Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte. Louise Otto
auch mit Ansprüchen erzogen ist, die noch über dies Vermögen gehen. Außerdem aber ist dasselbe auch unter hundert Fällen neunzigmal gewöhnlich in kurzer Zeit sehr geschmolzen wo nicht gar spurlos verschwunden. Der Mann bezahlt seine Schulden davon und im Bewußtsein einen Rückenhalt zu haben, wird es auch nicht so genau genommen, neue zu machen oder mehr zu verbrauchen als das Einkommen erlaubt, oder man trachtet es durch Actien und andere Speculationen zu vermehren, die oft verunglücken; – kurz, wenn der Mann stirbt, sieht sich diese Wittwe plötzlich oft eben so arm, wie diejenige, welche nie Vermögen besaß und hilfloser wie sie. Ist es denn dann nicht vortheilhafter, eine Frau zu heirathen, die in ihrer Arbeitskraft ein Vermögen besitzt, das sie bereit ist, dem Manne zu widmen? bereit, die Last, eine Familie zu ernähren, nicht ihm allein aufzubürden, sondern mit ihm vereint auch dafür zu wirken? Ein solches Wirken ist allerdings auch die Führung einer großen Wirthschaft (z.B. wenn der Mann ein großes Geschäft hat, dessen Leute mit beköstigt werden, was aber heutzutage immer seltener vorkommt als früher, oder Pensionaire u.s.w.) und die Pflege der Kinder, und dadurch erhält die Frau, erspart für den Mann, ohne speciell mit zu verdienen – aber dies sind eben auch schon Ausnahmen von der Regel, während bei Schließung der meisten Ehen die Frau entweder eine müssige oder ganz untergeordnete Rolle übernimmt, das Letztere, wenn sie das Dienstmädchen selbst abgiebt, das Erstere, wenn sie ein solches hält, denn dann hat sie, wenn nicht den ganzen, doch den halben Tag Zeit sich anderweit nützlich zu beschäftigen. Man sage nicht, daß eine Frau, wenn sie z.B. durch Stundengeben oder eine andre Arbeit, die etwas einbringt, mit erwerben hilft, darüber ihren Gatten vernachlässigt – freilich wird es nöthig sein, daß dann auch er nicht willkürlich über ihre Zeit verfügt, so wenig sie dies über die seine thut, aber er wird dann auch keine Klage über Langeweile von ihr hören, noch über Vernachlässigung und tausend andere Dinge, auf welche jeder Mensch verfällt, dessen Tagesstunden nicht von einer nützlichen Thätigkeit ausgefüllt sind. Tausend Veranlassungen, einander durch Kleinlichkeiten das Leben zu erschweren, fallen weg, wenn auch die Frau eine selbsterworbene Einnahme hat und über dieselbe frei verfügen kann. Damit fällt jener Standpunkt, der die Frau nur zur ersten Dienerin des Mannes macht, deren Bedürfnisse er oft nicht einmal gleich denen einer Haushälterin befriedigt, die sie von ihrem Verdienst bestreitet, sondern die jede Kleinigkeit erst von ihm erbitten muß. Dies wäre ein andrer wesentlicher Schritt, die weibliche Würde aufrecht zu erhalten, die bisher mehr in den Gedichten als in der Lebensweise der Deutschen ihre Berücksichtigung fand. – Die Ehen werden zahlreicher und glücklicher werden, wenn die Frauen zur ökonomischen Selbstständigkeit gelangen.
Denn wie viele gerade der besseren Männer werden nicht durch die quälende Sorge: was wird aus Weib und Töchtern nach deinem Tode? zu übermäßigen Arbeiten, gewagten Speculationen, zur Aufreibung aller ihrer Kräfte und einem dadurch beschleunigten Ende getrieben? Haben sie aber eine Gattin, die schon vor ihrer Verheirathung sich selbst zu erhalten verstand, die auch in der Ehe sich mit mehr beschäftigte, als mit Kochen und Putzen, so wird diese Sorge sehr wesentlich verringert – und schon allein oft dadurch die Kraft und Gesundheit des Mannes länger erhalten. Oder wenn diese doch wankt – welch' ein Trost dann, wenn die Gattin ihm noch anders beizustehen weiß, als mit ihrer liebenden Pflege. Wenn sie selbst thätig und hilfreich eingreifen kann, statt nur zu klagen. Und wenn er stirbt und sie mit ihm den besten Theil ihres Lebens verliert, so bleibt ihm doch auf dem Sterbebette noch der Trost, daß sie und seine Kinder nicht an das Mitleid Fremder gewiesen sind, sondern daß die Gattin sich selbst durchs Leben schlagen kann, daß die Töchter für sich selbst sorgen können, gleich den Söhnen.
Wenn in einer Familie der Vater stirbt, so kommt zu dem Schmerz um den persönlichen Verlust fast stets der wenn nicht tiefere, doch quälendere hinzu: wovon nun leben? Auch da, wo ein wenig Vermögen vorhanden, bleibt höchstens der Trost, es bei der Erziehung, dem Studium der Kinder zusetzen zu können, wobei man gewöhnlich nur Alles an die Söhne wendet; aber um durch die Interessen die ganze Existenz bestreiten zu können, müßte das Kapital schon sehr bedeutend sein. Für die Wittwen der Staatsbeamten existiren Pensionen, aber sie sind meist so gering, daß sie kaum ausreichen, davon eine Wohnung zu bezahlen, geschweige denn noch andere Lebensbedürfnisse, zumal in dieser Zeit der Theuerung oder richtiger der Geldentwerthung, in der, merkwürdig genug, alle Lebensmittel im Preise gestiegen, die Wittwenpensionen aber keineswegs erhöht worden sind. Aber selbst auf diese Weise pensionirt ist doch nur ein kleiner Theil der Wittwen. Man hat darum Pensionscassen je nach den verschiednen Berufszweigen und den daraus hervorgegangenen Vereinen eingeführt, man hat Lebensversicherungs- und Altersversorgungscassen u.s.w. gegründet und gewiß ist es jedem Mann, der eine Familie gründet, dringend zu empfehlen, dieselben zu benutzen; aber es liegt weder in ihnen eine allein ausreichende Unterstützung für verlassene Wittwen und Waisen, noch würden wir, selbst wenn dies der Fall wäre, darin das Nichtige finden. Freilich ist es ein scheinbares Glück für jede Wittwe, wenn sie zu den Reichen oder doch Bemittelten gehört, sich also um ihre Existenz keine Sorge zu machen braucht; aber ein wirkliches Glück ist es nur dann, wenn sie Kinder hat, und sich in den Stand gesetzt sieht, ganz für diese zu leben – ist sie aber kinderlos oder sind dieselben schon ihrer speciellen Fürsorge entrückt – dann befindet sie sich wieder in der Oede der Berufslosigkeit, der Unthätigkeit und Abgeschlossenheit, an denen so viele Frauen zu Grunde gehen. Denn hat auch sie wieder mit dem Gatten ihr Alles verloren und beweint in ihm nicht nur den persönlichen Verlust, sondern hört nicht auf zu jammern und Andern durch das Hervorheben ihres Unglücks sich lästig zu machen. Dies sind die gefühlvollen und treuen Wittwen – die leichtsinnigeren aber, die nun auch nicht wissen, was sie mit der Berufslosigkeit einer plötzlich geschenkten Freiheit anfangen sollen, taumeln entweder von einem oberflächlichen Vergnügen zum andern, nur um sich zu zerstreuen, zu beschäftigen, und verfallen in Bizarrerieen oder Launen, die sie ihrer Umgebung eben so unbequem machen, als ewiges Klagen und Zurückblicken. Das alte gute Sprichwort: »Müßiggang ist aller Laster Anfang,« gilt für jedes Alter und für jedes Geschlecht, wenn es sich aber so oft auch bei dem weiblichen bewährt, muß man es beklagen, daß hier der Müßiggang nicht gerade freie Wahl, sondern daß er von den Verhältnissen oft octroirt ist. Wo die Veranlassung zu einer geordneten Thätigkeit, die Nothwendigkeit zu derselben fehlt, da muß entweder der Trieb zur Arbeit oder die Festigkeit der Grundsätze sehr vorherrschend sein, um nicht wenigstens in jene Art des Müßigganges zu verfallen, der nur eine ungeordnete und unproductive Geschäftigkeit ist, ein planlos angewendetes Schutzmittel gegen die Langeweile.
Diese Gefahren freilich verschwinden, wo die Wittwe aus bisher angenehmen, vielleicht sogar äußerlich glänzenden Verhältnissen, wie sie das Amt des Mannes mit sich brachte, sich plötzlich herausgestoßen, auf sich selbst angewiesen und in Armuth versetzt findet. Die Wittwen der Kaufleute, Gewerbtreibenden, Fabrikanten sind wieder glückliche Ausnahmen, da sie das Geschäft ihres Mannes, wenn er es nur sonst in blühendem Zustand zurückließ, übernehmen können. Aber in allen andern Verhältnissen steht die Frau meist hilf- und rathlos da, nicht wissend, was sie beginnen soll, um sich selbst zu erhalten. Sie sieht nur wenig Wege dazu sich offen stehen – hat sie ein wenig Vermögen, eine kleine Pension, so zieht sie es meist vor in Unthätigkeit eine kümmerliche Existenz fortzufristen, und dabei doch über alle Entbehrungen und die veränderte Lebensstellung zu klagen, statt Alles daran zu setzen, um aus eigner Kraft sich selbst in den gewohnten Verhältnissen zu erhalten.
Nun kommt noch zu dem schmerzlichen Gefühl der Wittwenschaft die niederdrückende Erfahrung: nun gar nichts mehr zu gelten in der Welt, von Niemand mehr beachtet zu werden, die immer neu sich aufdrängende bittere Bemerkung, daß es nur der Nimbus des Mannes und seiner Stellung war, was ihr selbst Ansehen und Achtung verschaffte, daß dies Alles nun eine ganz andre Gestalt annimmt, seit sie allein in der Welt steht – so fühlt sie nicht allein die häusliche traurige Vereinsamung, die der verwittwete Mann ja auch empfindet – weil man sie jetzt empfinden läßt, welch' eine Null sie ist; so fühlt sie, daß sie stets und auch da eine solche war, wo sie an der Seite des Mannes an ihre eigne Bedeutung glauben konnte.
Und doch ist dies peinliche Loos einer Wittwe noch nicht mit dem zu vergleichen, das dem ledigbleibenden Mädchen, der als »alte Jungfer« Verspotteten, zu Theil wird. Das Vorurtheil von dem »verfehlten weiblichen Beruf« wirft beinahe etwas wie einen Makel auf sie. Ueberall in der Gesellschaft giebt man ihr zu verstehen, daß sie hinter den Frauen, auch wenn diese noch so jung und bornirt sind, zurückzustehen habe.