Händen ist. Aber um Sie mache ich mir jetzt ernstliche Sorgen, Fräulein Demel.«
Annemarie wollte von der Untersuchungsliege herunterklettern. »Mit mir ist alles in Ordnung. Es ist nur die Aufregung… und die Angst um Franz.«
Energisch hielt Dr. Daniel sie zurück. »Ich werde Sie persönlich nach München zu Ihrem Verlobten bringen, aber erst, wenn ich meine Untersuchung abgeschlossen habe, und damit können wir nicht mehr länger warten. Ihr Blutdruck liegt ständig irgendwo bei neunzig zu sechzig, das heißt, Ihre nächste Ohnmacht kann jederzeit erfolgen. Dabei ist das Risiko, daß Sie sich verletzen, zu groß, als daß ich Sie einfach gehen lassen könnte.«
Annemarie seufzte tief auf. »Bitte, Herr Doktor, lassen Sie mich jetzt zu Franz. Ich verspreche Ihnen, daß ich mich untersuchen lassen werde… morgen… oder übermorgen…«
Doch in diesem Punkt ließ Dr. Daniel nicht mit sich reden. »Sie werden sich jetzt sofort untersuchen lassen.«
Ohne sich auf eine weitere Diskussion einzulassen, bereitete Dr. Daniel alles für eine Blutabnahme vor. Unglücklicherweise war Dr. Scheibler, der durch seine mehrjährige Ausbildung bei Professor Thiersch auch im Labor über große Erfahrung verfügte, jetzt nicht mehr im Haus, so daß Dr. Daniel gezwungen war, die Auswertung selbst vorzunehmen. Allerdings war das Ergebnis so eindeutig, daß sich Dr. Daniel fragte, weshalb Annemarie es nicht schon längst selbst bemerkt hat-te.
Sie richtete sich auf, als Dr. Daniel den Untersuchungsraum wieder betrat, und in ihren Augen konnte der Arzt die ganze Unruhe erkennen, die sie empfand. Ihr in dieser Situation eine solche Nachricht beizubringen…
»Herr Doktor, was ist denn jetzt mit mir?« fragte Annemarie ungeduldig und unterbrach damit Dr. Daniels besorgte Gedanken. »Kann ich endlich zu Franz?«
Spontan setzte sich Dr. Daniel auf den Rand der Untersuchungsliege und griff nach Annemaries Hand.
»Ich fürchte, jetzt ist der ungünstigste Zeitpunkt, um Ihnen das zu sagen, aber…« Er zögerte, ehe er fortfuhr: »Sie erwarten ein Baby.«
Annemarie starrte ihn an, als hätte er behauptet, in fünf Minuten würde die Welt untergehen, und für sie war es ja auch beinahe so.
»Ein… Baby?« wiederholte sie fassungslos, dann vergrub sie das Gesicht in den Händen. »O mein Gott… ausgerechnet jetzt…«
Genau das war Dr. Daniel auch durch den Kopf gegangen. Annemarie steckte wirklich in einer ungünstigen Situation. Arbeitslos, schwanger… und niemand konnte vorhersagen, wie es mit ihrem Verlobten weitergehen würde.
»Wann… ist es soweit?« erkundigte sich Annemarie zögernd.
»Um Ihnen das ganz genau zu sagen, müßte ich Sie untersuchen«, antwortete Dr. Daniel. »Außerdem muß ich wissen, wann Sie das letzte Mal Ihre Tage hatten.«
Annemarie schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht mehr.« Sie errötete ein wenig. »Was müssen Sie jetzt nur von mir denken?« Dann seufzte sie tief auf. »Ich war immer sehr penibel damit… habe mir grundsätzlich das Datum notiert, aber dann… durch die Arbeitslosigkeit… irgendwie geriet mein ganzes Leben durcheinander.«
Dr. Daniel nickte verständnisvoll. »Das kann ich durchaus verstehen. Es ist auch gar nicht so schlimm, wenn Sie es nicht mehr wissen. Durch eine Ultraschalluntersuchung läßt sich leicht klären, in welcher Schwangerschaftswoche Sie sind.«
Er half Annemarie von der Untersuchungsliege herunter und begleitete sie fürsorglich in die Gynäkologie hinüber. Hier nahm er zuerst eine normale körperliche Untersuchung vor, die zeigte, daß die Schwangerschaft noch nicht allzu weit fortgeschritten sein konnte. Die Gebärmutter hatte sich zwar schon vergrößert, aber nach Dr. Daniels Einschätzung konnte Annemarie höchstens