Memoiren einer Sozialistin Kampfjahre. Braun Lily

Memoiren einer Sozialistin Kampfjahre - Braun Lily


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»Was, im Wirtshaus essen Sie —?!« Sie schlug die Hände erstaunt zusammen. — »Kein Wunder, daß Sie so blaß und schmal werden; ordentlich herausfuttern müßte man Sie —«

      Bebel trat ein, mit einem raschen, elastischen Schritt, die glänzenden Augen gerade auf mich gerichtet, während ein Büschel Haare ihm keck, wie bei einem Knaben, in die Stirne fiel. Von einer breiten Hand — zu schwer fast für den schmächtigen Körper — fühlte ich meine Finger umschlossen. »Ich freue mich Ihres Besuchs —,« seine Stimme klang im Zimmer viel weicher und voller als auf der Rednertribüne, »— nicht mehr allein, weil Sie Glyzcinskis Witwe sind. Nach dem Schriftstück hier —,« er hielt das Programm des Zentralausschusses in der Hand, »— haben wir von Ihnen viel Gutes zu erwarten.«

      Er nötigte mich in sein Arbeitszimmer, einen kleinen Raum mit wenigen gestrichenen Holzmöbeln, blank gescheuerter Diele und musterhafter Ordnung. Wir erörterten alle Einzelheiten meines Plans.

      »Sie können mit Ihrer Arbeit da einspringen, wo die Regierung nicht eine, sondern hundert Lücken gelassen hat. Unsere Beteiligung freilich wird sich wohl nur auf Ratschläge beschränken.«

      »Damit ist mir nicht gedient!« rief ich. »Wie können wir in die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Arbeiter Einblick gewinnen, wenn Sie uns nicht die verschlossenen Türen öffnen.«

      »Ja, glauben Sie, ich wäre der liebe Gott?!« lachte er. »Ich könnte etwa den Gewerkschaften befehlen, Ihren Bestrebungen Vertrauen entgegenzubringen, oder gar unseren Frauen!!«

      Wir wurden zu Tisch gerufen. Kein Diner hatte mir je so gut gemundet wie dieses einfache Mittagsmahl. Die besten Stücke wurden mir auf den Teller gehäuft.

      »Sehen Sie, wie's schmeckt, wenn man nicht trübselig allein an einer schmuddeligen Wirtstafel sitzt!« sagte Frau Bebel, befriedigt über meinen Appetit. Sie schwieg sonst meist. Nur wenn der lebhafte Gatte gar zu heftig irgendeinen Gegner angriff, warf sie ein paar besänftigende oder entschuldigende Worte ein, und als er gegen die Junker wetterte, sah sie zuerst ihn, dann mich vielsagend an.

      »Ach soo —,« er unterbrach sich ein wenig verlegen, »— Sie gehören ja am Ende auch zu ihnen! — Aber mein Schimpfen ist wahrscheinlich ein sanftes Flötenspiel gegen die Töne, die angesichts der Kreuzzeitungsaffäre in Ihren eigenen Kreisen angeschlagen werden. Der Fall Hammerstein, diese Dekouvrierung eines der Edelsten und Besten, kommt den privilegierten Beschützern von Religion und Sittlichkeit gerade jetzt gewaltig in die Quere. Und die Sache ist noch lange nicht zu Ende, — die ganze Kreuzzeitungspartei, die den jungen Kaiser vor ein paar Jahren als Zugpferd vor ihren eignen Wagen spannen wollte, wird daran glauben müssen.« Er verbreitete sich, immer lebendiger werdend, über die politische Lage und die nächsten Zukunftsaussichten. Er sah überall Symptome für den Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft, und auf der anderen Seite Etappen zum Siege des Sozialismus. »Die Weltmachtpolitik, die, einmal begonnen, nicht mehr aufzuhalten sein wird, ist der Anfang vom Ende. Sie appelliert zwar an die stärksten, an die brutalen Instinkte, aber sie führt schließlich mit Notwendigkeit zur Auspowerung der Massen und treibt sie uns damit in die Arme, — gewisser, als alle Agitation von unserer Seite es vermöchte. Selbst ein möglicher Weltkrieg zwischen den Kolonialmächten wäre nur der Auftakt der Revolution.«

      Ich dachte an Shaw und seine unbedingte Gegnerschaft zu dieser ans Fatalistische streifenden Auffassung von der Entwicklung zum Sozialismus und warf in diesem Sinn eine bescheidene Frage in die Unterhaltung: »Stehen wir nicht in Gefahr, als bloße Zuschauer die Hände in den Schoß zu legen, wenn uns die Naturgesetzlichkeit des Sozialismus so zweifellos fest steht?«

      »Ein Einwurf, der nach dem Katheder schmeckt! Müssen wir nicht die Menschen für diese Entwicklung vorbereiten?«

      »Also ist alle Gegenwartspolitik der Partei nie Selbstzweck —?«

      »Sondern nur Mittel zum Ziel,« rief er lebhaft, »und ihr Wert ist nur von diesem Gesichtspunkt aus zu bemessen!«

      »Wie habe ich danach Ihr Interesse für meinen Plan einzuschätzen?« frug ich lächelnd. »Als bloße Höflichkeit etwa?!«

      »Treiben wir Sozialpolitik aus Höflichkeit?! Doch nur, weil eine gesunde, kräftige Arbeiterschaft, die Zeit hat zum Denken und zum Wirken, die Armee ist, die wir haben müssen.«

      Ich streifte mechanisch die Handschuhe über die Finger. Mein Herz schlug in dem raschen Takt der Melodie, die dieser Mann angeschlagen hatte. Der Glaube an die Sache —, das war das Unüberwindliche in ihr. An der Tür hielt mich Bebel noch einmal auf: »Ich rate Ihnen, wenn Sie irgend etwas im Kreise unserer Genossinnen erreichen wollen, — setzen Sie sich mit Wanda Orbin in Verbindung. Am besten, fahren Sie zu ihr. Ist sie gegen Ihren Plan, so haben Sie alle miteinander gegen sich!«

      Noch am selben Abend schrieb ich an Frau Orbin, um ihr meinen Besuch anzukündigen; zugleich bat ich sie, in ihrer Zeitschrift, der »Freiheit«, meine Idee zur Diskussion stellen zu dürfen. Sie antwortete umgehend, aber was sie schrieb, klang wenig ermutigend: Wenn mein Weg mich über Stuttgart führe, so würde ihr mein Besuch willkommen sein; zu einer Reise, eigens ihretwegen, könne sie mir jedoch nicht raten, da sie zwecklos sein würde; von einer Veröffentlichung meines Plans in ihrer Zeitschrift könne auch keine Rede sein: »... die ›Freiheit‹ ist ein rein sozialdemokratisches Blatt, an dem ich grundsätzlich nur solche Mitarbeiter zulasse, die auf dem Boden des Klassenkampfes stehen.« Trotzdem beschloß ich, zu ihr zu fahren, und wäre es nur, um die Bekanntschaft dieser Frau zu machen, deren Leben und deren Persönlichkeit ein wahrhaft vorbildliches zu sein schien. Bebel, den ich in dieser Zeit öfter sah, erzählte mir viel von ihr: wie sie sich mit Peter Orbin, einem russischen Sozialisten, in freier Ehe verbunden habe, ihm nach Paris in Elend und Verbannung gefolgt sei und das schwere Siechtum, das über ihn hereinbrach, jahrelang vor ihren Freunden zu verstecken verstand, indem sie in seinem Namen korrespondierte, in seinem Namen Artikel schrieb und mit zwei kleinen Kindern und dem kranken, ständiger Pflege bedürftigen Mann nicht nur das tägliche Brot für alle schaffte, sondern auch imstande war, für die Partei unermüdlich zu agitieren. Mir schwindelte vor dieser Leistungskraft; meine Schmerzen, meine Kämpfe schrumpften davor kläglich zusammen.

      »Ihre Nerven freilich hat sie dabei ruiniert,« fügte Bebel schließlich hinzu.

      An einem Abend hatte ich Liebknechts und Bebels zu mir geladen. Längst erloschene Gesellschaftsvorfreuden empfand ich wieder in der Erwartung dieser Gäste. Zum erstenmal vermißte ich schmerzlich all die vielen graziösen Geräte, mit denen ich als Haustochter die Festtafel zu schmücken verstand, — ich hatte nicht einmal genug Messer und Gabeln! Schweren Herzens entschloß ich mich, bei den Eltern zu borgen, was am notwendigen fehlte.

      »Du gibst Gesellschaften?« frug Mama erstaunt. »Kaum ein halbes Jahr nach dem Tode deines Mannes?!«

      »Nur ein paar Interessenten meines Zentralausschusses —,« antwortete ich ausweichend, während die Scham über diese verlogene Geheimniskrämerei mich erröten machte. War es Zufall oder Absicht, daß mein Vater, kurz ehe ich meine Gäste erwartete, zu mir kam und Anstalten machte zu bleiben? In quälender Angst saß ich vor ihm, alle erdenklichen Gründe ersinnend, um ihn, ohne ihn zu verletzen, zum Gehen zu nötigen. Endlich stand er auf. »Meine eigene Tochter wirft mich hinaus,« sagte er mit einem müden, wehen Ton in der Stimme. »Lieber — lieber Papa! —« ich schlang die Arme um seinen Hals und küßte ihn. In diesem Augenblick kam ich mir vor wie ein Verräter. Der Abend, auf den ich mich so gefreut hatte, war für mich eine Qual.

      Am nächsten Morgen fuhr ich nach Stuttgart. Ein unbestimmtes Hoffen, das wie durchleuchtet war von froher Ahnung, erfüllte mich: irgend etwas ganz Ungewöhnliches würde geschehen. Auf dem Bahnhof empfing mich Frau Orbin. Ihre Erscheinung war nicht die imponierende, die ich mir vorgestellt hatte. Ich sah zunächst nichts als eine breite untersetzte Gestalt und einen großen Hut mit zerzausten Federn, der windschief auf ihrem Kopfe saß und ihre Züge beschattete. Fast hätte ich sie nicht wiedererkannt, als sie ihn abgenommen hatte und sich im Speisezimmer des Hotels zu mir setzte. Rotblonde Haare bauschten sich wellig um Stirn und Schläfen, helle Augen, in allen Lichtern des Regenbogens spielend, sahen mir gerade ins Gesicht, auf der Stirn, um Nase und Mund gruben sich


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