Herzmanovskys kleiner Bruder. Egyd Gstattner
endlich wieder Ruhe einkehren. Alle atmen auf. Nur mir bleibt die Luft weg.
Karte von Fritz. Er wird mich am Bahnhof abholen und freut sich schon sehr. Außerdem ganz liebe Grüße von Tante Berta. Würgereiz, Erstickungsanfälle, Kopfschmerzen, Halsschmerzen, Gallenkolik. Weiß jetzt nicht, was ich in Meran vorlesen soll. Werde absagen.
Fitness for Europe, naja
Politisch bin ich – mit Altmeister Grünmandl gesprochen – vielleicht ein Trottel: Bei sämtlichen Volksbefragungen, Abstimmungen, Urnengängen, Wahlen meines Lebens bin ich auf kommunaler, regionaler, nationaler, internationaler Ebene ausnahmslos bei den Wahlverlierern und denen gewesen, die sich dem politischen Willen der Mehrheit beugen mußten. Urnengänge erzeugen bei mir automatisch Abbruchstimmung. Immerhin hält beugen fit und regt den Kreislauf an. Und zu den Favoriten, den Siegern und den Mächtigen zu halten wäre ordinär. Manchmal habe ich es mit meinem exotischen Kreuzchen auf Erdrutschniederlage und Debakel förmlich angelegt, das ist mein gutes Recht als Demokrat. Ganz besonders überfordert mich offen gesagt die europäische Europapolitik. Damals, 1994, habe ich, weil links und rechts alle so enorm auf historisches Verantwortungsbewußtsein gemacht haben und so viele ebenso gute wie seriöse Argumente sowohl für als auch gegen den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union gebracht haben, sowohl ja als auch nein angekreuzt. Ich nehme an, mein Votum war bei aller Weisheit und Weitsicht ungültig, aber auf komplizierte Fragen gebe ich eben komplizierte Antworten. Das ist mein gutes Recht als Demokrat.
Was mir im Zusammenhang mit der Europäischen Union jetzt prinzipiell auffällt, ist, daß alle Länder unbedingt hineinwollen, und wenn sie endlich drinnen sind, sind sie sofort maßlos enttäuscht und finden es drinnen ganz furchtbar. Was mir auffällt, ist, daß die Mitgliedsländer einander eigentlich nicht leiden können. Manchmal, wenn ich im Eurospar nebenan einen Sack Eurokartoffeln kaufe, gehe ich noch ins integrierte Eurostüberl, und wenn gerade Eurostüberlkirchtag ist, schaue ich den Eurospartypen auf’s Maul: Ich will nicht politischer als die Politiker und nicht demoskopischer als die Demoskopen werden, aber soviel kann ich sagen, daß im Eurostüberl der eingeschlagene Pro-Europakurs und die Euroskepsis wild miteinander ringen. Immer wieder heißt es da programmatisch: Europa ja – aber ohne die arroganten Briten. Europa ja – aber ohne die chauvinistischen Franzosen und die großköpfigen Deutschen. Europa ja – aber ohne die verlotterten Italiener und die nichtstuenden Portugiesen und die faulenzenden Griechen und die frigiden Finnen! Europa ja, aber ohne den ganzen Völkerramsch des Ostens. Man darf die Osterweiterung nicht übertreiben, heißt es am Eurostüberlkirchtag, bloß weil dort kein gescheiter Ozean als Grenze vorhanden ist, und theoretisch könnt’ man bis nach Wladiwostock expandieren. Da wird sich die Bauwirtschaft noch so eine Art Suezkanal einfallen lassen müssen. Gerade Osteuropa ist ja angeblich leider überhaupt nicht durchtrainiert, heißt es. Der ganze Osten ist ein Fall für die Special Olympics, special, die Euphemismen haben wir schon intus. Und weil wir schon dabei sind: Europa ja – aber ohne die selbstherrlich grantigen Wiener! Europa ja – aber ohne die verschlagenen Vorarlberger und verstockten Tiroler! Europa ja – aber ohne die dickschädeligen Salzburger und Oberösterreicher und ohne die nichtssagenden Niederösterreicher. Europa ja – aber ohne die dramatisch vertrottelten Steirer und Burgenländer!
1994 haben die Beitrittsbefürworter so getan, als wär’ Europa eine grazile Königstochter, die es tierisch mit den Göttern treibt. Keine fünf Jahre später ist Europa aber eine etwas unförmig gewordene Lady in den Wechseljahren, die sich kübelweise Schminke ins Gesicht patzt und da und dort an Parkinson, Alzheimer und Maul- und Klauenseuchenpanik laboriert. Vier Jahre nach dem Beitritt sind die ranghöchsten Beitrittsbefürworter und auch der österreichische Mister Europe himself geschlossen in Pension gegangen – oder geschickt worden. 1994 haben sie den Beitritt mit einem Persilschein ins Elysium gleichgesetzt und einer eventuellen staatlichen Eigenbrötlermehrheit widrigenfalls drastische Steuererhöhungen und Sparpakete angedroht. Naja. Keine vier Jahre später ist die Rede davon, daß Europa jetzt dringend fitzubekommen wäre: Circletraining, fatburning, body-working, stretching, und da dürfte unsereins wohl doch ein wenig überfordert sein. Ein Kommissarwandertag nach Kaprun und ein Kommissarwasserschispringen in Pörtschach könnten zu wenig sein. Österreich ist ja nicht der Physiotherapeut des ganzen Kontinents. Am österreichischen Wesen wird Europa nicht genesen.
Was mir prinzipiell auffällt, ist, daß überall zufriedene Politiker unzufriedene Völker regieren, daß die geradezu hochzufriedenen Politiker aber ganz selbstverständlich davon ausgehen, daß sich die tiefe Unzufriedenheit der Bevölkerung ganz einfach mittels irgendwelcher Werbekampagnen und Slogans in den Medien und auf den Plakatwänden völlig problemlos, leicht und locker beseitigen läßt. Sag’ den Armen, daß sie eigentlich reich sind, und sie sind reich. Sag’ den Kranken, daß sie gesund sind, und sie sind gesund. Sag’ den Dummen, daß sie klug sind, und sie bleiben dumm. Politisch bin ich vielleicht ein Trottel, aber mir fällt auf, daß sich in letzter Zeit bei jedem Länderspiel der leibhaftige Herr Bundeskanzler und der leibhaftige Herr Vizekanzler in der Halbzeitpause in die Kamera drängen und fachkundige Interviews zum Spielgeschehen geben. Immer kann es sich bei diesen Auftritten ja nicht um Verwechslungen handeln, und ich warte jetzt eigentlich nur noch darauf, daß der leibhaftige Anton Pfeffer seine Regierungserklärung abgibt.
Politisch bin ich vielleicht ein Trottel, aber soviel weiß ich mit Sicherheit: Allen Interviews und Bundeskanzlerfachsimpeleien zum Trotz hat sich Österreich in seiner gesamten Geschichte noch nie für eine Europameisterschaft qualifizieren können. Österreich war stets schon in der Vorausscheidung bei den Verlierern. Sogar die Türkei war schon bei einer Europameisterschaft. Bei Weltmeisterschaften war Österreich schon gelegentlich, wenn auch mit mäßigem Erfolg, aber bei keiner einzigen Europameisterschaft.
Apropos Europa: In der Europäischen Union, erklären die Kommissare und der Ratspräsident, werden wichtige Fragen vorangetrieben. Damit ist das Wort beantworten elegant umwunden. Oft hört man auch das Wort Subsidiarität. Dazu fällt mir ein, daß es vom lateinischen subsidium kommt, das Hilfe bedeutet (so schlau bin ich in Wirklichkeit!), und zum Wort Hilfe fällt mir als erstes der Satz ein: Dir werde ich schon helfen! Ein Satz für Kommissare. Zum Kommissar fällt mir ein, daß, wo ein Kommissar ist, auch der Kriminalfall nicht weit sein kann. Das bringt mich zum Wort Hilfssheriff und weiter zu den Worten Hilfsausdruck und Hilfsarbeiter. Hilfe hat also etwas mit mangelnder Qualifikation zu tun. Dazu paßt auch recht gut meine zweite Assoziation zum Wort Hilfe, nämlich die Studie des Gesellschaftsanalytikers Wolfgang Schmidbauer mit dem Titel Die hilflosen Helfer und der These, daß im Altruismus oft mehr Egoismus steckt als sonst was. Viele Helfer helfen sich, indem sie helfen, selbst viel mehr als denen, denen sie helfen. Viele Retter machen ihre Opfer erst zu Opfern, damit sie sie anschließend retten können, und wenn sie die Opfer fertiggerettet haben, sind sie den Opfern richtig böse, daß sie keine Opfer mehr sind. Zum Wort Sondergipfel fällt mir als erstes ein, daß es die Metastase einer Metapher und von Natur aus ebenso wenig vorgesehen ist wie eine ehemalige Himmelsrichtung; zweitens, daß bei einem Sondergipfel in Pörtschach am Wörthersee eine Sondergipfelschiffsprozession für Kommissare vorgesehen ist; ein halsbrecherisches Unterfangen eigentlich. Hoffentlich geht da nichts schief.
Apropos Gipfel: Die Schweiz war schon bei einer Europameisterschaft, Österreich nicht. Auch Griechenland war schon dabei, Österreich nicht. Bulgarien, Österreich nicht. Rumänien, Österreich nicht. Portugal, Österreich nicht. Leider kommen nämlich seit Jahrzehnten immer gerade die Nationen, gegen die Österreich anzutreten hat, ausgerechnet vor dem Spiel gegen Österreich in Form, laufen während des Spiels gegen Österreich zur Höchstform auf und verschwinden nach dem Spiel gegen Österreich wieder in der Versenkung. Belgien war sogar schon im Finale einer Europameisterschaft, Belgien, dieser langweilige Zwergenstaat, unfaßbar! Erst im Finale eine unglückliche Niederlage gegen Deutschland. Niederlagen gegen Deutschland sind immer unglücklich, nicht eine einzige glückliche Niederlage gegen Deutschland. Naja, lassen wir das. In der laufenden Europameisterschaftsqualifikation muß Österreich ausgerechnet gegen Israel antreten, das gerade erst den Eurovisions-Song-Contest