Griechische Mythologie. Ludwig Preller
ein jeder nach seiner Weise um dieses Studium verdient gemacht.
Endlich ist auch in neuester Zeit die griechische Mythologie auf verschiedenen Wegen in eigenthümlicher Weise gefördert worden. Einmal dadurch daß Griechenland selbst wieder ein wohlbekanntes und vielbereistes Land geworden ist, so daß nun auch die griechische Natur, die erste und ursprüngliche Quelle so vieler Mythen und bildlicher Erzählungen, in ihrer lebendigen Eigentümlichkeit zur Sprache kam, in welcher Hinsicht P. W. Forchhammer das Verdienst hat die Rechte der Naturanschauung zuerst geltend gemacht zu haben. Ferner ist das Studium der Kunst und aller bildlichen Denkmäler sowohl in Folge der zahlreichen Bekanntmachungen solcher Denkmäler als durch deren Erklärung für die mythologische Forschung im höchsten Grade wichtig geworden; wobei es nicht fehlen konnte daß die eigentümliche Welt von Bildern und bildlichen Darstellungen, welche sich mit diesen Werken aufschloß, zu manchen eigentümlichen Ansichten über die Religion und Mythologie der Griechen sowohl im Allgemeinen als in allen einzelnen Kreisen Anregung gab. Hatten schon Winckelmann, Zoëga, Visconti, Heyne, Böttiger, Creuzer und andere Gelehrte in dieser Hinsicht Bedeutendes geleistet, so haben diese Studien vollends in neuester Zeit, seitdem der Vorrath von bildlichen Denkmälern, besonders der griechischen Ursprungs, so außerordentlich angewachsen ist, eine sehr reiche Ausbeute geliefert. Die wichtigsten Arbeiten sind auf diesem Gebiete die von K. O. Müller, von Welcker, von Ed. Gerhard, O. v. Stackelberg, Th. Panofka, R. Rochette, Em. Braun und O. Jahn, von welchen Gelehrten Gerhard und Braun auch mit eigentümlichen Systemen der Mythologie hervorgetreten sind. Die wichtigsten Handbücher der mythologischen Bilderwelt sind aus älterer Zeit die von Hirt und von Millin8, eine vortreffliche Anweisung zu den archäologischen und kunstmythologischen Studien überhaupt das Handbuch der Archäologie der Kunst von K. O. Müller mit den dazu gehörigen Denkmälern der alten Kunst9.
Endlich ist als auf ein wichtiges Hülfsmittel aller mythologischen Forschung noch hinzuweisen auf die außerordentlichen Fortschritte, welche in neuerer Zeit das Studium sowohl der vergleichenden Sprachforschung als das der comparativen Mythologie gemacht hat, in welcher Beziehung die etymologischen und mythologischen Forschungen von Pott, A. Kuhn, M. Müller, G. Curtius u. A. und zum Vergleiche der deutschen Mythologie das bekannte Meisterwerk von J. Grimm auch der griechischen Mythologie sehr zu empfehlen ist. Nur daß auf diesem Gebiete allerdings vieles noch sehr unsicher ist und selbst die neue Wissenschaft der Etymologie den Mythologen da, wo er ihrer Hülfe am meisten bedürfte, bei der Erklärung alter mythologischer Eigennamen, besonders der Götternamen, nicht selten im Stiche lassen muß10.
Fußnote
5 Aglaophamus s. de theologiae myst. Gr. causis, Regim. Pr. 1829.
6 Prolegomena zu einer wissenschaftlichen Mythologie, Gotting. 1825. Vgl. den von mir verfaßten Artikel Mythologie in der Stuttg. Real-Encyclopädie 5. S. 336–371 u. den literarischen Anhang dieses Buchs.
7 Besonders zu empfehlen ist das Handwörterbuch der griech. u. röm. Mythologie von Ed. Jacobi, Kob. u. Leipz. 1835. 2 Bde. Auch die mythologischen Artikel der Hall. Allg. Encyclopädie, darunter mehrere von K. O. Müller, sowie die der Stuttg. Real-Encyclopädie, zu denen der Verf. dieses Buchs beigetragen, enthalten vieles Förderliche.
8 A. Hirt Bilderbuch f. Mythologie, Archäologie u. Kunst, Berl. 1805 u. 1816. A. L. Millin Galerie mythologique, Par. 1811. 2 Bde., deutsch in Berl. u. Stuttg. 1820, N. Ausg. 1836.
9 Erste Ausgabe. Bresl. 1830. Zweite Ausg. 1835. Dritte Ausg. besorgt von Welcker 1848. Denkmäler der alten Kunst, Gött. 1835. neu bearbeitet und fortgesetzt von F. Wieseler, 2 Thle. Gött. 1854. 56. Eine Auswahl vorzüglicher Götterbilder giebt die Vorschule der Kunstmythologie von E. Braun, Gotha 1854. Zum Handgebrauche sind zu empfehlen: für die Statuen u. Reliefs F. de Clarac Musée de Sculpture, P. 1841–53, für die Vasenbilder Gerhards auserlesene griech. Vasenbilder, B. 1840–58, 4 Bde. und die Sammlung von Lenormant und de Witte élite des mon. céramographiques P. 1844 ff.
10 G. Curtius Grundz. d. griech. Etymol. 1, 93 ff. Vgl. Leo Meyer Bemerkungen z. alt. Gesch. d. griech. Mythol. Gött. 1857, Max Müller Comparative Mythology, Oxford Essays 1856 p. 1–87 und die Aufsätze von Pott, A. Kuhn u. A. in der Zeitschr. f. vergl. Sprachforschung.
ERSTER ABSCHNITT
THEOGONIE.
Die Theogonie der Griechen ist der am wenigsten ausgebildete und ins Einzelne ausgearbeitete Abschnitt ihrer Mythologie, wahrscheinlich eine Folge davon daß der ernste, oft an Naturphilosophie streifende Inhalt zu dem in den bewegtesten Zeiten der Mythendichtung vorherrschenden Tone des Epos nicht mehr passen wollte. Bei Homer finden sich manche Andeutungen eines eigenthümlichen Systems, aber nur als Bruchstücke eines halb verschollenen Gesangs. Die Hesiodische Theogonie ist die wichtigste Quelle, scheint aber mehr eine Compilation aus verschiedenen Dichtungen älterer und neuerer Zeit als aus einem Gusse zu sein, wie sie denn auch an mehr als einer Stelle die ältere Tradition entweder mißverstanden oder entstellt hat. Die Titanomachie des Eumelos oder Arktinos ist bis auf wenige Bruchstücke verloren. Die Orphische Theogonie ist wenig zu brauchen, weil sich hier schon zu viel Fremdartiges einmischt, da es ohnehin verschiedene Redactionen dieses Gedichtes, ältere und jüngere gab, die Fragmente aber größtentheils den letzten Zeiten der griechischen Litteratur angehören. Das System des Pherekydes von Syros ist interessant als erster Versuch die herkömmliche Mythologie mit der Philosophie auszugleichen. Endlich gab es theogonische Gedichte des Thamyris, Musaeos, Linos u. A., die aber ganz apokryphisch waren11.
Alter Hymnengesang im Culte des Olympischen Zeus scheint die älteste Quelle dieser theogonischen Dichtungen zu sein, in denen die Macht und Abkunft des Zeus durchaus der centrale Gedanke ist, auf den sich Alles bezieht. Das Gedicht von seiner Abkunft hat aufwärts und zurück zu den verschiedenen Generationen vor ihm geführt, bis zu den ersten Weltanfängen. Das Gedicht von seinen Weltkämpfen, wodurch er Weltherrscher geworden, zu der Titanomachie und zu den übrigen Götterkämpfen die größtentheils Nachklänge der älteren Titanomachie sind, bis auf die Prometheussage, welche ein Ausfluß des Nachdenkens über die Anfänge der Menschheit und der menschlichen Cultur ist.
Zwei Grundgedanken gehen durch das Ganze. Der erste ist daß die Welt nicht auf einmal d. h. durch Schöpfung entstanden, sondern aus dunklen und elementaren Anfängen durch organische Entwickelung bis zu dieser letzten Gestalt des schönen vollendeten Kosmos gediehen ist, und zwar in mehrfachen Absätzen und Steigerungen, deren endliche Spitze und Vollendung eben Zeus und die von ihm regierte Welt der Götter und der Natur ist. Also das Vollkommene war nicht das Erste, sondern das Letzte, woraus sich von selbst die Götterkämpfe erklären, denn alles Vollkommene ist der natürliche Untergang des weniger Vollkommenen. Der zweite Grundgedanke ist der daß der lichte Himmel, der Aether, das Vollkommenste in der Natur und der Inbegriff aller höheren Macht und Gewalt, also das Herrschende ist, der funkelnde Thron der Welt, dessen jedesmaliger Inhaber die Welt regiert, in der mythologischen Sprache der Olympos. Zuerst hat ihn Uranos inne, dann Kronos, endlich Zeus, alle drei Götter des Himmels und aller himmlischen Mächte, nur daß der eine immer vollkommener ist als der andere, wie die Welt selbst und die Naturordnung über welche sie regieren.
Fußnote