Samoafahrten. Otto Finsch
bis zu den Le Maire-Inseln erstrecken. Wie so häufig in diesen Breiten, war die See glatt wie ein Spiegel und nur selten ließen sich schwarze Meerschwalben, (Anous, Sterna anasthaeta), Tölpel oder Fregattvögel (Tachypetes) blicken. Größere Flüge der letzteren pflegen nicht selten, nach Art unserer Störche weite Kreise beschreibend, in der Luft zu schweben, ein gar hübsches Schauspiel, während Tölpel (Sula fusca) es hauptsächlich auf Treibholzstämme abgesehen haben. Auf solchen ruhend, ähneln sie zuweilen einem Kanu mit Eingeborenen in weiter Ferne so auffallend, daß wir hier, wie für die Folge, öfters getäuscht wurden.
Mächtiger Feuerschein hatte uns schon in der Nacht die Nähe des Festlandes von Neu-Guinea angedeutet und zum Abhalten genötigt. Der anbrechende Morgen, des vierten Tages, seitdem wir Mioko verließen, zeigte uns die Küste sehr nahe: wir befanden uns bereits in Astrolabe-Bai! So heißt eine an 15 Meilen breite Buchtung südlich vom 5. Breitengrade, die im Jahre 1827 von Dumont d'Urville mit der französischen Korvette »Astrolabe« zuerst gesichtet wurde. Erst 44 Jahre später landete der russische Reisende Nikolaus von Miklucho-Maclay mit dem russischen Kriegsschiff »Vitiaz« in »Port Constantin« und brachte mit zwei Begleitern (einem weißen Matrosen und einem Samoaner) 15 Monate hier zu, bis ihn das russische Kriegsschiff »Izumrud« wieder abholte. Die wenigen, hauptsächlich anthropologischen und ethnologischen Mitteilungen,[13] welche der Reisende veröffentlichte, sind sehr schwer zugänglich, zählen aber mit zu den besten wissenschaftlichen Arbeiten, die wir über Papuas überhaupt besitzen. Eine eingehendere Darstellung[14] des interessanten Gebietes fehlte bis jetzt noch.
Der Anblick der Küste von Astrolabe-Bai überraschte und befriedigte uns alle gar sehr. Das waren nicht die langweiligen, in gleichmäßiges Grün gekleideten Berge, wie wir sie aus dem Bismarck-Archipel gewohnt waren, sondern die Landschaft wurde je weiter wir in die Bai hineinkamen um so ansprechender. Sie ist rings von hübschen, dicht bewaldeten Bergreihen umschlossen, hinter denen gegen Süden stattliche Gebirgszüge hervorragen, von denen die höchsten an 10000 Fuß hoch sein mögen und wohl zum System des Finisterre-Gebirges gehören. Die in den Schluchten lagernden weißen Wolkenmassen, welche so sehr weißen Schneeflecken ähnelten, gaben diesem schönen Gebirgsbilde einen erhöhten Reiz. Wir passierten die kleine Insel Bilibili, deren Bewohner in großen, kunstvoll gebauten Kanus herbeieilten und in freundlicher Weise Verkehr anzuknüpfen suchten. Aber wir mußten diesmal ihren Versuchungen ausweichen, galt es doch zunächst Port Constantin aufzusuchen, wie sich später zeigte, keineswegs ein Hafen, sondern eine kleine Buchtung, welche wenig Sicherheit gewährt. — Vergebens spähten wir nach Siedelungen, aber das mit dichtem Urwald bekleidete Ufer war wie ausgestorben! Wie sich später zeigte, liegen die Dörfer im Dickicht des Urwaldes versteckt und verraten sich dem Kenner meist durch nichts als kleine Gruppen Kokospalmen und eine besondere Baumart, welche sich durch die einfarbig, lebhaft gelbe Belaubung auszeichnet. Diese »gelben Bäume«, welche sich übrigens an der ganzen Ostküste Neu-Guineas finden, markieren sich in dem dunklen Grün des Urwaldes sehr auffallend und erregen schon von weitem Aufmerksamkeit. So wurde von unseren Seeleuten die besonders hohe und dichte Gruppe gelber Bäume bei dem Dorfe Bogati oder Bogadschi, welches die Karten deshalb als »gelbes Dorf« bezeichnen, anfänglich für ein Segel gehalten.
»Wem konnte es angehören?« war eine Frage, die zu allerlei Betrachtungen führte, denn einem »on dit« zufolge, durften wir möglicherweise einen Weißen, ja einen Landsmann hier treffen. Es sollte nämlich in Astrolabe-Bai ein deutscher Händler (Trader), »Schmidt geheißen«, leben, von dem man in Mioko aber nichts wußte. Die mysteriöse Existenz dieses Schmidt löste sich später in eine jener hübschen Aventuren auf, die in der Südsee mehr als anderwärts vorkommen und die deshalb hier mitgeteilt werden soll, weil dieselbe so sehr das Leben und den Charakter gewisser hier lebender Weißen kennzeichnet. Im Jahre 1882 hatte ich in Neu-Britannien unter anderen unglücklichen Opfern, welche sich von dem gewissenlosen Schwindler de Rays zur Gründung einer Kolonie in Neu-Irland verleiten ließen, auch einen Deutschen gesehen. Er war mit der ersten Expedition im »Chandernagor« 1880 herausgekommen, hieß Berthold und stammte aus Berlin. Wie so viele andere, darunter eine Menge Deutsche, hatte sich auch Berthold, trotz der Warnung des deutschen Konsuls in Antwerpen, auf fünf Jahre verpflichtet. Freilich mochten wohl manche der hoffnungsvollen »Kolonisten« gewisse Gründe haben, um der Alten Welt überhaupt den Rücken zu kehren. Berthold, seines Zeichens ein Kellner, trat als »terrassier cultivateur« ein. Dieser Kategorie von Kolonisten war bei freier Station ein Monats-»Taschengeld« von fünf Frank zugesichert. Nach Ablauf von fünf Jahren erhielten sie aber 15 Hektaren Land, die je nach den guten Diensten des Individuums bis auf 50 gesteigert werden konnten. Alle hatten also die Aussicht, glückliche Grundbesitzer in einem Lande zu werden, das selbst die Leiter des Unternehmens nur nach der Karte kannten. Außerdem hatte die Gnade des Marquis allen Gliedern des Freistaates »Nouvelle France« pro Rata ihres Grades Anteil am Reingewinn versprochen; denn schon aus Naturprodukten, wie Schildpatt, Perlschalen, wertvollen Hölzern u. s. w., erwartete man mit Zuversicht reiche Erträge. So lauten die Bestimmungen des mir vorliegenden Kontraktes, eines in der Kolonialgeschichte merkwürdigen Dokumentes,[15] das die eigene Unterschrift des »Monsieur Ch. du Breil, Marquis de Rays, Fondateur-Directeur de la Colonie libre du Port Breton, Océanie« trägt und am 21. August 1879 zu Antwerpen unterzeichnet wurde. Bekanntlich ging gleich dieses erste ebenso leichtsinnige als gewissenlose Unternehmen[16] des Marquis elend in die Brüche, indem der Leiter desselben »le Baron P. Titeu de la Croix de Villebranche, Aide de camp du Marquis de Rays, Commandant de Port Breton« eines schönen Tages sich mit dem Chandernagor auf und davon machte und die etwa 70 unglücklichen Kolonisten sitzen ließ. Ende Juli 1880 besuchte ich sie in Lakiliki-Bai an der Ostseite von Kap St. Georg, dem damaligen Sitze des Freistaates, in einer Gegend die mit ihren steilen Bergen für Ziegen, aber nicht für Menschen paßt. Eine Baracke und Teile einer Dampfmaschine das war alles, außer etwa zwanzig, meist von Fieber und Krankheiten entkräfteten Männer. Die übrigen waren von Kapitän Ferguson, der noch in demselben Jahre in den Salomons von den Eingeborenen erschlagen wurde, gegen Bezahlung von je einem Winchester-Rifle (damals ca. 140 Mark Wert) nach der nahen Missionsstation in Port Hunter auf der Herzog York-Insel gebracht worden und hatten sich von hier aus in alle Winde zerstreut. Eine Anzahl fanden Stellung als Händler (Trader), und unter diesen auch der erwähnte Berthold, für den sich also, kaum dem Hunger und Elend entronnen, plötzlich glänzende Aussichten eröffneten. Nach einer der neuen, von Friedrich Schulle an der Nordostspitze von Neu-Irland errichteten Koprastationen versetzt, verdiente er schönes Geld. Aber die Freude dauerte nicht lange, denn bald wurde Berthold aus triftigen Gründen entlassen und verbannt, das heißt nach Australien geschickt. Von hier begab er sich unter dem neuen Namen Canar nach Samoa und erhielt Stellung bei einem deutschen Hause, dessen Chef leichtgläubig genug war, seinen Erzählungen Glauben zu schenken. Freilich klangen seine Berichte von dem selbstgesehenen Koprareichtum Neu-Guineas gar zu verlockend, und als er vollends Briefe seines Freundes Schmidt aus Astrolabe-Bai aufwies, der dort in Kopra u. Perlschalen schier erstickte, da war die Ausbeutung dieser Schätze eine beschlossene Sache. Glücklicherweise fand sich gerade kein Schiff disponibel, als Berthold, jetzt Herr Canar, Neu-Britannien wiederum beglückte, und so mußte er sich bis zu passender Gelegenheit mit einer Traderstelle begnügen. Diese Verzögerung war für ihn natürlich sehr fatal, denn es konnte nicht ausbleiben, daß sein wahrer Name und seine Vergangenheit in Samoa bekannt werden mußten; wußte man doch bereits in Neu-Britannien, daß er nie in Astrolabe-Bai gewesen war! Harmlose Fragen nach dem einen oder anderen Häuptling u. s. w. von jemandem, der Neu-Guinea ebenfalls nur nach der Karte kannte, hatten auf leichte Weise den Beweis geliefert. Es fing also an, ungemütlich auszusehen, und Canar zog es vor, die Entwickelung der Dinge nicht abzuwarten, sondern drückte sich eines schönen Tages. Dieses Ereignis war kurz vor unserer Ankunft passiert und bildete noch das Tagesgespräch. Denn der brave Berthold hatte das Boot und Tauschwaren der ihm anvertrauten Station im Betrage von 400 Dollars mitgenommen, außerdem einen anderen deutschen Trader, Namens Freudenthal, zu überreden gewußt. Wie es hieß, wollten die Ausreißer nach Neu-Guinea zu Freund Schmidt gehen. Das schien unglaublich! Denn nur Wahnsinnige konnten in einem offenen kleinen Boot, ohne Kenntnis und Hilfsmittel von Navigation, eine Reise von 450 Meilen wagen. Wie sich später herausstellte, war Berthold natürlich nicht nach Neu-Guinea gegangen, sondern hatte die immerhin abenteuerliche und gefährliche Fahrt nach dem früheren Schauplatz seiner Thaten, dem ihm wohlbekannten Neu-Irland, angetreten. Das kleine Boot mit seinen zwei Insassen war allen Gefahren, auch den Kannibalen