Herzmanovskys kleiner Bruder. Egyd Gstattner
sagt ab, mit der wirklich dämlichen Ausrede, ich hätte Heinrich Faust mit Hans Wurst verwechselt. Hans Wurst ist der österreichische Faust. Mystiker sind beide, beide Solipsisten. Idee für Untertitel: Wursts Gretchenfrage.
29. 1.
Von der Idee, Mercedes mit nach Meran zu nehmen, wieder abgekommen. Was, wenn Fritz an Mercedes Gefallen findet und sie umgarnt? Wenn er, wie es seine Art ist, so halbseiden altösterreichisch um Mercedes herumscharwenzelt, ihr Wonnevolles bezüglich des grünen Barockteiches des Schlößchens Xaverinenlust ins Öhrlein flüstert, von ihrem Öhrlein gar nicht mehr abläßt und ... – schon die bloße Vorstellung ist mir unerträglich. Mitteilung an den Meranerhof mit der Bitte, anstelle des Doppelzimmers nun doch ein Einzelzimmer zu reservieren.
5. 2.
Schon wieder ein Mord in Meran, und noch immer keine Spur vom Täter. In der Zeitung steht, es könnte was Politisches sein, aber ich mache mir trotzdem allmählich Sorgen. Gar so groß ist Meran ja auch wieder nicht, und bis ich nach Meran komme, gibt es Meran vielleicht überhaupt nicht mehr. Sollten jedenfalls nicht gar so viele Leute zur Lesung kommen, liegt das nicht an mir. Die beste aller Ausreden, nicht zu meiner Lesung zu kommen, ist die, einem Mordanschlag zum Opfer gefallen zu sein.
6. 2.
Habe viel zu tun: Geschirr spülen, Wäsche waschen, Staubsaugen, Bügeln, Müll trennen, Frauenvolksbegehren unterschreiben. Meine Solidaritätskundgebung beim Frauenvolksbegehren hat aber keiner Frau nachweislich imponiert, nicht einer einzigen Tochter aus Elysium. Kein Tandaradei, nicht einmal in Spurenelementen. Frustrierte Aufwendung. Mit Feminismus kann man offensichtlich keine Frauen mehr herumkriegen. Sollte diabolischer werden. Halsschmerzen, Würgereiz, Prothesenweh. Beim nächsten Frauenvolksbegehren wird alles anders.
9. 2.
Notiz am Rande: Motivsuche. Der Meraner Massenmörder hat es darauf angelegt, meine Lesung zu verhindern, meinen Durchbruch. Er wird so lange wüten, bis ich entnervt aufgebe und absage. Möglicherweise ein neidischer Kleindichter aus der Umgebung. Solche Typen sind zu allem fähig. Mit dem Gedanken gespielt, der Meraner Polizei meinen Verdacht zu melden. Was noch zu tun ist: die Meraner Stadtpolizei anrufen. Polizeischutz für meine Lesung anfordern.
13. 2.
Mit Mercedes im Kaffeehaus. Habe ein Gedicht für sie geschrieben, das davon handelt, wie weiß und glatt ihre Hände sind. Aber nicht gewagt, es ihr vorzutragen. Verfalle lyrisch immer gleich ins Reimen, und in meinen Gedichten regnet es ständig. Auch bei Fritz diesbezüglich nichts Brauchbares gefunden, nur Blasius Pfurzschnöller. Statt dessen etwas von Ringelnatz ausgeborgt. Mitteilung an den Meranerhof, anstelle des Einzelzimmers doch ein Doppelzimmer zu reservieren.
Mercedes war wunderbar um die Augen geschminkt. Vielleicht trifft das Wort sphinxartig zu. Aber seit ich sie treffe, hat sie immer nur schwarze Baumwollhosen an, und ich habe noch nicht ein klitzekleines Stückchen Beinfleisch von ihr zu sehen bekommen, als ob sie gar keines hätte, oder als hätte sie es in Budapest verwahrt. Das Unerfüllte ist es, das mich rasend macht. Das will mir schier das Herz verbrennen. Vielleicht verbirgt sie bärtige Waden, dann wäre ich schlagartig von ihrem Zauber erlöst. Mit dem literarischen Markt ist es genauso. Jedesmal, wenn ich sie sehe, muß ich mich betrinken. Möchte eigentlich schon lang mit Mercedes brechen, habe aber bisher noch nichts zustande gebracht, was konkret gebrochen werden könnte. Bewundernswert, wie asexuell sie rund ums Jahr kommt.
19. 2.
Mord in Meran. Brief von Fritz. Wird jetzt für eine Zeitlang nach Bozen verreisen. Ich soll mir aber keine Gedanken machen. Natürlich mache ich mir Gedanken. Bindehautentzündung links, zuzüglich zum somatischen Status quo ante.
20. 2.
Hab’ Mercedes nun doch gefragt, ob sie mich nach Meran begleitet. Sie kann aber nicht, weil sie zu der Zeit wieder nach Budapest fährt, um mit ihrem Freund Schluß zu machen. Mitteilung an den Meranerhof, anstelle des Doppelzimmers nun doch ein Einzelzimmer zu reservieren. Habe mir vorgenommen, wenn ich zum Festival ungarischer Gegenwartsdramatik komme, persönlich und von mir aus mit ihrem Freund Schluß zu machen.
21. 2.
Mord in Bozen. Bin fassungslos.
22. 2.
Idee für einen Merankrimi. Während die Ortspolizei im Dunkeln tappt, hat der Erzähler seinen Bruder, einen aus Nierengründen in Meran lebenden Dichter im Verdacht, für die mysteriöse Mordserie verantwortlich zu sein. Motiv: Dauernd in der Zeitung stehen wollen. Und außerdem dem Bruder Publikum stehlen. Nach langer, akribischer Beweissuche gelingt es dem Helden, den Dichterbruder als Mörder zu überführen. Während des öffentlichen Vortrags des Erzählers kommt es zur spektakulären Verhaftung. Der Erzähler wird Meraner Ehrenbürger und steht in allen großen Zeitungen. Werde zugunsten des Merankrimis vorerst die Arbeit am Langweiligen Menschen zurückstellen.
25. 2.
Streitigkeiten mit dem Vermieter bezüglich des Mietrückstands. Eine Bagatelle, im Angesicht der Ewigkeit. Habe dem Vermieter erklärt, daß ich nach Meran fahre. Hat mich gefragt, wann genau ich übersiedle.
8. 3.
In nur einer Woche den kompletten Merankrimi geschrieben. Wie aus einem Guß. Habe gearbeitet wie ein Besessener und bin jetzt sehr erleichtert und zufrieden. Mehr als bloß eine sublime Bagatelle. Der Merankrimi hat alle Bestselleringredienzien, und ein phänomenaler Erfolg muß sich zwangsläufig einstellen. Er ist sehr spannend, und ich habe nebenbei eine dramatische Nierentransplantation (als Spenderin Tante Berta) und auch Mercedes erotisch hineinverwurstet: Liebesszene mit Umarmung und Zungenkuß auf der Sommerpromenade vor dem Elisabethdenkmal. Mercedes trägt einen Rock, der die Knie nicht berührt, und bis zur kleinsten Zehe ist alles noch femininer als ein Frauenvolksbegehren. Im Finale nach der Lösung des Falls mit spektakulärer Verhaftung auch Traumhochzeit. Natürlich viel Vernatsch. Nebenbei hervorragend zu verfilmen. Denke vor allem an Klaus Jürgen Wussow als Nierenspezialisten, an Mercedes Echerer als Mercedes sowie an Ben Kingsley als ich. Meran wird verblüfft sein. Werde gleich zum Zahnarzt gehen.
10. 3.
Noch zwei Wochen bis Meran. Fange allmählich mit dem Kofferpacken an. Mir fällt kein Aphorismus für das Goldene Gästebuch des Meranerhofs ein. Werde einfach den von Dietmar Grieser abschreiben. Gästebücher sind ohnehin keine Bestseller.
11. 3.
Der Zahnarzt ist krank.
Bisher hat Mercedes es bei unseren harmlosen Tête-à-têtes immer vermieden, mich beim Namen zu nennen. Heute aber hat sie mich zum ersten Mal direkt und unverblümt Franz genannt, einmal sogar Franzl, als ob wir schon seit Jahren ... Tandaradeihochzwei. Allmählich entsteht eine Nähe und Vertrautheit und Intimität. Es geht voran! Sie ist so süß!
18. 3.
Fritz ist mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet worden. Wie ich ihn kenne, hält er das wahrscheinlich für eine Auszeichnung. Pfurzschnöller! Soll sich nicht zu früh freuen.
22. 3.
Mercedes ist nach Budapest abgereist. Sobald wir zurück sind, werde ich die Sache intensivieren. Fühle mich sehr jung. Frühlingserwachen!
23. 3.
Noch drei Tage. Der psychische Druck vor einer Lesung ist natürlich enorm. Die literarisch-kriminologische Doppelbelastung. Und dann gleich Meran. Die Meraner wissen ja nicht, was da an Enthüllungen auf sie zukommt. Aber wer einmal in Meran gewesen ist, der kommt überall hin.
24. 3.
Der Mörder von Meran ist gefaßt, steht in Riesenlettern auf der Titelseite der Zeitung, nebenbei auch gleich erschossen und entsorgt. Nicht Fritz, sondern ein psychisch Kranker, schon seit Jahren in psychiatrischer Behandlung. Plötzliche Bestsellerzerplatzung. Phantomzahnschmerzen. Pflusterwimmer! Pfurzschnöller! Fühle mich sehr alt. Der Meraner Bürgermeister und der Tourismusreferent atmen auf, auch die Stadtbibliothek, das Puccinitheater, der Meranerhof, die Kurverwaltung und die Kurgesellschaft,