Memoiren einer Sozialistin Kampfjahre. Braun Lily

Memoiren einer Sozialistin Kampfjahre - Braun Lily


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eifrig: »Natürlich, — das ist der Unterschied, — und der kommt zum großen Teil daher, daß das Jahr 48 und das Sozialistengesetz mir das Vaterland nahmen und die Welt zur Heimat machten. Auch der Proletarier, der nichts besitzt, und der Arbeit über alle Grenzen hinweg nachrennen muß, ist von Herzen international, und die Hammerstein und Konsorten,« — er lachte boshaft —, »die sich vom Vaterland den Schmerbauch mästen lassen, predigen uns Verruchten Patriotismus!« Er unterbrach sich und stand auf. Ich wollte gehen »Daraus wird nichts, — nun müssen Sie noch bei meiner Frau Kaffee trinken.«

      Ich wurde ins Wohnzimmer geführt. Bei Frau Major X. in Bromberg und bei Frau Hauptmann Z. in Brandenburg war es nicht viel anders gewesen —, nur daß hier statt der Familienbilder die von Marx, Engels und Lassalle an den Wänden prangten, statt des Stichs der Sixtina Walter Cranes Maifestzug, und ich damals noch nicht in die rechte Sofaecke genötigt wurde. Frau Liebknecht war die typische Gouvernante aus vornehmen Häusern, der Bildung und Lebensform nicht die Haut war, sondern das Kleid. Ihm war ich irgendwer gewesen, ihr: »Frau von Glyzcinski.«

      Es dämmerte schon, als ich mit ihm das Haus verließ. Er ging in seine Redaktion, ich in die Ansbacherstraße, wo ich die Eltern aus Pirgallen zurückerwarten sollte. »Und für meinen Plan kann ich auf Ihre Unterstützung nicht rechnen?« fragte ich nun doch noch einmal. Er blieb stehen. »Meine Unterstützung?! Das würde keinem von uns nützen. Überlegen Sie sich's selbst noch mal, ob er Ihrer eigenen Unterstützung wert ist!«

      Die Stimmung war keine rosige, in der ich Eltern und Schwester empfing, und auch sie schienen erregt und niedergeschlagen: Mama hatte die Lippen fest zusammengekniffen, so daß sie nur noch wie ein schmaler, blasser Strich erschienen, der Vater war feuerrot im Gesicht und räusperte sich ununterbrochen, Ilschen hatte verweinte Augen. »Alles ging so gut,« flüsterte sie mir hastig zu, als die Eltern ins Zimmer getreten waren, und hielt mich im Flur zurück, »da kam es gestern abend wegen der dummen Hammerstein-Geschichte zu einer Auseinandersetzung zwischen Onkel Walter und Papa. Das Vertuschungssystem sei unanständig, sagte er, während Onkel es für notwendig erklärte im Interesse der Partei. Schließlich schimpfte Papa — du kannst dir denken, wie —, und Onkel sagte, Papa habe sich wohl bei seiner Tochter, der ›Genossin‹, angesteckt, — ein Wort gab das andere, Onkel zeigte Papa schließlich die Kreuz-Zeitung mit der Notiz über dich — —«

      »So, — nun haben wir miteinander zu reden —,« unterbrach meines Vaters vor Erregung rauhe Stimme die Schwester. Es war ein förmliches Verhör ...

      »Mitglied der sozialdemokratischen Partei bin ich noch nicht —,« sagte ich. Er lehnte sich tief aufatmend mit geschlossenen Augen in den Stuhl zurück. Ich wollte fortfahren. Er wehrte mit beiden Händen ab: »Genug — genug! Mehr will ich nicht hören — mehr nicht!« Dann erhob er sich schwerfällig, ging zum Schreibtisch und setzte ein Telegramm auf: »Baron Walter von Golzow, Pirgallen. Ich habe Alix' Wort. Verlange nunmehr von dir Ehrenerklärung. Hans.« Ich wollte widersprechen, — des Vaters rotunterlaufene Augen blitzten mich herrisch an, Ilse faltete hinter ihm mit bittender Gebärde die Hände —, ich schwieg. War es Feigheit? War es Rücksicht? Oder nichts als schlaffe Ermüdung?

      Beim Abendessen wurde mir mitgeteilt, daß die Gartenwohnung auf derselben Etage frei geworden sei. »Wir hätten andernfalls umziehen müssen, nun ersparen wir das, und du ziehst einfach hierher,« sagte der Vater; »dann haben wir Alten wieder unsere beiden Töchter,« fügte er mit einem Anflug liebevoller Heiterkeit hinzu und streckte mir über den Tisch die Hand entgegen. Nur zögernd legte ich die meine hinein.

      »Sehr gütig, Papa, daß du an mich dachtest, aber ich habe schon eine Wohnung.« Er brauste wütend auf. Schweigend ließ ich den Wortschwall über mich ergehen.

      »Ich habe euch meine Überzeugung geopfert,« sagte ich dann fest, »meine Freiheit opfere ich euch nicht ...«

      Durch die sternenlose Augustnacht ging ich nach Hause. Über die menschenleere Straße schwankten ein paar Betrunkene. Wie fürchtete ich mich sonst vor ihnen, — gleichgültig schritt ich heute vorbei, — meinetwegen hätten sie mit mir tun können, was sie wollten. Ich war ja gar nicht ich, nur ein Schatten dessen, das einst lebendig war. In meiner einsamen dunkeln Wohnung warf ich mich angekleidet aufs Bett und grübelte stumpfsinnig dem einen Gedanken nach: Warum ich eigentlich den Morgen erwarten müßte — und den Tag — und wieder einen Tag, und so in endloser Reihe die ganze Leere des Lebens?!

      In meinen stillen Zimmern lastete die Luft auf mir. Die Sonne strahlte durch die grünumsponnenen Fenster, über die lachenden Gärten, — wäre ich nur erst in meinem neuen Heim, wo ich nichts sah, als eine gemalte Landschaft! Von innerer Unruhe getrieben, lief ich in der Stadt umher, blieb vor den Schaufenstern stehen und ertappte mich auf einem halb unbewußten Verlangen nach hellen Kleidern. Ich saß allein vor dem alten verräucherten Kaffee Josty und sah über den Potsdamer Platz hinweg den Menschen nach, die schwatzten und lachten und kokettierten, und unter die ich mich nicht mischen durfte. Ein Gefühl von wohliger Wärme überkam mich, wenn bewundernde Blicke mich trafen, — ach, und Sehnsucht packte mich, unbändige Sehnsucht nach Lebensfreude.

      Damals begegnete mir Graf Oer, einer meiner alten Tänzer; er hatte den schlechtesten Ruf und war doch einer der verwöhntesten Männer der berliner Gesellschaft. Eine aufreizende, schwüle Atmosphäre verfeinerter Sinnenlust umgab ihn; schon sein forschender Blick aus halbgeschlossenen Augen, sein weicher, langsamer Händedruck ließ die Frauen erröten, denen er sich näherte. Mir gegenüber war er ganz teilnehmender Freund. »Ihre Blässe erhöht zwar nur Ihren Reiz, schönste Frau,« sagte er, »aber im Verein mit Ihrer sylphidenhaften Gestalt« — seine Blicke wanderten förmlich über meinen Körper — »finde ich sie beängstigend. Sie brauchen Sonnenweide wie ein Rassepferd. Was meinen Sie, wenn ich Ihnen täglich ein paar Stunden lang meinen Wagen schicke und Sie in den Grunewald fahre oder nach Wannsee?« Trotz meiner Ablehnung, die nicht sehr energisch gewesen sein mochte, hielt sein elegantes Juckergespann am nächsten Morgen vor meiner Türe. War das wonnig, so in den jungen Tag hineinzurollen; mit geschlossenen Augen vorbei an den öden Feldern des Kurfürstendamms, in den Grunewald hinein, dessen vereinzelte Villen sich rasch verloren, bis zu dem kleinen Försterhaus am stillen See, in dem die Sonne sich, ihrer Schönheit froh, eitel bespiegelte. »Wie Sie genießen können!« sagte Graf Oer, als wir beim Frühstück im Gärtchen saßen. »Und Sie wollen lebendigen Leibes ins Kloster gehen! Die Welt ist so schön und wartet nur darauf, Sie zu empfangen, — lassen Sie mich Ihr Führer sein —« Ich fühlte seine feuchten, kühlen Lippen auf meiner Hand, sein Knie dicht an dem meinen, — ein unbezwinglicher Ekel schnürte mir die Kehle zusammen. Ich sprang auf, raffte mein Kleid und verließ ohne ein Wort, ohne einen Blick den Garten. Waren Genuß und Gemeinheit Zwillingsgeschwister, so wollt' ich wahrlich ins Kloster gehen!

      Zu Hause erinnerte mich ein Brief an den letzten und wichtigsten Besuch, den ich im Interesse des Zentralausschusses machen wollte: bei Bebel. Er lud mich zum Mittagessen ein, »dabei läßt sich am besten besprechen, was Ihnen am Herzen liegt und mich lebhaft interessiert.«

      In der Großgörschenstraße wohnte er, einer jener neuen Straßen, die jede Fassadenpracht verschmähte und deren üppiger Blumenschmuck verriet, daß die vielen kleinen Balkons die Sommerfrische ihrer Bewohner waren.

      Ein lächelndes Dienstmädchen in blendend weißer Schürze öffnete mir auf mein Läuten an der blank geputzten Klingel. Ein leichter Geruch nach frischer Seife drang mir entgegen, und in dem hellen Zimmer, das ich betrat, blinkte die Politur der Möbel, daß sich die Bilder an den Wänden darin spiegelten. Die vollkommenste Einfachheit herrschte hier, jede Spur künstlerischer Kultur fehlte, aber es fehlte auch jeder Versuch, Nichtvorhandenes vortäuschen zu wollen. Die kleine, runde Frau, die mich herzlich willkommen hieß, mit der schwarzen Schürze über dem schlichten Kleid, den von Güte strahlenden Zügen unter den glatten Scheiteln, war wie ein Teil dieses Raumes. Sie nötigte mich in den Lehnstuhl neben dem Nähtischchen am Fenster, meine Hand fest in der ihren haltend.

      »So eine arme, junge Frau,« sagte sie mitleidig; »ich mußte oft an Sie denken und an Ihre Einsamkeit, — ich wäre längst bei Ihnen gewesen, wenn ich nicht gefürchtet hätte, zudringlich zu erscheinen.« Mir wurden die Augen feucht, — meiner Einsamkeit hatten sich auch die Nächsten


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