Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte. Louise Otto

Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte - Louise Otto


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auf eignen Füßen zu stehen, sich selbst zu erhalten.

      Bei der Mädchen-Erziehung, namentlich in den höheren Ständen, ist man zwar nun endlich so weit gekommen, daß nicht mehr wie früher, aller Unterricht mit der Confirmation abgeschnitten ist, aber er nimmt doch noch allzuoft eine Richtung, der meist jeder ernste Hintergrund fehlt. Kommen auch zu den sonst nur üblichen Studien von Sprachen, Musik und Malerei, jetzt noch andere, die einen mehr wissenschaftlichen Charakter haben, so werden alle diese Dinge doch viel mehr um der Gesellschaft, höchstens auch zur eignen Unterhaltung, nicht aber um der eignen Ausbildung, noch weniger eines Berufes willen, getrieben. Bei den Meisten wird das Gemüths- und Phantasieleben, ohnedies schon das vorherrschende Element im weiblichen Innern – durch, nur die Phantasie beschäftigende Lektüre auf Kosten jedes andern Seelenvermögens, jeder geistigen Kraft, ausgebildet. Da treten nun die jungen Mädchen mit ihrem Traumleben in die Welt – erst in der Hoffnung sich zu »amüsiren,« aber sie fühlen bald, daß sie sich nicht amüsiren, wenn sie unbemerkt bleiben, sie müssen also versuchen, sich bemerkbar zu machen, und, wenn ihnen auch dies gelungen, zu glänzen. Ein Weilchen genügen diese Triumphe, bald aber fühlt sich die weiche, schwärmende, noch unverdorbene Mädchenseele nicht mehr, weder durch das Spiel, noch durch den Sieg der Eitelkeit, befriedigt – sie will mehr, will Anderes. Sie weiß nicht, was sie will, bis das Wort Liebe gesprochen und das Räthsel ihres ahnungsvollen, unbefriedigten Traumlebens gelöst ist durch die Zaubergewalt des ersten Kusses. Nun weiß die Jungfrau, warum sie lebt, nun ist all' ihre Sehnsucht, nun sind all' ihre Träume von Poesie und Glück und Seligkeit erfüllt, übertroffen, nun ist ihr ganzes Leben – Liebe. Liebe, die Alles hofft und Alles glaubt und darum auch meint, so müsse es nun immer sein und bleiben, das ganze Leben ein goldener Maientag der Liebe. Aber hat denn der blühende Lenz eine ewige Dauer? Mitten im Liebesfrühlinge glaubt man nicht, daß der Mai trotz seiner einunddreißig Tage noch schneller vergeht als jeder andere Zeitabschnitt, daß die Rosen auch verblühen und die Nachtigallen auch aufhören zu schlagen. Auch der Mann glaubt es nicht, wenn er die Geliebte zum ersten Mal in seinen Armen hält – doch er hat noch eine Hand frei, an der ihn mächtig gefesselt hält: das Leben. Das Mädchen aber klammert sich mit beiden Händen an den geliebten Mann, sie weiß nichts vom Leben, soll nichts, will nichts von ihm wissen – ihr Leben ist ihre Liebe. Und trennt das Schicksal die vereinigten Herzen – was soll die Jungfrau im Leben, das sie nur durch die Liebe verstand, das weiter kein Interesse für sie hat, dessen einziger Beruf und Endzweck die Liebe war? Was hat sie noch im Leben zu thun, wenn Untreue oder Verhältnisse, oder Enttäuschung oder Tod ihre Liebe, die ihr Leben war, für ihr äußeres Leben zerstört haben? – Oder wird sie die Gattin des Geliebten und der Ernst des Lebens tritt an sie heran und der Mai geht vorüber und die Rose verblüht und die Nachtigall singt nicht mehr und die Frau hat nur noch den Schatten von dem, was sie einst Liebe nannte – wird sie nicht, auch wenn die Welt sie glücklich nennt, leise seufzen, zurückdenkend an jene entschwundene Zeit?

      So lange man die Frauen nur für die Liebe und Ehe, nur für die Männer erzieht, so lange man die Interessen des Herzens selbst als die einzigen proklamirt, welche dem weiblichen Wesen entsprechen, so lange ist es auch gerechtfertigt, wenn sie in überschwenglichen Empfindungen und unerfüllbaren Forderungen nur diese eine Seite des Menschenlebens im Auge haben. Dürfen sie doch nichts im Leben thun als lieben, oder vielmehr warten bis sie geliebt werden; lesen sie doch oft nichts Andres, als von Liebe; knüpft sie doch kein anderes Interesse an das Leben, als das der Liebe.

      In den kleineren bürgerlichen Verhältnissen lernen die Frauen allerdings ruhiger der überspannten, träumerischen Liebe entsagen. Man findet hier weniger Unzufriedenheit und Unbefriedigtheit als in den höheren Ständen, wenigstens in der Ehe selbst, weil jene nicht Zeit haben, über Nebenzustände zu grübeln und sorgfältig, ja quälerisch, das eigne Herz zu befragen. Das Hauswesen, die mühevollste Pflege und Sorge für die Kinder fällt in den mittleren Ständen fast ganz der Gattin zu, und sie fühlt unter diesen tausend kleinen Dingen, die doch alle beachtet sein wollen und ihr Leben oft zu einer ununterbrochenen Kette liebevoller Aufopferungen machen, wohl auch ihr Ideal zuweilen schwinden – aber sie weiß, für was sie lebt, sie hat einen Wirkungskreis, dessen nothwendiger Mittelpunkt sie ist, und das giebt einem Frauenherzen immer Kraft und Befriedigung, den Lohn für alle Mühen und Anstrengungen. Aber in den durch Rang oder Reichthum bevorzugteren Ständen, wo das ganze Geschäft der Gattin nur darin besteht, kurze Befehle an die Dienerschaft zu geben, im Salon mit Grazie und Feinheit die Herrin zu repräsentiren, und im Uebrigen darüber nachzudenken, wie der Tag am besten sich hinbringen lasse, – was füllt hier die Seele einer Frau aus, welche nichts gelernt hat, als lieben, nichts begehrenswerth findet, als geliebt zu werden, welche es nur der Mühe werth hält zu leben, wenn sie nicht nur geliebt, sondern angebetet wird?

      Wohl giebt es eine Liebe und ein Liebesglück, die ein ganzes Leben zu dauern vermögen, wohl giebt es glückliche Ehen, in denen beide Theile durch einander beseligt und mit einander verwachsen, selbst auf den gepriesenen Liebesfrühling ihres Brautstandes zurückblicken, nicht wie auf etwas Verlornes, sondern nur wie auf das verschwimmende Morgengrauen eines schönen Erdentages, an dem sie im Sonnenscheine dauernder Liebe den Sonnenaufgang segnen, der ihnen Alles gehalten, was er versprach – aber eben dies schönste Eheleben ist kein müßiges Träumen, noch kleinliches Tändeln, es ist die Harmonie zweier Seelen, die nicht allein für einander, sondern vielmehr noch mit und ineinander für die höchsten Zwecke des Daseins leben: die gegenseitige Veredelung, ein getreues Wirken in ihrem Berufe, ein segensreiches in dem Kreise, der ihnen erreichbar. Ein solches Glück kann der Mann nur erringen, wenn er im Weibe mehr zu würdigen weiß, als was seine sinnlichen Wünsche befriedigt und das Weib nur, wenn es befähigt ist den Beruf des Mannes zu achten, und seine größeren, allgemeinen Interessen zu theilen.

      Um dieses Glück erringen zu können, noch mehr um Zufriedenheit in einer minder glücklichen, Trost selbst in einer unglücklichen Ehe zu finden, am meisten aber, um auch den alleinstehenden Jungfrauen Befriedigung im Leben zu gewähren, muß ihr Streben, ihr Dichten und Trachten noch andere Ziele erhalten, als allein das oft nie erreichbare der Liebe und Ehe. Nicht dafür ist die Gesellschaft anzuklagen – wie es so oft von jenen liebegetäuschten Frauen geschieht – daß sie ihre thörichten Träume von Liebe nicht erfüllt, nicht darum haben sie ein Recht, mit dem Geschick zu zürnen, weil die Rosen der Liebe nicht immer für sie blühen und sinnberauschend duften können, sondern nur diejenigen sind zur Verantwortung zu ziehen, welche die Liebe zum einzigen Interesse des Weibes machen. Mag immerhin das Weib in dem Verlust ihres Geliebten oder Gatten den Verlust ihres Glückes beklagen – aber sie muß die Kraft und Fähigkeit haben, an einen andern Lebenszweck sich hinzugeben. Wäre es nicht so, verweigerte man ihr diese Möglichkeit, verschließt man ihr jeden andern Beruf: dann allerdings wäre der Brauch der alten Inder, die Wittwe über dem Grab des Gemahls zu verbrennen, eine weise Maßregel gewesen, deren Abschaffung sehr zu bedauern, dann müßte man es billigen, wenn jede verlassene Braut zur Selbstmörderin würde.

      Hinweg mit diesen schauerlichen Bildern, welche doch nichts sind, als die Consequenzen verkehrter Lebensanschauungen und Gewohnheiten!

      Aber wir wollten allerdings fragen, was das Loos all' der Mädchen ist, die nun doch trotz des Wunsches – vielleicht um jeden Preis – in die Ehe zu treten, dies Ziel nicht erreichen, um nicht einmal erst die zu erwähnen, denen man nur um jenes Vorurtheils willen aus ihrem Ledigbleiben einen Vorwurf machen könnte? Was das Loos der Wittwen, denen der Gatte, ihr Versorger und der Versorger ihrer Kinder stirbt, ohne daß er für sie, auch über sein Grab hinaus hat sorgen können? Nicht nur, daß die Kinderlose dann wieder ohne »Beruf« im Leben steht – die Lage der Bekinderten ist oft ungleich verzweiflungsvoller.

      Wir haben hier hauptsächlich die Verhältnisse des Mittelstandes im Auge, denn in den sogenannten unteren Ständen, dem Proletariat, ist es als unumgänglich angenommen, daß die Frau eben so arbeite, wie der Mann; wenn sie auch weniger verdient als er, muß sie doch zur Erhaltung der Familie mit beitragen, wie sie schon von Jugend auf gelernt hat, sich selbst zu erhalten.

      Man klagt gerade in den gebildeten Ständen über Verminderung der Ehen, und von beiden Seiten darüber, daß bei den gegenwärtig gesteigerten Ansprüchen es kaum möglich sei, eine Frau ohne Vermögen zu heirathen. Wollte man sagen, ohne Vermögen, selbst etwas zu leisten und zu verdienen, so hätte die Sache eher einen Sinn. Denn


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