Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt

Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt - Jacob Burckhardt


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welche oben menschliche, unten Fischgestalt hatte. Auch sie besass ohne Zweifel noch ihre einst berühmten Tempel zu Askalon, in der Nähe des alten philistäischen Fischgottes Dagon, und anderswo. In ganz später, gräzisierter Gestalt thronte sie in dem berühmten Tempel von Hierapolis im nördlichen Syrien, welchen Lucian schildert, und welcher noch bis in das vierte Jahrhundert sich unberührt erhalten haben mag. Hinten in einem erhöhten Raum301, den nur die Priester betraten, sah man neben dem schon erwähnten Baal-Zeus das goldene Bild der Göttin auf einem mit Löwen bespannten Wagen302. Ihre Attribute waren von den verschiedenen griechischen Göttinnen entlehnt; in den Händen Scepter und Spindel, um den Leib den Gürtel der Urania, auf dem Haupte Strahlen und Mauerkrone, nebst einem Steine, welcher des Nachts den ganzen Tempelraum erleuchtete303. Ausserdem hatten sich aber noch verschiedene griechische oder gräzisierte Gottheiten in dem Tempel eine Stelle verschafft; so ein bärtiger bekleideter Apoll, welcher sich bewegte, wenn man ein Orakel verlangte; dann erhoben ihn die Priester und trugen ihn herum, wie er sie leitete; vorwärts galt als Ja, rückwärts als Nein auf die gestellten Fragen; er soll dabei stark geschwitzt haben. Auch ein Atlas, ein Hermes, eine Ilithyia standen im Innern, draussen aber, bei oder an dem grossen Altar, welcher vor der Hauptpforte der Tempel im Freien zu stehen pflegte, sah man eine Unzahl eherner Bilder, Könige und Priester vom höchsten Altertum bis auf die Seleucidenzeit darstellend, in der Nähe auch eine Anzahl Gestalten aus dem homerischen Sagenkreise. Allein das Merkwürdigste waren überhaupt nicht die Bilder, sondern der Kultus, von dessen wüster Massenhaftigkeit man nur hier einen vollständigen Begriff erhält. In dem grossen Tempelhofe gingen heilige Stiere, Pferde, zahme Löwen und Bären frei herum; dabei war ein Teich voll heiliger Fische, in der Mitte ein Altar, zu welchem täglich Andächtige laut Gelübde hinschwammen, um ihn zu bekränzen. Um den Tempel war ein Volk von Flötenbläsern, entmannten Priestern (Galli) und rasenden Weibern angesiedelt, welche mit pomphaften lärmenden Prozessionen, mit Opfern und aller möglichen Unsitte ihre Zeit hinbrachten. Ganz dem Wahnsinn geweiht erscheint zumal das Frühlingsfest, zu welchem sich eine ungeheure Wallfahrt aus ganz Syrien in Hierapolis einfand. Bei diesem Anlass wurde nicht bloss ein halber Wald mit Opfern aller Art (Tieren, Gewändern, Kostbarkeiten) verbrannt, sondern auch die Rekrutierung der Galli scheint sich daran304 angeschlossen zu haben, indem der wütende Taumel viele Unglückliche ergriff, dass sie sich durch Selbstentmannung der Göttin weihten. Und dieser Tempel war einer der geehrtesten von Vorderasien, und zu seinen Schätzen hatte Kappadocien wie Assyrien, Cilicien wie Phönizien beigesteuert. Weithin leuchtete er mit seinen ionischen Säulenreihen von einem Hügel über die ganze Stadt, ruhend auf Mauerterrassen mit gewaltigen Propyläen. Merkwürdigerweise findet sich in diesem Tempelbezirk, wo es so bunt hergeht, auch das Vorbild der spätern Säulenheiligen; aus den Propyläen ragten zwei enorme Steinbilder305 (Sinnbilder der Zeugungskraft) empor, dergleichen in ganz Kleinasien, soweit ähnliche Kulte reichten, hie und da vorkamen, und auf diese stieg alljährlich ein Mensch, um daselbst sieben Tage und schlaflose Nächte zu beten; wer seine Fürbitte wünschte, trug ein angemessenes Geschenk an den Fuss des Pfeilers. Konnte man später in der christlichen Zeit solche Denkmäler eines ruchlosen Kultus besser entsündigen, als wenn ein heiliger Büsser hinaufstieg, um droben nicht Wochen, sondern Jahrzehnte hindurch auf seine Weise Gott zu dienen306?