Herzmanovskys kleiner Bruder. Egyd Gstattner
Ingrid Bühlau, Mozarteumskollegin: In seiner Jugend hatte T.B. eine innere Schüchternheit, die er zeitlebens nicht abgelegt hat. Wir haben in Hamburg zusammen schwermütige, kraftvolle Lieder im Bauernmilieu gespielt mit stetig wachsender Besessenheit. Dann hat uns meine Mutter zum Essen geholt. Als T.B. immer berühmter wurde, habe ich ihn in Ohlsdorf besucht, und wir haben wunderschöne Reisen gemacht. Aber da war die Jugend schon vorbei.
Folge 3
Ulrike O’Donnel (lebt mit ihrem Mann Gabriel in Hochkreuth): Bei uns hat T.B. die Extremsituation kennengelernt, die ist, wenn man auf dem Berg ist. Wenn mehr Leute waren, war er eher scheu. Wenn eine kleinere Gruppe war, ist er aus sich herausgegangen. Das ist interessant gewesen. Wen er aufs Korn genommen hat, der ist ganz schön drangekommen. Das war eine Extremsituation, ganz schön eine. Aber man hat ihn ja gekannt, wie er war.
Gabriel O’Donnel: Ja, hähä, schon.
Folge 4
Lieselotte Üxküll, Brüsseler Quartiergeberin: T.B. hat aus dem Stand heraus erzählen können. Einmal hat er ein Buch gelesen, und da haben wir ihn gebeten, daraus vorzulesen. Er hat daraus vorgelesen, und nach ein paar Minuten haben wir bemerkt, daß er gar nicht aus dem Buch vorgelesen, sondern einfach irgend etwas dahererzählt hat, aber ganz flüssig. Da haben wir gewußt, es ist ein Wunder geschehen.
Ein kurzes Zwischenspiel:
T. B.: Von Küste zu Küste – wenn man das wüßte!
(Krista Fleischmann in stillem Gebet versunken)
Folge 5
Gerda Maleta (schreibt ein Buch über T.B. und wurde beim Alma-Mahler-Ähnlichkeitswettbewerb 25.): Alle meine Freunde umarmen mich, ich umarme alle meine Freunde, außer T. B., weil T. B. nicht immer in der Stimmung war, umarmt zu werden. Wenn T. B. etwas geschrieben hat, hat er immer ein böses Gesicht gemacht, das hat geheißen: Sprich mich nicht an. Da habe ich ihn nicht angesprochen. Bevor T. B. angefangen hat, etwas zu schreiben, ist er immer zu einem kleinen Friseur gegangen – er mochte keine großen Friseure – und hat sich fast kahl schneiden lassen mit der Begründung, daß er sich jetzt vollkommen in seinen Denkkerker zurückzieht und absolut niemanden sehen will, auch mich nicht. Stell’ dir vor, ich müßte mir während des Schreibens plötzlich die Haare schneiden lassen, sagte er einmal, nicht auszudenken. Dann hat er sich eine Woche, zwei Wochen wie ein Igel eingeigelt und geschrieben. Nach zwei Wochen ist T. B. wieder aus seinem Denkkerker herausgekommen, hat ganz lange Haare gehabt, aber er war völlig entigelt. Ich habe ihn umarmt, und er hat gesagt: Siehst du, wie gut, daß ich beim Friseur gewesen bin!
Folge 6
Gerda Maleta (schreibt ein Buch über T. B.): Ein Schriftsteller schöpft immer aus seiner Umgebung (siehe dazu auch: Gerda Maleta schreibt ein Buch über T. B.; Anm. d. Autors), woher denn sonst! Die Jagdgesellschaft spielt fast hier – nur mit anderen Auswirkungen. Wir haben keine Borkenkäfer. Das muß der Phantasie freigelassen sein! Also noch einmal: Wir haben wirklich keine Borkenkäfer hier. Ich hab’ noch keinen gesehen, auch nicht auswirkungsweise. Anderenfalls hätte T. B. die gastfreundliche Atmosphäre im Hause Maleta auch nicht so geschätzt. Aber ein Schriftsteller muß aus seinem Material machen dürfen, was er will (Siehe dazu auch: Gerda Maleta schreibt ein Buch über T. B.).
Ein kurzes Zwischenspiel:
T.B.: Wenn ich Sie anschaue, ist das Liebe ...; und wenn ich wegschaue, ist das wieder Liebe ...
(Krista Fleischmann weiß nicht, wo sie hinschauen soll, läuft hinter der Kamera blutrot an und erhöht das Bettempo).
Folge 7
Alfred Morth, Wirt: T.B. ist so dagesessen und hat sich die Leute angeschaut, die Gegend angeschaut, alles angeschaut. Fünfmal hat er sich umgedreht, bevor er hinausgegangen ist, manchmal sechsmal. Er hat alles irgendwo registriert, im Kopf. Er hat immer zu denen gezählt, die, was sie registrieren, im Kopf registrieren.
Anna Brandl, Wirtin: Er war ein ganz bescheidener Mensch, alles hat er gegessen, was grad da war, und wir haben ihn halt sehr verehrt. Eine Woche vor seinem Tod hat er noch einen Surbraten gegessen, mit einem Knödel dazu, gell, und dann hat er zur Mizzi, der Kellnerin, gesagt: Mei, war der wieder gut.
Mizzi (schluchzt verhalten, schluckt Tränen und Nasensekret hinunter)
Alfred Morth, Wirt: T. B. hat den Todessurbraten registriert, im Kopf.
Folge 8
Bei der Familie Altenburg (direkte Nachkommen Kaiser Franz Josephs) lernte T. B. die Probleme einer kinderreichen Familie kennen. Neugierig verfolgte er Schwangerschaften und Geburten. Bei jeder Schwangerschaft fragte er sich, was wohl daraus würde. Jedes Mal ist ein Kind daraus geworden. Bei jeder Geburt fragte er sich, was wohl daraus würde. Es ist jedes Mal ein direkter Nachkomme Kaiser Franz Josephs daraus geworden.
Christa Altenburg: Er hat bei uns die Familie gesehen. Das Wachsen der Familie hat ihn schon sehr beeindruckt.
Ein kleines Zwischenspiel
T.B.: Der Luchs und sein Luxus ...! Der Mauerluchs und sein Mauerluxus ...!
(Krista Fleischmann in stillem Gebet versunken)
Folge 9
Ein holländischer Fernsehfilmer (schleicht seit Tagen um den Vierkanthof in Obernathal herum): Herr Bernhard, haben Sie sich jetzt für das Leben entschieden?
B.: Weiß ich nicht.
Holländer: Schreiben Sie jetzt ein neues Stück?
B.: Vielleicht.
Holländer: Warum leben Sie so zurückgezogen?
B.: Ich leb’ gar nicht zurückgezogen.
Holländer: Das Problem ist, daß ich überhaupt keine Fragen habe.
B.: Die Schwierigkeit ist, daß ich überhaupt keine Antworten habe.
Folge 10
Krista Fleischmann (dreht Filme über T. B., über sämtliche Hinterbliebene, die sich interviewen lassen, über sämtliche Gummistiefel, die in der Garderobe aufgeschlichtet sind, und baut damit ein Wochenendhaus in Niederösterreich) faßt zusammen:
1) Der unveröffentlichte literarische Nachlaß bezeugt T. B.’s Formenwillen. (Aha-Erlebnis 1)
2) T. B. sagt: Wichtig ist nicht, was ich schreibe, sondern wie ich es schreibe (= nicht der Inhalt ist das Entscheidende, sondern die Form!) (Aha-Erlebnis 2, gleichzeitig Nona-Erlebnis 29)
3) T. B. sagt: Alles, was ich zu sagen habe, steht in meinen Büchern. Aber das wollen wir noch sehen.
Morgen: Auf vielfachen Wunsch wiederholen wir die Folgen Gerda Maleta und Gerda Maleta, Teil 2. (Gerda Maleta hat ein Buch über T. B. geschrieben. Es heißt Wie ich Thomas Bernhard umarmt habe).
Aus Herzmanovskys Tagebüchern
4. 10.
Endlich! Der Nebel im Kopf lichtet sich. Idee für einen neuen Roman. Titel: Ich bin ein langweiliger Mensch und keiner kommt mich besuchen. Weiter bin ich noch nicht. Aber das werde ich den Journalisten jetzt immer sagen, wenn sie mich nach meinen nächsten Projekten fragen. Was vorläufig zu tun ist: Recherchieren, Materialien sammeln. Den Verleger begeistern. Den Vertrieb begeistern.
7. 10.
Habe heute im Wirtshaus ein Mädchen kennengelernt. Daß mir noch sowas passiert in meinem Alter! Das Mädchen ist bei der Tür hereingekommen und hat sofort mein gesamtes Gehirn in einen Schlagertext verwandelt. Habe mich sehr bemüht, ihr meine heruntergekommene Gesamtgesundheit zu verbergen. Nicht geräuspert, nicht gehustet, nicht gerotzt, nicht ausgespuckt. Sie arbeitet in der Buchhandlung