Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte. Louise Otto

Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte - Louise Otto


Скачать книгу
ich da z.B. von den Klöpplerinnen im sächsischen Erzgebirge sagen? Hier zählt der Verdienst eines Tages oft nur nach Pfennigen! Ich fand einst eine Klöpplerin an einer äußerst mühevollen schwarzseidnen Spitze arbeiten; sie sagte mir, daß es ihre Augen kaum aushielten, die dünnen dunkeln Seidenfädchen um die blitzenden Nädelchen zu schlingen – Abends sei sie gar nicht im Stande daran zu arbeiten, aber sie schätze sich doch glücklich diese Arbeit zu haben, da die schwarzen Spitzen besser bezahlt würden, denn sie könne den Tag eine halbe Elle arbeiten und so 1 1/2 Neugroschen verdienen, ohne die Abendstunden, wo sie zu einer gröberen Arbeit greife! Der Arbeitgeber gab ihr also 3 Neugroschen für die Elle, die Seide dazu kostete ungefähr eben so viel – und im Handel giebt man für die Elle solcher Spitzen 20 Neugroschen – nun mache man selbst die weitere Anwendung davon! Hättet Ihr diese Mädchen und Frauen des oberen Erzgebirges gesehen! Die Kinder, welche in den dumpfen Stuben aufwachsen, sehen gespenstisch aus, bleich, mit abgemagerten Armen und Beinen und aufgetriebenen Leibern – von der einzigen Nahrung, welche sie haben: der Kartoffel. Der Vater hat sich im Blaufarbenwerk einen frühen Tod geholt oder er zieht mit Rußbutten oder Holzwaaren durch das Land, Weib und Kinder müssen daheim arbeiten, er kann nicht auch für sie mit sorgen! Die kleinen Mädchen müssen klöppeln, sobald sie die Händchen regelrecht regen können – da verkümmern sie am Klöppelkissen, an dem die Mutter schon verkümmerte, daß sie nur schwächlichen Kindern das Leben geben konnte, am Klöppelkissen, an dem die Großmutter erblindete! Denn das unverwandte Sehen auf die feinen Fädchen, Nadeln und Klöppelchen raubt den Augen früh die Sehkraft und die spielende Bewegung der kleinen Klöppel – oft gegen 50–100 – mit den Fingern macht diese fein und zart, die Arme schwach und mager, und untauglich zu jeder andern Beschäftigung. Und da kommen die klugen Leute und sagen: die Frauen können etwas Anderes thun als klöppeln, es sei Wahnsinn, daß sie darauf bestünden. Nein, sie können es nicht, wenn sie einmal von Kindheit auf nichts Andres gethan haben, denn sie haben sich niemals kräftigen können und sind ganz und gar unfähig eine schwerere Arbeit zu verrichten – wenn man sie ihnen auch verschaffen könnte.

      Ich habe schon die Preise angegeben, welche für einige weibliche Arbeiten bezahlt werden. Ja, wenn sie nur wirklich immer bezahlt würden! – aber auch die armen Näherinnen müssen Credit geben und werden oft spät, zuweilen auch gar nicht bezahlt. Viele der wirklich Reichen haben keinen Begriff davon, was Arbeit ist und daß ein armes junges Mädchen, das nicht gerade zum Betteln gezwungen ist oder wie eine Bettlerin aussieht, ein paar Thaler sehr nothwendig brauchen kann. Die feinen Damen wissen auch oft nicht wie lange an einem Stück genäht werden muß und statt es nach sich selbst zu beurtheilen, was sie doch könnten, sagen sie: Ja, wir arbeiten natürlich lange an so etwas, weil wir nicht darüber bleiben, aber bei denen, die den ganzen Tag nähen, fliegt die Arbeit nur so hin – es ist unglaublich, wie viel sie in einem Tag fertig bringen. Denn das ist auch herkömmlich, daß der Reiche nie von sich auf den Armen schließt, sondern daß er diesen geradezu als ein anderes Wesen, eine andere menschliche Gattung betrachtet, als sich. So kennen sie auch nicht die Sorgen und Bedürfnisse der verschämten Armen – ein paar Thaler oder Gulden sind für den Reichen so wenig und darum wird eine solche Kleinigkeit oft wirklich vergessen. In diesem Vergessen aber liegt selbst der ganze Egoismus, die ganze Unnatur, die ganze Unchristlichkeit bei aller Frömmelei, Unmenschlichkeit bei allen öffentlichen Humanitätsbestrebungen der heutigen Gesellschaft!

      Diejenigen nun, die nicht so reich sind, sich aber doch den Schein des Reichthums (durch Reich – thun) und der Vornehmheit retten wollen, daher arbeiten lassen, was sie nicht bezahlen können, benutzen diesen noblen Gebrauch – ehe sie bezahlen, warten sie ab, bis man sie mahnt, dann sagen sie wegwerfend: »Ach, diese Kleinigkeit hatte ich vergessen!« Natürlich kommen bei solcher Gelegenheit und Gewohnheit die Schüchternsten und Schwächsten am schlechtesten weg – und das werden die armen Arbeiterinnen sein, welche aus Zartgefühl nicht mahnen und die man auch im schlimmsten Falle nicht zu fürchten hat, wie den Kaufmann oder Handwerker, der am Ende mit gerichtlichen Klagen droht, indeß die Arbeiterin nur Thränen zu ihren Fürsprechern hat.

      Glücklich sind diejenigen Mädchen, welche, indem sie von weiblichen Handarbeiten leben, noch einer Familie angehören, so daß sie wohl, was sie verdienen, den Eltern oder Geschwistern mit zum Haushalt geben, aber doch nicht speciell dafür zu sorgen haben. Dann sitzen sie wenigstens in einer warmen Stube und haben ein warmes Mittagsessen. Aber welches Glück ist eine solche Existenz! Eine fleißige Arbeiterin steht früh 5 Uhr auf und setzt sich gegen 6 Uhr an ihren Arbeitstisch – dann steht sie nicht eher auf als um 12 Uhr zum Mittagsessen – in längstens einer halben Stunde ist dies beendigt und sie setzt sich gleich wieder hin – hat sie viel zu thun, so macht kaum die Dämmerung, noch weniger das Abendessen eine Unterbrechung, ein Butterbrot kann bei der Arbeit genossen werden – und darin besteht allein ihre Abendmahlzeit; gegen 10 Uhr, oder – je nachdem die Arbeit treibt – früher oder später, geht sie schlafen. Und so Tag für Tag, Stich für Stich – kein Feierabend, wie ihn andere Arbeiter haben, kaum Sonntags ein Kirchenbesuch, ein Spaziergang. Die Gedanken stumpfen entweder ganz ab oder bleiben an den Sorgen hängen: wo wieder Arbeit herzubekommen, wenn diese fertig? und wird diese auch bezahlt werden? – Aber keine Thräne darf in ihr Auge treten, dann möchte sie zu große Stiche machen – auch kein Blick auf die Straße irren – das ist schon eine Arbeitsversäumniß. Wie gesagt, eine Nähterin, die noch nicht ganz verlassen ist, kann das schon aushalten aus den Ersparungsgründen, die wir vorhin erwähnten und auch weil sie sich nicht so verlassen fühlt, weil ja die langweiligste Arbeit dadurch Werth bekommt, wenn man sich sagt, daß man nicht nur für sich arbeitet und wenn überhaupt Mehrere zusammen arbeiten oder doch ein Gespräch statt finden kann – aber wenn sie nun ganz allein steht oder noch einen alten Vater, eine stumpfe Mutter, kleine Geschwister, vielleicht ein eignes Kind mit zu ernähren hat? Im erstern Falle ist sie noch besser daran, dann kann sie als Näherin zum Ausbessern auf die Stube zu den Leuten gehen, da bekommt sie 2 1/2 bis 5 Neugroschen und das Mittagsessen – so hat sie wenigstens dies und doch meist ein kräftiges, erspart Holz und Licht zu Hause, kann auch bis Tagesanbruch schlafen und ist Abends von sieben Uhr an frei. Ist sie so glücklich, Schneidern oder Putzmachen gelernt zu haben, bekommt sie 8–12 1/2 Neugroschen den Tag. Solche Mädchen haben unter den Arbeiterinnen noch das glücklichste Loos gezogen, aber sie haben auch in der Regel sich erst das Erlernen des Schneiderns und Putzmachens etwas kosten lassen müssen. Auch wird von ihnen schon eine gute Erziehung und feinere Bildung verlangt, wenn die gebildeten Familien sie in ihrer nächsten Umgebung sehen sollen – die arm und unwissend aufgewachsenen Mädchen eignen sich daher zu diesem Geschäfte nicht.

      Diese »weiblichen Arbeiten,« wie Sticken, Häkeln, Nähen u.s.w. werden auch von allen denen vorgezogen, welche es nicht wollen wissen lassen, daß sie einen Verdienst brauchen können. Jedermann will für reicher gehalten sein, als er ist, oder die »höheren« Stände halten es für ihrer unwürdig, zu arbeiten. Man kann kaum dem Einzelnen einen Vorwurf daraus machen, einem Unrecht, welches das hergebrachte Unrecht der ganzen Gesellschaft ist, sich zu unterwerfen – das ist nicht oft genug zu wiederholen. Alles gilt ja der Schein und wenig das Sein – nun, so ergiebt man sich dem in der Gesellschaft einmal herrschenden Schwindel. Der Mann, der Familienvater sieht in der Regel durch die Kinder und deren Größerwerden die Ausgaben des Hausstandes in einem Grade wachsen, mit dem seine Einnahmen nicht Schritt halten, die Forderungen des Luxus werden täglich größer, nicht nur die Lebensmittel mit ihren sich immer höher steigernden Preisen vertheuern einen Haushalt, sondern die Garderobe – und zwar für beide Geschlechter – steigert sich zu immer mehr kostspieligen Extravaganzen, welche nicht mitmachen zu können fast wie ein Unglück, sicherlich als ein Mangel empfunden wird. Die meisten Familienväter belächeln zwar diese Dinge und finden sie überflüssig, ja stemmen sich oft hartnäckig dagegen, indeß, sie werden überstimmt, oder wenn das nicht hilft: überlistet. Die meisten Männer haben keine Idee davon, was eine Wirthschaft, noch was ein Anzug kostet – sie haben als Garçons gehört, – meist von ihren Eltern – daß sie Alles theuer bezahlen müssen, daß sie im Hause viel billiger leben könnten und glauben nun, wenn sie einen eignen Hausstand gegründet haben, diese Vorstellungen realisiren zu können – und sehen sich bitter getäuscht. D. h. sie wollen nichts von den kostspieligen Gewohnheiten des Junggesellenlebens aufgeben – sie wollen im Hause dieselben Delikatessen genießen, die ihnen im Hôtel zur Auswahl vorgesetzt waren und ihre kräftige Hausmannskost nach den neuesten Vorschriften der Professoren


Скачать книгу