Griechische Mythologie. Ludwig Preller
sechsmalhundert Armen und Fäusten, überschütten die Titanen mit gewaltigen Felsmassen, stoßen sie hinab in den finstern Tartaros und binden sie.
Auf den Sieg der Olympier folgt die Siegesfeier mit kriegerischen Waffentänzen und Spielen, wie zu Olympia die erste Einsetzung der dortigen Spiele als Folge dieses Sieges angesehen wurde68 und der Titanensieger Zeus in seinem Viergespann und mit dem Donnerkeile in der Hand, wie ihn viele alte Bildwerke darstellen, seitdem das ideale Vorbild alles Triumphes und aller höchsten Macht war. Der Preis des Sieges aber war die Weltherrschaft, welche die drei Kroniden nun unter einander theilen, nach der älteren Sage in der einfachen Form der Verloosung, wie die Herakliden um den Peloponnes loosten (Il. 15, 186 ff.); dahingegen bei Hesiod th. 881 die Götter gleich nach dem Titanenkampfe auf den Rath der Gaea den Zeus zu ihrem Herrscher wählen und dieser darauf die Weltämter vertheilt (ὁ δὲ τοῖσιν ἐῢ διεδάσσατο τιμάς), und diese Auffassung ist nachmals die gewöhnliche geblieben. Das Wesentliche bei dieser Theilung ist die Dreitheilung der Welt (τριχϑὰ δὲ πάντα δέδασται), wie sie in dem Wesen der Natur Griechenlands begründet ist, mythologisch durch die Zahl der Kronidenbrüder motivirt wird und in vielen Sagen und Symbolen als das alte und allgemeine Grundschema der griechischen Naturanschauung durchschimmert. Zeus bekommt das oberste Regiment des Himmels (Ζεὺς δ’ ἔλαχ’ οὐρανὸν εὐρὺν ἐν αἰϑέρι καὶ νεφέλησιν) und dadurch der ganzen Welt, Poseidon das Meer und alle Fluth, Aïdoneus das Reich der Unsichtbarkeit und des geheimnisvollen Dunkels, die tiefe Erde sammt dem Reiche der Todten.
Gemeinsam bleibt die Erde und der Olympos (γαῖα δ’ ἔτι ξυνὴ πάντων καὶ μακρὸς Ὄλυμπος), letzterer als der ideale Götterberg, auf dem die himmlischen Götter und Zeus als ihr patriarchalisches Haupt wohnen, der in seinem Palaste auf dem obersten Gipfel des Berges auch die allgemeinen Götterversammlungen zu berufen pflegt. Eigentlich ist jeder hohe Berg, wie er in den klaren Himmel, in den lichten Aether emporragt, ein natürlicher Thron der Götter und die meisten höheren Berge in den verschiedenen Landschaften Griechenlands, ja selbst die höheren Hügel und Burgen der Städte, rühmten sich die Sitze der Götter und ihrer Versammlungen (ϑεῶν ἀγοραὶ) zu sein. Der Olymp aber ist für die Griechen zum Berge unter den Bergen, zum Götterberge schlechthin geworden, vermöge einer religiösen und poetischen Vorstellung welche vermuthlich durch ältere Religionsbegriffe angeregt wurde69, ihre mythologische Ausbildung aber jedenfalls jenen alten Cultusgesängen und Dichtungen des Musendienstes in der Landschaft Pierien am Fuße des Olympos verdankt. Wie die Kroniden ihn gleich beim Beginn des großen Weltkampfes zu ihrer Burg gemacht hatten, so ist er dieses nun für alle Zeit geblieben, eine πόλις ϑεῶν mit Mauern und Thoren, mit Wohnungen und allem übrigen Zubehör einer menschlichen Ansiedelung. Und zwar bewohnen die Götter den Theil des Berges, wo derselbe aus der irdischen Luftregion in die des Aethers d. h. des reinen Himmels emporragt, also seinen obersten Gipfel, wo ewige Heiterkeit und allezeit ungetrübter Glanz ist (Odyss. 6, 42–46). Darunter ist die Region der Wolken, welche Zeus nach Belieben sammelt oder zerstreut und welche zugleich die Grenze der göttlichen Region von der irdischen bildet, daher die Wolken oft geradezu die Thore des Himmels genannt werden und die in ihnen waltenden Gottheiten, die Hören, die Pförtnerinnen des Olymps (Il. 5, 749; 8, 393. 411. 432). Der Gipfel des Olymp ist also zugleich der Himmel, den die Götter auf diesem Berge bewohnen70. Zu oberst thront Zeus, wenn er als der Olympier in seiner höchsten Majestät gedacht und geschildert wird, wie bei dem Besuche der Thetis, nach welcher Schilderung Phidias seinen Zeus bildete (Il. 1, 498; 5, 753). Dahingegen man sich die Wohnungen der Götter an den Abhängen und in den Schluchten des Berges dachte (κατὰ πτυχὰς Οὐλύμποιο Il. 11, 77), jede mit ihrem Männersaale, ihrem Frauenzimmer, ihrer Vorrathskammer, ihrer Stallung, wie irgend ein Anaktenhaus auf der Erde. Auf dem obersten Gipfel sind auch die Götterversammlungen (Il. 8, 3), die gewöhnlichen wo nur die eigentlichen Olympier und die größeren wo alle Götter aufgeboten werden, z. B. Il. 20, 4 ff.
Nach den späteren Dichtern wurde auch die Erde unter den Göttern vertheilt, indem nehmlich jeder Gott, wie es der örtliche Cultus mit sich brachte, seine besonderen Lieblingslandschaften und seinem Schutze vorzugsweise anvertraute Städte hatte, Hera Argos, Athena Athen u. s. w., was die Sage von besonderen Vorgängen in der Götterwelt, bald einem freiwilligen Vertrage bald einem Kampfe bald einem Geschenke abzuleiten pflegt, doch immer so daß Zeus dabei als die letzte entscheidende Macht gedacht wird. In diesem Sinne dichtet Pindar Ol. 7, 54 von einer Theilung der Erde zwischen Zeus und den übrigen Göttern, bei welcher Helios vergessen wurde, daher ihm die später aufgetauchte Insel Rhodos zu seinem Eigenthum angewiesen wird.
Unter der Erde aber ist der Tartaros71, von welchem aus alten Gesängen der Titanomachie mehr als eine Beschreibung erhalten ist. In der Ilias 8, 13 ff. droht Zeus jeden widerspenstigen Gott in den dunkeln Tartaros zu werfen, weit hinab wo der tiefste Schlund unter der Erde ist, verwahrt von eisernen Thoren und einer ehernen Schwelle, so tief unter dem Reiche des Aïdes (welches in der Erdtiefe gedacht wurde) wie der Himmel über der Erde erhaben ist. Bei Hesiod th. 722 ff. heißt es: Neun Tage und Nächte würde ein eherner Ambos fallen bis er vom Himmel auf die Erde kommt, und ebenso viele bis er von der Erde in den Tartaros gelangte. Der ist mit einer ehernen Mauer umgeben, um seinen Nacken ist in dreifacher Schicht ewige Nacht gelagert, und von oben her wachsen die Wurzeln der Erde und des Meeres72. Da sitzen die Titanen in dem finstern Abgrunde, welchen Poseidon (das Meer) mit ehernen Pforten verschlossen hat. Diese sind rings durch eine Mauer gedeckt, in welchen die Hekatoncheiren (die in der Tiefe des Meeres gedachten Dämonen des Erdbebens) Wache halten, als treue Wächter des Zeus. Ein nach epischer Weise ausgeführtes Bild, bei welchem die Anschauung jener unterirdischen Gefängnisse vorschwebte, wie das βάραϑρον in Athen und die ähnlichen Verließe zu Sparta und zu Rom, daher es auch Il. 8, 14 heißt: ἧχι βάϑιστον ὑπὸ χϑονόνος ἐστι βέρεϑρον. So wohnen auch die Hekatoncheiren in einem Vorbau des Thores zum Tartaros, welcher ganz nach Art der ältesten Befestigungswerke in Griechenland gedacht zu sein scheint73.
Der Tartaros in dieser seiner engeren Bedeutung als Titanengefängniß ist also in der älteren Mythologie etwas außerhalb der Erde d. h. tief unter ihr und dem Meere Befindliches, der gerade Gegensatz des Himmels und des Olymps wo die herrschenden Götter leben, wie dort die verstoßenen, abgesetzten, überwältigten Götter einer früheren Weltordnung. Da man aber mit der Zeit die Titanen oft mit anderen sinnverwandten Ungethümen, den Bildern ungeregelter Naturkräfte zu einem Begriffe verschmolz (Typhon, Giganten), so kommt neben dieser Auffassung auch die abweichende vor, nach welcher die Titanen als dämonische Mächte der inneren Erdtiefe erscheinen, indem sie von dort aus als böse Mächte des Fluchwürdigen und Ungeheuren mit denen die sie anrufen in Verbindung stehen74, noch immer in der Tiefe grollend und die lichte Welt der Olympier mit ihrem Widerstreben bedrohend. Am weitesten ist in dieser Hinsicht die Orphische Dichtung gegangen, wo die Titanen eine Ausgeburt der grollenden Erde sind und durchweg das wilde, bösartige, der göttlichen Herrschaft widerstrebende Element der Natur und der sittlichen Weltordnung ausdrücken, vorzüglich in der Sage vom Zagreus d. h. dem nach Art des kretischen Zeus in seiner Jugend verfolgten Bacchos, dessen Tod die trieterischen Dionysien feierten. Die Titanen waren es welche ihn im Auftrage der Hera zerrissen, ja nach Orphischer Dichtung seine zerstückelten Glieder verzehrten, woran wieder die Dichtung von der titanischen Natur der Menschen anknüpfte75: ein später und niemals allgemein verbreiteter Mythus, welcher aber doch in der so eben angedeuteten Auffassung der Titanen eine Stütze hatte.
Jene