Griechische Mythologie. Ludwig Preller
Griechen eine gewisse Art von parkartigen Anlagen mit reichlicher Bewässerung nach der Amalthea oder nach ihrem Horne benannt23. Lauter Bruchstücke desselben Glaubens, welcher den alten Wassergott Okeanos und seine weibliche Hälfte, die Nährmutter Tethys zum Anfang der Dinge machte, denn überall ist Okeanos nicht blos als begrenzender Strom einer transcendenten Welt, sondern auch als der Schöpferische, der Ursprung schlechthin zu denken. Daher die Sage von seligen Inseln in seiner Fluth erzählt und von wunderbaren Gärten der Götter, namentlich von einem Garten der Hera, in welchem der Wunderbaum der hesperischen Aepfel wachse, auch ein Sinnbild unerschöpflicher Fruchtbarkeit, welchen die Erde zur Feier des Beilagers des Zeus und der Hera habe entstehen lassen, da wo die Quellen von Nektar und Ambrosia fließen und wo die Erde ihre herrlichsten Gaben in ununterbrochener Fülle spendet (Eurip. Hippol. 748).
Mit diesem Bilde vom Okeanos und seiner Wunderwelt verbindet sich b) sehr häufig die Vorstellung von dem Ursprunge der Dinge aus Nacht und Dunkel, wie darauf schon die Styx zurückführte. Noch deutlicher aber tritt diese Ansicht in den Mythen hervor wo von dem Ursprunge der himmlischen Mächte des Lichts die Rede ist. Denn in allen alten Religionen und Mythen ist das Licht aus der Finsterniß entsprungen, also diese das Primitive. So sind Apollo und Artemis die Kinder der dunklen Leto, und die Fabel von der Entstehung des Chrysaor und des Pegasos, auch die von der Geburt der Athena, erklären sich gleichfalls am besten unter der Voraussetzung dass zuerst dunkles Gewölk über den Fluthen lagerte und daraus dann mit Hülfe der himmlischen Mächte der erste Strahl des Lichts und der Blitz geboren wurde. Die Hesiodische Theogonie 123 ff. nennt aus demselben Grunde Erebos und Nyx als die ersten Kinder des Chaos, welches nach ihr den Anfang bildete24, darauf Aether und Hemera als Kinder der Nacht und des Dunkels: von welchen Personificationen Erebos und Aether das stoffliche Licht in der Höhe und das stoffliche Dunkel in der Tiefe ausdrücken, Nyx und Hemera die Erscheinungen des Dunkels und des Lichts in dem ewigen Wechsel von Tag und Nacht. Den Erebos dachte man sich unter der Erde heimisch, die Nacht dort wo die Sonne untergeht, daher diese beiden Gegenden, die tiefe Erde und der Sonnenuntergang, zugleich als Gegenden alles Ursprungs gedacht wurden, aber auch als Gegenden des Todes und vieler Schrecknisse, wie sich dieses in vielen alterthümlichen Bildern und Sagen ausspricht. So erklären sich namentlich die Graeen und Gorgonen der Perseussage am besten als Symbole des höchsten Alterthums und des urweltlichen Dunkels der westlichen Fluth, auch die Dichtung vom Atlas und dem Garten der Hesperiden, dem Göttergarten mit dem Baume des Lebens den ein Drache hütet, während Atlas die ungeheure Tragkraft des Meeres zu bedeuten scheint welche Himmel und Erde unterstützt. Am meisten finden sich diese Bilder bei Hesiod th. 736 ff. ausgeführt, aber leider mehr gehäuft als gesondert, so daß beide Vorstellungen, die von dem Erebos in der Tiefe und die von der Nacht im äußersten Westen, beständig in einander laufen25. Da wo der Tartaros ist, sagt er, und das Gefängniß und die Wache der Titanen, da sind die Enden und Anfänge aller Dinge, des Meeres der Erde und des Himmels, die dort wie Wurzeln in die Tiefe wachsen. Da steht Atlas und trägt den Himmel, da gehen Tag und Nacht aus und ein, nur auf der Schwelle sich flüchtig begrüßend, da wohnen Schlaf und Tod, da ist die Unterwelt mit dem Palaste des Aïdoneus und der Persephone, da wohnt die Styx: und setzen wir hinzu, da sind auch jene Gärten der Götter und die Inseln der Seligen, da sind nach der ältesten Auffassung selbst die Wohnungen der Eos und des Helios. Gewiß ein merkwürdiger Dualismus, welcher aber bei dem Gedanken an Licht und Finsterniß natürlich ist und sich auch in dem Geschlechte der Nacht wiederholt, wie dieses bei Hesiod th. 211 ff. ausgeführt wird. Aus der älteren theogonischen Sage sind die freundlichen Hesperiden geblieben, welche auf einer Insel des Okeanos (πέρην κλυτοῦ Ὠκεανοῖο) die schönen goldnen Aepfel und den Wunderbaum des Göttergartens pflegen, die Kinder der guten Mutter Nacht26, die sich mit ihren feuchten Schwingen allnächtlich über die Erde ausbreitet und die ganze Natur in Schlaf und Dunkel hüllend über embryonischen Formen des Lebens brütet. Und so mögen auch die Moeren, die Göttinnen von Geburt und Tod, die der Aphrodite verwandte Nemesis, der Liebesgenuß und der Schlaf mit den Träumen unter ihren Kindern zu der lichteren Seite zählen. Die übrigen aber sind meist von finsterer Natur und dem Leben feindlich, wie die Erinyen, alles Weh, Alter und Tod, Streit und Krieg, Spott und Betrug und Zwietracht. Wie aber Manche die Nacht und nicht das Chaos zum Anfange der Dinge machten, so galt bei Einigen auch der Himmel nicht für ein Geschöpf der Erde, sondern für den Sohn von Aether und Hemera, der Kinder von Erebos und Nyx27: ein neuer Beweis daß bei diesen kosmogonischen Systemen immer Vieles dem Ermessen der Einzelnen überlassen blieb.
c) Die eigentlich Hesiodische Lehre vom Ursprung der Dinge ist die vom Chaos, der Mutter Erde und vom Eros. Das Chaos ist seiner Wortbedeutung nach der gähnende Raum28, also schon eine gewisse Abstraction; obwohl es nicht schlechthin als abstracter Raum zu denken ist, sondern mit einem gewissen Urstoff des Nebels und der Finsterniß erfüllt: wenigstens wird in der ausgebildeten Weltordnung, in welcher es zu existiren fortfuhr, bald der mit Finsterniß erfüllte Raum unter der Erde mit demselben Namen benannt, bald der mit Luft und Wolken d. h. mit dem der Finsterniß verwandten Nebel erfüllte Himmelsraum über der Erde29. Das Chaos war zuerst, heißt es bei Hesiod, darauf entstand die breitbrüstige Erde, die unerschütterliche Feste sowohl der überirdischen als der unterirdischen Götter30, und Eros, der schönste von allen Unsterblichen, der Gebieter über Sinn und Gemüth aller Götter und Menschen. Aus dem Chaos entstehen weiter Erebos und Nyx, durch diese Aether und Hemera (S. 32). Die Erde, welche die breitbrüstige heißt (εἰρύστερνος), weil ihre körperliche Bildung als sehr fest und stämmig gedacht wird, die riesige, die ungeheure (πελώρη), der feste Grund und Boden aller Naturerscheinungen über und unter ihr, diese erzeugt zuerst den ihr gleichartigen Himmel31, dessen Gewölbe sie ganz bedeckt und der eben so unvergänglich ist als sie selbst. Die Dichter nannten ihn den ehernen, auch den eisernen (χάλκεος, πολυχάλκεος, σιδήρεος), nicht als ob er von solchem Stoffe wäre, sondern eben wegen seiner unvergänglichen Dauer und seiner nicht der Veränderung unterworfenen Natur32, in welcher Hinsicht er noch vollendeter und seliger ist als die Erde, daher auch die Götter dort ihre Wohnung aufgeschlagen haben. Ferner zeugt sie die ragenden Berge, in denen die Nymphen und die Satyrn und andre dämonische Geschöpfe heimisch sind, und das Meer mit der tosenden Wasserfluth, das unfruchtbare genannt (ἀτρύγετον πέλαγος), weil man es im Gegensatze zu der fruchtbaren Erde zu denken gewohnt war. Und zwar hat die Erde den Himmel und die Berge und das Meer noch von selbst geboren, als unmittelbare Folge des organischen Triebes, mit dem sie aus dem dunklen Schooße des Chaos hervorgetreten war. Nun aber beginnt sich in ihr und in allen Dingen die Liebe zu regen, jenes göttliche Naturgesetz des Werdens, welches das Männliche und Weibliche scheidet um es wieder zusammenzuführen und zu paaren und daraus durch Begattung und Zeugung eine Generation nach der andern entstehen zu lassen: zugleich der Uebergang von der bloßen Kosmogonie zur Theogonie, von der Naturgeschichte zur Göttergeschichte, die sich von nun an wie eine große Verkettung von göttlichen Liebespaaren33 fortsetzt. Eros, der älteste und der jüngste von allen Göttern, der nach dem Vorgange des Hesiodischen Gedichtes von so vielen anderen philosophirenden Dichtern seit Parmenides gefeiert ist, ein Liebling aller Mysterien und des mystischen Hymnengesanges, vorzüglich im Culte des Hermes und der Aphrodite34. Zuerst beginnt dieser schaffende Liebestrieb sich in den Ausgeburten des Chaos, dem Erebos und der Nacht zu regen, denen bei solchem Triebe das größte Wunder der Schöpfung, das Licht entspringt. Dann ergreift er das herrlichste aller Götterpaare, Himmel und