Griechische Mythologie. Ludwig Preller
lassen; nur daß sowohl der Name Κρόνος als gewisse volksthümliche Elemente seiner Verehrung entschieden für griechisch gelten dürfen. Der Name wird am besten abgeleitet von κραίνω in der Bedeutung von reifen, vollenden, daher in verschiedenen Gegenden von Griechenland, namentlich in Attika, der Erndtemonat Κρονιών hieß55 und ein Erndtefest der Κρόνια mit heiteren Gebräuchen begangen wurde56, mit Gebräuchen welche sinnbildlich an das goldne Zeitalter erinnerten, die Zeit einer ewigen Erndte und einer allgemeinen Gleichheit, wie bei den römischen Saturnalien; nur daß diese in den Winter fielen und Saturnus und Kronos auch sonst ursprünglich in wesentlichen Punkten verschiedene Götter gewesen waren. Kronos also war im volksthümlichen Gottesdienste zunächst ein Gott der Reife, der Erndte, der Fülle; woraus sich bei weiterer Entwicklung von selbst die übrigen Züge seines Wesens ergeben mußten. Einmal die des Vollenders im Sinne der Reife, der qualitativen Vollendung57, und dieses scheint auch der Sinn des älteren Sprachgebrauchs zu sein, wenn Zeus Kronion genannt wurde d. h. der Sohn des Vollenders, also selbst der Vollendete. Zweitens die des Vollenders im Sinne des langsam reifenden, dann geerndteten Jahressegens, also des Zeitigers, woraus sich zuletzt der Begriff eines Gottes der Zeit entwickelt hat, freilich erst in der deutenden Periode der Philosophen und Theologen58. Auch passen zu dieser Auffassung recht wohl die gewöhnlichen Attribute und Merkmale des Kronos, die Sichel, die dichte Verhüllung seines Hauptes, seine List und das unvordenkliche Alterthum. Die Sichel deutet zunächst auf Erndte und Erndtesegen59, dann aber ist sie auch das Attribut des theogonischen Kronos, welcher seines Vaters Glied abgeschnitten d. h. seiner allzugroßen Fruchtbarkeit ein Ende gemacht und dadurch den neuen Zeitabschnitt eines ungehinderten Wachsthums aller irdischen und himmlischen Kräfte herbeigeführt hat; wie nach den Sagen andrer Völker Himmel und Erde anfangs so dicht auf einander lagen, daß die übrigen Götter und Geschöpfe im Dunkel und in der Enge ihres Lebens nicht froh werden konnten, daher sie mit Gewalt von einander getrennt werden mußten60. Die Verhüllung des Hauptes aber scheint, wie die oft hinzugefügte Gebehrde der sinnenden Ueberlegung61, in der Hesiodischen Erzählung auch der Hinterhalt, auf das heimliche und verschlagene Wesen des Kronos hinzudeuten, welches schon die Ilias durch das gewöhnliche Beiwort ἀγκυλομήτης ausdrückt. Eben so wesentlich war das Prädikat des Alters, sowohl in der Bedeutung einer verlebten veralteten Natur als in der eines längst abgelaufenen und verdrängten Zeitalters62. Ferner das Verzehren und Wiedervonsichgeben seiner Kinder, welchem Bilde bei den Phoeniciern von Tyrus bis Karthago und in früheren Zeiten auch bei den Griechen von Kreta und Rhodos die bekannten Opfer von Kindern oder doch von Menschen entsprachen63: ein Gebrauch welcher punischen Ursprungs war, aber seiner Bedeutung nach vermuthlich gleichfalls zunächst der zeitigenden und reifenden Macht des Himmels galt, zumal in jenen Klimaten, wo die Zeit der Erndte mit der des verzehrenden Sonnenbrandes zusammenfällt, daher auch der Raub der Persephone und die Mächte des Todes um dieselbe Jahreszeit gefeiert wurden. Endlich die Dichtung von dem Ursprunge der Aphrodite aus dem Saamen des Kronos und dem Meere, auch dieser Mythus ohne Zweifel phoenicischen Ursprungs, obwohl die freundliche Erscheinung der Liebesgöttin im Zusammenhange der Hesiodischen Theogonie zugleich die Bedeutung hat, daß die Welt durch sie mitten in dem blutigen Streite der Götter eine neue Gewähr des Gedeihens und der Versöhnung erhält.
Auch Rhea ist erst durch die Legende des kretischen Zeusdienstes zur Gattin des Kronos und Mutter des Zeus geworden, und auch sie kann, obgleich schon die Ilias 15, 187 sie kennt, doch nicht für eine rein griechische Gottheit gelten. Vielmehr gehört sie eigentlich nach dem durch Bevölkerung und Cultus mit Kreta eng verbundenen Kleinasien, wo sie als idäische Mutter d. h. als die im Waldgebirge hausende und schaffende Mutter Erde hoch verehrt wurde. Die Kinder dieses Paares sind nach der Ilias Zeus als der Aelteste, Poseidon und Aïdoneus (Il. 15, 187. 204), ferner Hera die älteste Tochter (Il. 4, 59). Bei Hesiod dagegen th. 453 macht sich auch hier das Princip geltend daß das Vollkommenste immer das Letzte sei: zuerst werden Hestia Demeter und Hera genannt und zwar in dieser Folge, dann Aïdes Poseidon und Zeus, also dieser als der Jüngste. Dasselbe Gedicht erzählt dann weiter wie Kronos von seinen Eltern erfahren habe daß er von seinem eignen Sohne werde überwältigt werden, daher er die Söhne sobald sie geboren werden wieder verschlingt, bis Rhea den jüngsten, nehmlich Zeus in Kreta versteckt und dem Kronos statt seiner einen wie ein Kind gewickelten Stein giebt, den dieser auch verschluckt. Inzwischen wächst Zeus in der Verborgenheit schnell heran, zwingt den Kronos durch die List der Mutter Erde unterstützt die Brüder wieder von sich zu geben, bei welcher Gelegenheit der zuletzt verschluckte Stein zuerst zum Vorschein kommt und zum ewigen Gedächtniß in Delphi aufgestellt wird64, und beginnt darauf den Kampf, der mit der Ueberwältigung und Absetzung des Kronos von seiner Herrschaft endigt. Wie sich die ältere Dichtung, ehe die kretische Legende von der Geburt und ersten Jugend des Zeus so bestimmend eingewirkt hatte, diese Vorgänge gedacht hat, darüber fehlt leider jede nähere Andeutung65.
Sobald es zum Kampfe kommt zerfällt die ganze Götterwelt in zwei Parteien, indem Einige die Herrschaft des Kronos, Andere die des Zeus vorziehen (Aeschyl. Prom. 199 ff.). Aber zum Zeus stehen bei weitem die Meisten und Besten. Der alte Okeanos erkennt seine Herrschaft willig an (Il. 21,198), seine erstgeborne Tochter die Styx eilt selbst, die erste von allen Göttern, mit ihren Kindern die sie vom Pallas geboren, Eifer und Sieg (Ζῆλος Νίκη) Kraft und Gewalt (Κράτος Βία), auf den Olymp zum Zeus, den diese Gewaltigen seitdem immer umgeben; worüber Styx von ihm zur höchsten Eidesgöttin erhöht wurde (Hes. th. 383 ff.). Für das Regiment des Kronos kämpften besonders Japetos und sein gewaltiges Geschlecht: aber was vermochte die bloße Gewalt gegen die Vereinigung aller höheren Himmelsgewalten. Das wußte Prometheus, wie Aeschylos dichtet, da er von seiner Mutter Themis den Ausgang des Kampfes im voraus erfahren, daher auch er sich von seinen Brüdern scheidet und für jetzt zum Zeus übergeht.
In der Beschreibung des Kampfes tritt wieder das Element der örtlichen Naturanschauung hervor, welches in der griechischen Mythologie überall so wichtig ist. Hier deutet es zugleich auf die Gegenden wo diese Dichtung vermuthlich entstanden ist, in den Umgegenden des Olympos, welche überhaupt die Wiege der ältesten griechischen Götterdichtung waren. Die gesegnete Landschaft von Thessalien ist nehmlich erst dadurch entstanden daß die Gewässer durch das felsige Tempethal und die Mündung des Peneios einen Abzug gewannen; und daß dieses erst in Folge eines gewaltigen Erdbebens geschehen lehrt nicht allein der Augenschein, sondern es hatte sich davon auch in den religiösen Ueberlieferungen der ältesten Bevölkerung ein Andenken erhalten66. Die Titanomachie des Hesiod ist nur eine malerische Ausführung dieses alten Naturkampfes, worüber die höhere Bedeutung des theogonischen Weltkampfes keineswegs verloren geht. Die Grundzüge der gewiß viel und oft besungenen Götterschlacht wiederholen sich übrigens in der eingeschobenen Theomachie der Ilias (20, 56 ff.). Der Kampf selbst dauerte nach Hesiod zehn Enneateriden (πλείους ἐνιαυτοὺς), bis es endlich zur Entscheidung kam, welche erst durch die von Uranos im Tartaros verhafteten, von Zeus auf den Rath der Erde befreiten Kyklopen und Hekatoncheiren herbeigeführt wurde67, indem jene dem Zeus Donner und Blitz bringen, die Hekatoncheiren aber sich ihm als die Mächte des Erdbebens zur Seite stellen. Thessalien ist das Schlachtfeld, auf dem Olymp lagern die Kroniden, auf der Othrys die Titanen. Die ganze Welt erbebt bis in die tiefsten Tiefen des Tartaros, als Zeus endlich mit seinen furchtbarsten Waffen gerüstet, von den Kindern der Styx begleitet, in seiner ganzen Majestät auftritt, ununterbrochene Blitze schleudernd, so daß das Land