Samoafahrten. Otto Finsch

Samoafahrten - Otto Finsch


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der Eingeborenen, wo Canar bekannt war. Damit schien den Flüchtigen, die auf einer Reise von über 140 Meilen, in offenem Boot unter Tropenglut, gewiß nicht wenig ausgestanden hatten, sichere Rettung zu winken. Aber das Schicksal hatte es anders beschlossen! Beim Landen kenterte das Boot in der Brandung, wobei Freudenthal seinen Tod fand, und Berthold rettete nur das Leben, und zwar buchstäblich das nackte Leben. Denn die Eingeborenen zogen ihm die Kleider aus, und nur dem Umstande, daß er bei ihnen als »Sullis lik«, d. h. der kleine Schulle, bekannt war, schützte ihn vor dem Erschlagenwerden. Aber vor dem Namen Schulle haben die Eingeborenen hier herum großen Respekt, und so wurde Berthold geschont. Freilich so einige Wochen nackend mit in den Plantagen der Eingeborenen arbeiten und wie diese leben zu müssen, unter der nicht eben erbaulichen Voraussicht, eines Tages doch noch erschlagen zu werden, mag eben keine angenehme Sache sein. Das Schicksal dieses wirklichen Robinson stellt daher das seines fingierten Vorgängers jedenfalls in den Schatten. Es dauerte nämlich einige Zeit, ehe Friedrich Schulle in Nusa Kunde von einem schiffbrüchigen, unter den Eingeborenen lebenden Weißen erhielt, zu dessen Rettung er sich sogleich aufmachte. Das Wiedersehen soll freilich kein allzufreudiges gewesen sein, aber was blieb Schulle übrig, als Canar, den ihm nicht eben angenehmen Bekannten, zu befreien. Drei Stück Bandeisen im Werte von 15 Pfennigen genügten übrigens, den Todeskandidaten einzulösen, denn so hoch taxierten die Eingeborenen diesen Träger der Civilisation. — Daß die Briefe von dem angeblichen Schmidt gefälscht waren und von letzterem in Astrolabe-Bai sich auch nicht eine Spur fand, brauche ich wohl nicht erst zu erwähnen? Mir war es sehr lieb, weder diesen noch einen anderen jener zweifelhaften Weißen anzutreffen, deren Auftreten gewöhnlich das Vertrauen der Eingeborenen gleich im Anfang erschütterte und für Nachfolgende ein friedliches Einvernehmen meist erschwert.

      Aber wo steckten die Eingeborenen, nach denen uns am meisten verlangte? Schon geraume Zeit lagen wir in Port Constantin wenige Kabellängen vom Ufer vor Anker, aber immer noch blieb es still. Nur einige Vogelstimmen tönten aus dem Gelaube der Urwaldsbäume und auch diese noch spärlich genug. Denn die heiße Nachmittagssonne brannte mächtig herab, und dann schweigt die Vogelwelt meist: nur das Schäckern des nimmermüden Lederkopfes (Tropidorhynchus), die tiefe Baßstimme des Raben (Corvus orru), kreischende Papageien und Kakadus lassen sich vernehmen. — Plötzlich wird die Ruhe durch den Ruf »Kanaka! Kanaka!« unterbrochen! Die scharfen Augen unserer Neu-Britannier hatten ihre schwarzen Brüder im Dunkel des Uferdickichts entdeckt. Und wirklich! Da hockte eine lange Reihe dunkler Gestalten, laut- und bewegungslos wie Bildsäulen, die uns wahrscheinlich schon lange beobachtet hatten. Jetzt wurde es lebendig! Ich nahm meinen ganzen Sprachschatz des hiesigen Idioms zusammen, und bald schallte es: »Korvetta!« oh! aba! (Freund), oh! tamole! (Männer), oh! mem! (Vater), oh! »Maclay« hin und wieder. Die hiesigen Eingeborenen scheinen nämlich seit der Anwesenheit des russischen Reisenden in jedem seiner Nachfolger einen »Maclay« zu erblicken. Herr Romilly, der englische Regierungs-Kommissar, war so genannt und als Bruder behandelt worden und mir widerfuhr dieselbe Ehre. Ich ließ sogleich das Boot klar machen und mich ans Ufer rudern. Aber unsere Schwarzen hatten keine Eile, denn sie fürchteten sich, wie stets bei solchen Gelegenheiten, und unseren Matrosen ging es nicht besser, nachdem sich die Krieger im vollen Waffenschmucke zeigten, der hier neben dem Wurfspeere, auch in Pfeil und Bogen besteht. »Es ist doch nicht egal, ob man in die Brust oder den Rücken gespeert wird«! meinte Peter und drehte seine Vorderseite den gefürchteten »Wilden« zu, als wir ihnen längst in Pfeilschussweite nahe waren. Und den »Wilden« ging es ebenso, das heißt, sie fürchteten sich nicht minder! Kaum stieß das Boot auf Grund, so sprang ich ins Wasser, ging unter unsere neuen Freunde, verteilte allerlei Kleinigkeiten, schüttelte dem und jenem die Hand und hatte in kurzer Zeit ihr Vertrauen so gewonnen, daß ich gleich eine ganze Bootsladung Eingeborener mit an Bord brachte. Bald erschien auch Sa-ulo, der sogenannte »König« von Bongu, eine nichts weniger als königliche Erscheinung, der sich von seinem Gefolge nur durch Korpulenz und Elephantiasis im rechten Bein auszeichnete. Der schwarze Anstrich des Gesichtes und Körpers, welcher wie bei allen Papuanen Trauer bezeichnete, machte sein Äußeres nicht anmutiger, aber der alte Herr hatte ein so gemütliches, freundliches Gesicht, daß man ihn gleich liebgewinnen mußte. Einige Geschenke machten ihn und die Seinigen noch glücklicher, und so schieden sie bei einbrechender Dunkelheit in der Überzeugung, daß der neue »Maclay-Germania« wie ich später zum Unterschied von dem russischen »Maclay-Ruschia« und Romilly dem »Maclay-inglese« hieß, am Ende doch kein so übler Mensch sei, mit dem sich wohl umgehen lasse, dieselbe Ansicht, welche ich bezüglich der Eingeborenen gewonnen hatte. Aber unsere Leute teilten dieselbe nicht, sondern fühlten sich keineswegs behaglich, zumal da unsere Schwarzen allerlei Schaudergeschichten aus ihrem Leben am Bord von Labourtradern zu erzählen wußten, welche die Gemüter erhitzten. Das scharfe Ohr eines Schwarzen wollte Ruderschläge gehört haben und bald kam die Meldung, daß sich eine ganze Flotte von Kanus in der Dunkelheit der Nacht genähert und unter den überragenden Zweigen der Uferbäume verborgen habe. Die furchterregte Phantasie unserer Schwarzen konnte sich von der Überzeugung, daß wir überfallen werden würden und müßten, nicht freimachen und hatte diesen Spuk auf unsere Leute übertragen, von denen sich einige schon mit Koffernägeln bewaffneten. Die angestellten Untersuchungen ergaben, daß es sich nur um Hirngespinste handelte, denn auch nicht ein Kanu war vorhanden und nur der glucksende Ton des Scharrhuhnes (Talegallus), das Kreischen fliegender Hunde, das Klappern der Laubfrösche und Gezirpe der Cikaden tönte in die Nacht hinein.

      Gleich am andern Morgen besuchten wir unsere neuen Freunde in ihrem Dorfe Bongu, dem größten in diesem Teile von Astrolabe-Bai, das wie fast stets hinter dem Uferwaldsaume versteckt liegt. Eine Anzahl Männer erwartete uns auf dem schmalen Sandstrande niederhockend, schweigend wie es die Landessitte erheischt, und half erst auf meinen Wunsch das Boot mit aufs Ufer schieben, da die Landung unbequem ist, wie überhaupt an dieser Küste. Unsere Ankunft im Dorfe brachte zuerst unter den Weibern große Aufregung hervor, von denen nur wenige alte beherzt genug waren zurückzubleiben, aber durch einige kleine Geschenke beruhigt, die übrigen bald zurückriefen. Der Reisende wird stets wohl thun, sich zunächst die Gunst der alten Damen zu erwerben; sie haben oft einen sehr erheblichen Einfluss, der von großer Wichtigkeit werden kann. Freilich ist das nicht immer eine angenehme Sache, denn Papuafrauen in vorgerückten Jahren sind freilich keine Schönheiten mehr und nichts weniger als appetitlich, aber deswegen braucht Häßlichkeit der Weiber nicht als Rassencharakter hingestellt zu werden, wie dies meist in allen Lehrbüchern geschieht. Man muß eben fremde Menschenrassen nicht nach unseren Begriffen von Schönheit messen, und dann wird man Papuaninnen sehr passabel finden. Junge Mädchen sind, wenn auch im ganzen klein und schmächtig, häufig von sehr angenehmer Gestalt und zeigen zuweilen tadellose Formen, aber sie verblühen schnell, wie alle Tropenbewohnerinnen. Schon mit der ersten Niederkunft verschwindet die Jugendfrische, die meist wohlgeformte Büste verliert sich, und mit weiterem Kindersegen geht es rasch abwärts. Frauen, die bei uns noch als in guten Jahren gelten, sind dort bereits alt, mager und runzlig, was sich leider nicht wie bei Kulturvölkern durch Kleidung und Toilettenkünste verbergen und auffrischen läßt. Nach unseren Schönheitsbegriffen verunziert auch die Haartracht das weibliche Geschlecht noch mehr. Das Haar wird von älteren Personen meist kurz abgeschnitten und mit schwarzer Farbe eingeschmiert. Bei jüngeren Frauen und Mädchen gelten dicht verfilzte Locken, die von Farbe, Schmutz und Fett starren und an der Stirn oft bis über die Augen herabfallen, als besonders elegant, wie dies die beigegebene Abbildung (S. 40) zweier Frauen von Bongu mit ihren unzertrennlichen Begleitern, Hund und Schweinchen zeigt.

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