Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte. Louise Otto
mit Glück ergriffenen Beruf, als Vorsteherin eines Pensionats oder in irgend einer Kunstsphäre, das Vorurtheil und Herkommen so weit zu überwinden, daß man sie als Ausnahmen tolerirt, ihrer errungenen Selbstständigkeit nicht mehr zu nahe tritt. Wehe aber denen, welchen es nicht einmal vergönnt ist, nach einer solchen Stellung, nach einem solchen Beruf zu streben! Die Unglücklichen, die, weil sie keinen andern Lebensweg vor sich sahen, im Hause eines Bruders oder einer Schwester das Gnadenbrod essen und dem Asyle doch ihre ganze Thätigkeit widmen, ohne daß sie mit Dank und Liebe vergolten wird, die, selbst auf eigne Familienfreuden verzichtend, nur alle Familienleiden kennen lernen, wenn sie Wöchnerinnen pflegen, Kinder warten, im Hause ein Dienstmädchen ersparen und für dies Alles doch als überflüssig betrachtet und später als altgewordene Tanten nur noch wie jeder andere alte Hausrath geduldet werden, – diese Unglücklichen sind mehr als die Wittwen zu beklagen, die ein Glück und einen Beruf verloren, das sie beides ja niemals besessen.
Nun denn, das Glück läßt sich nicht erzwingen und nicht bannen und es hilft nicht einmal ihm nachzujagen – ein Beruf aber sollte Allen erreichbar sein – und weil er es Tausenden von Mädchen nicht ist, muß Alles daran gesetzt werden, diese verkehrten Zustände umzugestalten.
II. Die Unzulänglichkeit der gegenwärtigen weiblichen Erwerbszweige
Strickerinnen. Klöpplerinnen. Näherinnen. Stickerinnen. Gouvernanten. Bonnen.
Unter den Proletariern muß Jeder arbeiten, der nicht verhungern will. Es heißt zwar immer und überall: der Mann ist der Ernährer der Familie, der Erwerber, die Frau hat nur zu erhalten; – aber wo, wie in den untersten Ständen, der Mann oft kaum genug verdienen kann das eigne Leben zu fristen, da muß die Frau auch für das ihrige selbst sorgen und die Kinder, Knaben und Mädchen, auch wieder, wenn sie groß genug sind um etwas verdienen zu können. Die Frauen, welche für den Tagelohn die gröbsten Arbeiten verrichten, bekommen einen geringeren Tagelohn als die Männer, welche ebenfalls auf Tagelohn arbeiten. Man erklärt dies für angemessen, weil in vielen Fällen die naturgemäß geringeren Kräfte der Frauen auch nur zu geringeren Leistungen ausreichen und da der männliche Körper ein größeres Quantum von Nahrungsmitteln erfordern mag als der weibliche. Aber man kann gerade nicht behaupten, daß: Holzspalten, Wassertragen und Scheuern, Waschen und Kehren, ja das schon in ein höheres Fach gehörende Plätten, leichte Arbeiten wären, sie sind bekanntlich sämmtlich sehr anstrengend – aber die Redensart vom »zarten Geschlecht« wendet man solchen Frauen gegenüber nicht an – man besinnt sich nur noch darauf, wenn man die Frauen von irgend einem Handwerk zurückschrecken oder die Unmöglichkeit darthun will, daß sie etwas, was Kraft und Ausdauer erfordert, üben könnten. Aber diese Frauen, welche die schwersten Arbeiten verrichten, sind noch lange nicht die beklagenswerthesten. Gegenwärtig sind sogar ihre Löhne ziemlich gestiegen, in den meisten Fällen bekommen sie gut zu essen und ihre Arbeiten sind zwar anstrengend, aber, wenn sie nicht ein gewisses Maß überschreiten, nicht gerade ungesund; das Tagelohn reicht in der Regel für den nothdürftigsten Lebensunterhalt aus. Diejenigen aber, welche nicht gelernt haben sich diesen gröbsten Arbeiten zu unterziehen oder deren Kräfte dazu nicht ausreichen, oder die durch ihre Kinder oder hilfsbedürftigen Eltern an's Haus gefesselt sind, sich auch nicht vermiethen können, müssen solche Arbeiten verrichten, die als speciell weibliche überall verzeichnet werden: Stricken, Nähen, Sticken. – Welche Concurrenz hierin, welches Angebot der Arbeitskräfte in Bezug auf ihren Verbrauch und dafür welch' geringer Lohn!
Eine Strickerin bekommt für ein Paar Strümpfe zu stricken in der Regel 5 Neugroschen oder 17 Kreuzer Rheinisch – zwei bis drei Tage muß sie darüber stricken, wenn sie nicht nebenbei etwas Anderes thut. Da es die leichteste Arbeit ist, fällt sie meist den Kindern und alten Frauen zu, welche zu anderen Arbeiten unfähig sind. In dieser Leichtigkeit, in diesem Nebenher liegt die stete Aufnahme dieses Arbeitszweiges, trotz den immer mehr sich vervollkommnenden Strumpfwirkerstühlen, trotz der Erfindung und endlichen Benutzung der Nähmaschinen. Aber welche Concurrenz noch außer der hierher gehörenden Strumpfwirkerei! Wer anhaltend strickt, kann etwa 15 – 18 Pfennige oder 8 Kreuzer Rheinisch verdienen – aber wer hat so viele Kunden? Da das Stricken eine leichte Nebenbeschäftigung ist, die bei jeder Art der Unterhaltung, ja selbst beim Lesen und Spazierengehen vorgenommen werden kann, so giebt es Hunderte, die nur stricken, um nicht müßig zu gehen, und dann auch ihre Arbeit verkaufen. Es ist auch Denen, welche es nicht zur höchsten Noth brauchen, nicht zu verargen, wenn sie sich einen kleinen Verdienst verschaffen wollen; aber dadurch, daß Viele dessen nicht bedürftig sind und die Bezahlung mehr als Nebensache betrachten, lassen sich diese auch die Arbeit schlechter bezahlen und so drücken die vermögenderen Frauen eigentlich unbewußt und aus lauter Gutmüthigkeit den Verdienst der armen Leute herab, da diejenigen, welche davon leben müssen, nun auch so billig arbeiten sollen wie die, welche es nur zu ihrer Unterhaltung thun. Die armen Strickerinnen schätzen sich daher oft glücklich, wenn sie für die »Strumpfstricker,« die damit handeln, stricken können, sie dürfen da doch immer auf Arbeit und den Absatz derselben rechnen, wenn sie gleich dieselbe noch schlechter bezahlt bekommen. Derselbe Grund ist es, welcher die Weißstickerinnen antreibt für die Fabriken, die mit Seide und Wolle Stickenden für größere Handlungen zu arbeiten. Sie werden auch schlechter bezahlt, aber sie haben wenigstens keine Auslagen, da sie das Material, Stoffe wie Zeichnungen geliefert bekommen und, außer wenn eine Handelskrisis eintritt, doch sichere Beschäftigung haben. – Eine solche Stickerin – und gewiß kennt Jedermann die kunstreichen Arbeiten des modischen Weißzeugs – verdient den Tag etwa 2 – 3 Neugroschen, wenn sie von früh bis zum späten Abend arbeitet. Man glaube nicht, in den großen Städten und für Private würden diese Dinge viel besser bezahlt – ich habe gestickte Namenszüge in Taschentüchern gesehen, welche mit 8–10 Neugroschen oder 1/2 Gulden rheinisch (das Garn nimmt die Stickerin noch dazu) bezahlt wurden. Es war nicht möglich ein solches Tuch unter zwei Tagen anhaltender Arbeit zu vollenden. Ist nun die Stickerin im Zeichnen nicht geübt, so muß sie für das Zeichnen erst noch ein Viertel ihres Verdienstes abgeben. Auch die Arbeiterinnen der großen Städte schätzen sich glücklich, wenn sie für eine Handlung arbeiten können – sie haben dann doch immer zu thun – aber wenn sie von früh 6 bis Abends 9 Uhr mit der geringen Unterbrechung der Mittagszeit arbeiten, können sie etwa 5 – 10 Neugroschen verdienen, mehr gewiß nicht. Vielleicht nur um die Weihnachtszeit, wo die Arbeit drängt und viele dieser Arbeiterinnen ganze Nächte durchwachen, gewiß aber nie vor Mitternacht die Arbeit wegzulegen wagen. Und welche augenanstrengende Arbeit – die noch dazu zur Hälfte unter Licht gethan werden muß – und die, wenn die Arbeiterin allein wohnt, kaum ausreicht Kleidung und Nahrung, Holz und Licht zu verdienen. Es geht eben nur, wenn das Letztere von einer Familie bestritten wird. Dies sind die am besten gestellten Arbeiterinnen. Aber eine gute Nähmaschine kostet noch immer 70 – 80 Thaler und es ist wohl auch bei der Construction derselben nicht anzunehmen, daß der Preis derselben sehr falle und so sind Tausende der armen Näherinnen in der Lage, in welcher die Handspinner den Maschinenspinnern gegenüber einst waren, ja zum Theil noch sind: in der Maschine, die der Menschengeist zur Erlösung der Menschen von geisttödtender Arbeit erfand, erblicken sie ihre Feindin. Die Nähmaschine wird als Feindin der armen Näherinnen betrachtet, sie macht ihnen Concurrenz, denn sie sollen nun auch so billig und so accurat arbeiten, wie es die Maschine thut, und der dann und wann noch gerühmte Vorzug der größern Haltbarkeit der Handarbeit vor der Maschinenarbeit wird nicht sehr gewichtig in die Wagschaale fallen – es ist auch hier derselbe Gang der Dinge zu erwarten, wie bei der Spinnerei: das Vorurtheil wird allmälig überwunden, die Maschinen werden noch verbessert und endlich wird es nur wie eine Sage betrachtet werden, daß man sich allein mit seinen Fingern ohne andere Beihilfe abmühte, ein Kleidungsstück zu fertigen. Und selbst wenn das neue Fabrikat weniger lange hält als das alte: – was thut es? es kostet dafür auch weniger und die daraus gezogenen Consequenzen sind einmal die herrschenden in unsrer industriellen Zeit. Es heißt eben darum mit ihr fortschreiten – was ist es denn für ein Unglück, wenn so und so viel tausend Mädchen durch die Nähmaschinen von ihrem alten Nähtisch vertrieben werden, an dem sie engbrüstig und hektisch werden und Zeit haben zu nichtigen Träumereien oder zum Jammern über ihr Schicksal? Die Hauptsache ist nur eben, daß man, wo ein Arbeitszweig