Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
nun wirken alle diese Stadien der verschiedenen Heidentümer kreuzweise auf das römisch-griechische Heidentum ein und umgekehrt. Merkwürdige Ergebnisse, allerdings nicht selten von der traurigsten Art, werden uns berichtet. Nero war in der römischen Religion erzogen; bald verachtete er sie und hielt sich nur noch an die Syrische Göttin; auch von dieser fiel er ab, behandelte ihr Bild mit bübischem Hohn und glaubte fortan nur noch an ein Amulett, das ihm ein Mann aus dem Volke geschenkt, und dem er nun täglich dreimal opferte285.
Dieses Beispiel, welches statt vieler dienen könnte, enthält einen Wink über den Kultus der fremden Götter überhaupt. Man nahte ihnen nicht wie den alten Olympiern; herausgerissen aus ihren nationalen Umgebungen, ohne Zusammenhang mit dem römischen Leben, Staatswesen und Klima konnten sie dem Römer nur als unheimliche, dämonische Mächte gegenüberstehen, welchen bloss durch Mysterien und magische Begehungen beizukommen war, etwa auch durch den höchsten materiellen Aufwand. Nicht umsonst lässt Lucian im »Juppiter als Tragödien« (Kap. 8) bei der Rangordnung der Götter nach Stoffen den Fremdgöttern den Vorrang; der angstvolle Aberglaube bildete sie vorzugsweise aus dem kostbarsten Metall. »Die Griechengötter, siehst du, sind wohl anmutig, schön von Antlitz und kunstreich gemacht, aber nur von Stein und Erz, höchstens von Elfenbein und wenig vergoldet; Bendis dagegen, Anubis, Attis, Mithras und Men sind massiv von Gold, schwer und sehr kostbar.« Diese Art von Kultus aber demoralisierte dann auch das Verhältnis zu den alten nationalen Göttern.
Verfolgen wir zunächst die (vom römischen Standpunkt aus gesprochen) aktive Göttermischung, wobei die Römer mehr die Gebenden als die Empfangenden waren.
Es ergibt sich von selbst, dass dies Verhältnis hauptsächlich bei denjenigen Völkern eintrat, welche Rom in halbbarbarischem Zustande übernommen hatte, und bei welchen es mit seiner Religion auch seine überwiegende Bildung geltend machen konnte, also bei Gallien, Hispanien und Britannien. Leider ist uns nur der Religionszustand Galliens einigermassen bekannt, und auch dieser fast nur durch Weiheinschriften286 und Bildwerke.
Die spätern Römer, in ihrem wahrhaft universellen Aberglauben, machten zwar in Gallien so gut als anderswo den örtlichen Kultus mit, soweit er noch am Leben war; sie fragten nicht bloss die Druiden über die Zukunft, wie oben erzählt wurde (S. 109 ff.), sondern sie nahmen auch an eigentlichen Weihen teil. So feierte der spätere Kaiser Pescennius Niger in Gallien einen Geheimdienst mit, zu welchem nur enthaltsame Menschen geladen werden durften287. Allein man übertrug keinen gallischen Gott nach Italien288, Afrika oder Griechenland. (Denn wenn zum Beispiel der keltische Sonnengott Belenus in Aquileia, andere keltische Gottheiten in Salzburg und Steiermark, der Apollo Grannus zu Lauingen in Schwaben usw. vorkommen, so sind dies nicht Übertragungen aus der Zeit der Theokrasie, sondern die uralte keltische Bevölkerung dieser Gegenden gibt ein letztes Zeugnis ihres Daseins ab, ehe Germanen, Slaven und Avaren die Alpen überziehen.) In Gallien selber bemühte man sich nach Kräften, der Volksreligion ein römisches Gewand anzulegen. Die Götter nehmen nicht bloss römische Namen, sondern auch die Kunstform des klassischen Anthropomorphismus an. Taran muss Juppiter heissen und als solcher abgebildet werden, Teutates als Mercurius, Hesus oder Camulus als Mars. Andere Gottheiten behalten wenigstens ihren alten Namen bei, entweder allein oder neben dem römischen: Belenus oder Apollo Belenus; häufig auch Apollo Grannus, Mars Camulus, Minerva Belisana usw. Dann werden den romanisierten Göttern noch besondere Beinamen gegeben, die man teils von Örtlichkeiten ableitet, teils nur durch Vermutungen oder gar nicht zu erklären weiss: Diana Abnoba (die Bezeichnung des Schwarzwaldes); Diana Ardoinna (vielleicht die Ardennen); Mars Vincius (Vence in Südfrankreich); Hercules Magusanus und Saxanus (besonders in den Niederlanden); Mars Lacavus (zu Nîmes); Apollo Toutiorix (zu Wiesbaden); oder man gibt dem romanisierten Gott eine nichtromanisierte, vielleicht verwandte Gottheit bei, so dem Apoll den Veriugodumnus (in Amiens), die Sirona (in Bordeaux und in Süddeutschland, etwa als Diana oder Minerva aufzufassen, wie sonst Belisana). Weiter aber reicht die Romanisierung nicht; eine ganze Menge von Gottheiten behalten ihre keltischen Namen meist mit dem Vorwort Deus (a), Sanctus (a), selbst Augustus (a), welches hier ohne Beziehung auf den Kaisertitel gesagt ist. Man ist auf den ersten Blick versucht, alle diese Götter für lokal zu halten, und manche sind es ohne Zweifel, wie der Vosegus in Bergzabern, der Nemausus in Nîmes, die Aventia in Aventicum, der Vesontius in Besançon, der Luxovius in Luxeuil, die Celeia in Cilly; andere aber tragen keine solche Deutung mit sich, zum Beispiel der Abellio in Convennes, die Acionna in Orléans, der Agho in Bagnères, der Bemilucius in Paris, die Hariasa in Köln, der Intarabus in Trier, und manche kommen an weit auseinander gelegenen Orten vor, der Taranucus in Heilbronn und in Dalmatien, die Wassergöttin Nehalennia in Frankreich und in den Niederlanden. Wie gerne man die Götter romanisierte, wo es möglich war, zeigen dann wieder die römischen Gattungsnamen für jene zahlreichen kleinern Kollektivgottheiten: Matres, Matronen, Campestres (Feldgeister), Silvanen (Waldgeister), Bivien, Trivien, Quadrivien (Götter der Kreuzwege), Proxumen und Vicanen (Genien der Nachbarschaft) usw. Die Sulevien und Comedoven, welche in dasselbe Geschlecht gehören, müssen der Übersetzung widerstrebt haben. In dem »Genius des Ortes«, dem »Genius des Gaues« kann man strenge genommen nur römische Verehrungsweise dartun, keltische aber vermuten. Der mächtigste Gott blieb jedenfalls bis tief ins vierte Jahrhundert der Teutates-Mercur, welcher noch dem heiligen Martin von Tours den stärksten Widerstand leistete, während Juppiter dem Heiligen bereits als dumm und stumpf – brutus atque hebes – erschien289.
Der Rückstrom dieser okzidentalischen Religionen auf Rom selber war, wie gesagt, ungemein gering oder geradezu null.
Ganz anders verhielt es sich mit den uralten Kulturvölkern des Orientes, Persern, Ägyptern, Kleinasiaten und Semiten. Den letztern kam schon die geographische Ausdehnung ihrer Ansiedelungen sehr zustatten; denn nicht erst in Syrien lernten die Römer ihren Götzendienst kennen; seit vielen Jahrhunderten war durch Phönizien und Karthago am ganzen Mittelmeer und selbst über die Säulen des Herakles hinaus semitische Religion verbreitet worden; mit der allmählichen Einverleibung Spaniens, Afrikas und der Inseln übernahm Rom eine Masse punischen Gebietes und punischen Kultus. Man hatte Karthago gehasst, nicht aber seine Götter. Dagegen schien der persische Dualismus, namentlich in seiner spätern orthodoxen Erneuerung durch die Sassaniden, aller Mischung und Vermittlung mit dem römisch-griechischen Götterkreis so sehr zu widerstreben als der jüdische Monotheismus – da bot sich eine ältere, abgöttisch ausgeartete Metamorphose des Parsentumes dar, und aus dieser entlehnte Rom den Mithras.
Die Vorderasiaten vom Euphrat bis an das Mittelmeer, den Archipel und den Pontus, mit welchen billig begonnen wird, sind zwar keinesweges von einem und demselben Stamme, allein ihre Religionen liegen schon seit uralten Zeiten dergestalt durcheinander, dass wir sie hier, wo es sich um so späte Epochen handelt, als eins betrachten müssen; die Ermittelung der Ursprünge gehört nicht hieher und würde uns weitab führen. Sodann war lange vor den römischen Siegen über Antiochus den Grossen eine andere Göttermischung vorgegangen, nämlich diejenige des vorderasiatischen mit dem griechischen Kultus seit der Gräzisierung Kleinasiens und noch mehr zur Zeit der Nachfolger Alexanders; und diese ging parallel mit der Mischung der griechischen und der orientalischen Bildung und Sprache. Die prächtigen griechischen Städte, welche in unbegreiflicher Fülle überall in den Diadochenländern aus der Erde wachsen, behalten zwar mit ihrer hellenischen Sprache, Stadtverfassung und Sitte auch die hellenischen Götter bei; dafür hält sich auf dem Lande, zumal in einer Entfernung vom Meere, bald mehr, bald weniger hartnäckig die alte Sprache und kommt sogar in der spätern Zeit bei der innern Müdigkeit des griechischen Bildungselementes wieder mehr zu Kräften. In Palästina, freilich unter dem Schutz einer höchst exklusiven Religion und Lebensweise, erhält sich das Aramäische trotz der fürchterlichsten geschichtlichen Stürme; in Syrien, sobald es sich um populäre Wirksamkeit und nicht mehr um klassische Eleganz handelt, fällt man in die Landessprache zurück, wie sich im zweiten Jahrhundert bei dem Gnostiker Bardesanes,