Herzmanovskys kleiner Bruder. Egyd Gstattner

Herzmanovskys kleiner Bruder - Egyd  Gstattner


Скачать книгу

      Von Fritz ist wieder ein Band mit Skizzen und Fragmenten erschienen. Titel: Im Garten der Erkenntnis. Ein ganz schlechter Titel, letztklassig. Wie maßlos Fritz überschätzt wird! Im Nachwort wird Fritz Meister der sublimen Bagatelle genannt. Da habe ich sofort wieder Kopfschmerzen bekommen.

      16. 10.

      Idee für Romantitel: Otto Normalverbrauchers Glück und Ende. Erst einmal einwirken lassen.

      24. 10.

      Ein Herr Doktor Mumelter von der Stadtbibliothek Meran hat angerufen und will mich für eine Dichterlesung im Frühjahr verpflichten. Er hat ausdrücklich das Wort Dichterlesung verwendet, nicht einfach bloß Lesung. Na also. Aber wie der geleiert hat, nicht anzuhören. Angeblich leiern alle Südtiroler. Und alle heißen Mumelter. Das Leiern kommt wohl von Oswald von Wolkenstein. Fritz meint, hinter der Südtiroler Artikulationslahmarschigkeit und dem gutturalen Geleier verbirgt sich aber allzu oft padanisches Dynamit. Fritz hat mir aber auch viel von den landschaftlichen Schönheiten Südtirols erzählt. Werde brieflich prinzipiell zusagen. Außerdem eine Gelegenheit, nach so vielen Jahren Fritz wiederzusehen. Hatte neben Kopfschmerzen auch wieder Rachenschmerzen, Atemnot, Schwindelanfälle.

      27. 10.

      Fritz meint, Meran sei ischlerischer als Ischl. Chronisches Kaiserwetter. Außerdem die Zedern, die Aurakien, die duftumwobenen Hochgebirge, die weißen Riesen. Meran ist gut gegen Tuberkulose, die Tuberkulose aber freilich nicht gut für Meran. Viele Meraner stecken sich an der von der mondänen Kurgesellschaft mitgebrachten TBC an und sterben jämmerlich. Des einen Freud, des andern Leid. Aber Fritzens saurem Nierndl geht es gut in Meran.

      2. 11.

      Wollte am Friedhof Mercedes treffen. Vor dem Friedhof war aber solches Gedränge, daß ich gar nicht hineingegangen bin. Statt dessen zum Autofriedhof spaziert. Womöglich wird eine sublime Bagatelle daraus entstehen. Schluckbeschwerden. Nebenhöhlenweh.

      5. 11.

      Nicht umhingekommen, höflichkeitshalber eine Vernissage zu besuchen. (Habe dem Buben der Galeristin letztes Jahr die Beistrichregeln beigebracht): Wiederum fürchterliches Gedränge. Es war aber auch diesmal eine Art Allerheiligenverrichtung. Der Maler ist tot, und der Eröffnungsredner sagt, der Maler hat zu Lebzeiten intensiv daran gearbeitet, alles Biographische aus seinen Bildern herauszumalen. Das Publikum war schon zu Lebzeiten ganz gebannt und hat dem Maler zugerufen: Toll! Superidee, alles Biographische aus deinen Bildern herauszumalen! Darauf haben wir lange gewartet! So sind die kohlrabenschwarzen Bremsspuren des Malers entstanden, die jetzt an den Galeriewänden hängen. Autofriedhof. Die Galeristin ruft ins Gedränge: Bitte passen Sie mit den Kaviarbrötchen auf! Ich hoffe, es haben alle etwas zu trinken! Der Bub der Galeristin ist übrigens trotzdem durchgefallen.

      7. 11.

      Idee für einen Lyrikband. Titel: Dicke Hausfrau in den Wechseljahren im November. Gar kein Procedere. Sowas schreibt sich ganz von allein.

      8. 11.

      Denke unentwegt an Mercedes, allerdings nichts Besonderes. Das, was man eben so denkt. Fühle mich um zehn Jahre jünger, war vor zehn Jahren allerdings auch miserabel beisammen.

      9. 11.

      Karte von Fritz. Er freut sich auf ein Wiedersehen. Wir können, schreibt er, das linke Ufer der Passer entlang auf der Sommerpromenade, am rechten Ufer die Winterpromenade bei der Wandelhalle zurückflanieren, die Kurgesellschaft beim Lustwandeln und Herumsitzen beobachten, vielleicht einem Platzkonzert beiwohnen, vielleicht einen Ausflug auf das Vigiljoch oder ins Etschtal oder nach Tarockanien unternehmen, das Puccinitheater besichtigen, auf alle Fälle Vernatsch trinken und schönen durchwachsenen Speck und Vintschgerlaibchen kauen. Ich kann ohne weiteres bei ihm auf Schloß Rametz übernachten. Außerdem schöne Grüße von Tante Berta.

      Gebrummel im Oberbauch. Atemnot. Keine Ahnung von Vintschgerlaibchen. Will und kann nicht Karten spielen.

      10. 11.

      Komme mit dem Langweiligen Menschen nicht so richtig weiter. Bin nervös. Habe immer das Gefühl, daß etwas Großes vor der Tür steht. Dafür Idee für einen Roman. Titel: Bei der nächsten Frau wird alles anders. Verleger begeistern. Vertrieb begeistern. Um den Buchhändler herumscharwenzeln. Auch dann und wann ein Gesichtsbad bei Lesungen anderer Leute nehmen.

      14. 11.

      Am Anrufbeantworter eine Nachricht von einem Wiener Ideenbüro. Ein Widerspruch in sich. Soviel ich verstanden habe, geht es um einen workshop für creative writing bei einer Winterakademie. Wo soll da jetzt die Idee sein? Die können mich! Werd’ ich irgendwelche Tante Bertas im Jänner in Hinterstoder zwischen Nebelschwaden und Eiszapfen zum Texten animieren! Als ob es nicht schon genug Leute geben würde, die schlecht und überflüssig schreiben und sich weiß-Gott-was darauf einbilden. Soll jeder glücklich und zufrieden und dem Schicksal dankbar sein, wenn er nicht kreativ ist. Wenn schon, dann lieber töpfern oder batiken. Om! Oder Ungarisch nach der Naturmethode. Literaturworkshops sind Schwachsinn, vor allem im Winter. Fritz denkt genauso. Nachricht unbeantwortet gelöscht. Die Dicke Hausfrau in den Wechseljahren im November macht sich.

      15. 11.

      In Meran ist ein Mord passiert, steht in der Zeitung. Genaueres weiß man noch nicht. Morde kommen natürlich überall vor.

      22. 11.

      Der Verleger meint, die Geschichte mit Otto Normalverbraucher erinnere ihn zu sehr an Grillparzer. Kinderzimmergrillparzer, hat er gesagt. Soll meinen eigenen Stil finden. Absage. Ohrenschmerzen.

      25. 11.

      Idee für ein Drama. Titel: Wirkl. Hofrat Ost.Prof.Mag. DDr. Faust. Sowas sollte jeder anständige Dichter im Programm haben.

      27. 11.

      Mercedes erzählt, Fritz verkauft sich ganz ausgezeichnet. Die Leute reißen sich um den Garten der Erkenntnis. Ein Zischbuch, sagt sie, ein richtiges Zischbuch. Starke Kopfschmerzen, Rachenschmerzen, Schluckbeschwerden, Atemnot, Schwindelanfälle, Gallenweh! Glaube aber nicht, daß Mercedes mich absichtlich quälen wollte. Zugegeben, sie ist ein oberflächlicher Mensch. Aber was für eine Oberfläche!

      28. 11.

      Terminvorschlag aus Meran: 26. März. Läßt sich machen. Hatte am 26. März noch nichts vor. Ort der Lesung wird das Café Palmengarten direkt an der Promenade sein. Im Meranerhof ist ein Einzelzimmer für mich reserviert.

      29. 11.

      Habe der Journalistin in den Notizblock diktiert, daß ich Nihilist bin und praktisch unentwegt im Keller Tischtennis gegen die Wand spiele. Während des Tischtennisspielens spiele ich immer Mozarts Requiem, und immer gewinnt die Wand. Eigentlich dichte ich auch nur, um mich vom Tischtennisspielen und für das Tischtennisspielen zu erholen. Ein spezifisches Konzentrationsprinzip. Habe meinen eigenen Stil beim Tischtennisspielen. Bin wesentlich stärker als Fritz, auch besser als Tante Berta. Habe der Journalistin gegenüber das Marathonextremtischtennisspielen als den Sinn des Lebens bezeichnet. Das soll mir erst einer nachmachen. Übermorgen soll das Interview in der Zeitung stehen. Etwas Großes steht vor der Tür. Da werden die Leute schauen. Es wird der Tag kommen, an dem man nicht mich als Bruder von Fritz, sondern Fritz als Bruder von mir bezeichnet. Einstweilen Halsschmerzen.

      Idee für eine sublime Bagatelle. Titel: Stilleben mit Tischtennistisch.

      1. 12.

      Der Meranerhof, meint Fritz, sei ein vorzügliches, altehrwürdiges Hotel ganz nach meinem Geschmack. Da haben schon Zweig, Kafka, Schnitzler, Dietmar Grieser übernachtet, und alle haben sich an der Rezeption im Goldenen Gästebuch mit einem goldenen Aphorismus verewigt, Dietmar Grieser außerdem mit einer eigenen Autogrammkarte mit Portraitphoto. Die Zimmer mit allem Komfort wie Badewanne und Fernsehgerät – man kennt ja die Inhalte der italienischen Sender nach Mitternacht – dazu ein barockisierender Luster, ein barockisierender Schreibtisch und barockisierendes Hotelbriefpapier. In der Schreibtischlade liegt der dreisprachige Führer Südtirol


Скачать книгу