Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
Genüge beweist. Wie es sich in sprachlicher Hinsicht mit Kleinasien verhielt, ist nicht näher bekannt290. Mit der Volkssprache aber hielten sich auch die Volksgötter aufrecht.
Die Grundlage der betreffenden Religionen291 ist im ganzen der Gestirndienst, aber bis zur Unkenntlichkeit getrübt durch ein Götzentum, welches teils als fremde Zutat, teils als notwendige innere Entwicklung gelten mag. Ein umständlicher Opferdienst suchte die Götter zu versöhnen durch Darbringung hauptsächlich des tierischen Lebens, wozu auch regelmässige wie ausserordentliche Menschenopfer gehörten. Diese hielten sich besonders in den Gegenden phönizischer Kultur mit ungemeiner Hartnäckigkeit und überlebten den Sturz und den Wiederaufbau von Karthago noch lange, so dass selbst Tiberius mit den strengsten Strafen dagegen einschreiten musste292. Das höchste Götterpaar, Baal und Astarte (Sonne und Mond, Morgenstern und Abendstern), lebte in der römischen Zeit noch unter den verschiedensten Namen und Personifizierungen in zahlreichen Tempeln fort, als Herr und Herrin alles Lebens. Aus dem Alten Testament kennt man Baal-Sebub, Baal-Peor, Baal-Berith usw., deren Namen allerdings längst vergessen sein mochten. In Palmyra scheint Baal sich in zwei Gottheiten, für Sonne und Mond, geteilt zu haben, als Aglibol und Malachbel, die auf einem ganz späten palmyrenischen Relief des kapitolinischen Museums dargestellt sind293, mit dem römisch-griechischen Namen des Donators: Lucius Aurelius Heliodorus, Sohn des Antiochus Hadrianus. In dem prächtigen und überaus grossen und hohen Tempel zu Emesa lag der schwarze Stein, ein Aerolith, welcher als Bild des Sonnengottes Elagabal294 galt und bis in weite Ferne als solcher verehrt wurde. Sein Priester ging in langer, goldgestickter Purpurtunika und einem Diadem von Edelsteinen einher. Im Tempel von Hierapolis stand neben der berühmten Syrischen Göttin (wovon unten) das goldene Bild des Baal als Zeus auf einem von Stieren gezogenen Wagen. Zu Heliopolis (Baalbek) wurde Baal in einer ganz späten, halbrömischen Personifikation verehrt; sein goldenes Bild trug nicht bloss die Geissel des römischen Sonnengottes, sondern auch den Blitz Juppiters. Erst Antoninus Pius hatte auf den kolossalen Unterlagen eines alten Tempels den neuen erbaut, dessen Ruinen noch jetzt den ihm damals erteilten Namen eines Weltwunders rechtfertigen295. Der Name des Zeus, welchem Antonin das Heiligtum widmete, darf uns nach dem oben Gesagten nicht irre machen, wenn der alte Ortsname auf Baal und der griechische auf Helios lautet. Dieser Tempel war wie derjenige zu Emesa durch seine Orakel weit berühmt, die man auch brieflich erhalten konnte, was bei asiatischen Orakeln nicht selten vorkömmt. Zweifelhaftere und weniger bedeutende Spuren des Baalsdienstes unter den Kaisern mögen übergangen werden; genug, dass dieser Kultus, mehr oder weniger umgestaltet, noch immer eine Hauptandacht Vorderasiens war, welcher gerade einige der allerwichtigsten Tempel gewidmet waren und also wahrscheinlich noch viele andere, von denen wir keine Kunde haben. Vielleicht war der Gott Karmel, der auf dem gleichnamigen Berge einen Altar besass und Orakel gab, auch eine Umbildung des Baal296. Auf dem Vorposten dieses Kultus gegen Süden steht Marnas, der Gott von Gaza, wenn er wirklich eine Form des grossen Gottes gewesen ist. Er war es, welcher die christlichen Lehrer und Einsiedler jener Gegend noch das ganze vierte Jahrhundert hindurch in Verzweiflung setzte297 und die Gegend von Gaza zu einem fast unzerstörbaren Schlupfwinkel des Heidentumes machte. Wir werden ihm als persönlichem Feinde des heiligen Hilarion wieder begegnen.
Schon dieser alte semitische Hauptgott drang nun gewiss in mehr als einer Gestalt in die römische Religion ein. Römer, die im Orient lebten oder gelebt hatten, mochten ihn als Zeus, Juppiter anbeten, ganz besonders aber muss die Verehrung des Sonnengottes, die in der spätem Zeit so sehr überhandnimmt, sich wesentlich zwischen Baal und Mithras geteilt haben, während man an den alten Sol-Helios weniger dachte. Sodann erhielt Elagabal wenigstens für einige Jahre eine grosse, solenne Stelle in dem römischen Götterkreise durch den wahnsinnigen Jüngling, welcher auf dem Thron der Welt den Namen des Gottes annahm, dessen Priester er früher gewesen und noch war. Als dieser Antoninus Bassianus den schwarzen Stein von Emesa nach Rom brachte (zwischen 218 und 222), konnte man sagen, dass die Theokrasie sich ihrer Vollendung nähere. Der neue Gott erhielt einen grossen Tempel und kolossale Opfer, bald auch eine Gemahlin. Der Kaiser liess nämlich das Bild und die Schätze der Himmlischen Göttin aus dem Tempel von Karthago kommen und vermählte dieselbe mit dem Elagabal, wogegen sich mythologisch gar nichts vorbringen liess. Rom und Italien mussten diese Vermählung auf das festlichste begehen. Auch das Palladium, das Feuer der Vesta und andere altrömische Heiligtümer brachte er in den Tempel des neuen Gottes. Nach der Ermordung des kaiserlichen Priesters soll der Stein wieder nach Syrien verabfolgt worden sein, wahrscheinlich wegen der scheusslichen Erinnerungen, die sich daran knüpften298.
Allein viel gewaltiger als der Baalsdienst ist im Römischen Reiche derjenige der Grossen vielnamigen Göttin repräsentiert. Sie ist im Verhältnis zum Sonnengott der Mond, in weiterm Sinne aber die Mutter alles Lebens, die Natur; von alten Zeiten her hat Vorderasien sie mit wildem bacchantischem Taumel gefeiert, wie es einer von allen sittlichen Beziehungen entblössten Gottheit zukam; Jubelgeschrei und Klagegeheul, rasender Tanz und trauernder Flötenklang, Prostitution der Weiber und Selbstentmannung der Männer haben von jeher diesen Kultus des sinnlichen Naturlebens begleitet; ein nicht sehr ausgedehnter, aber in seinen Formen je nach Ländern und Zeiten verschieden ausgeprägter Mythus hat sich um diese Feiern herumgesponnen und noch ganz spät den Römern Anlass zu wunderlichen Mysterien gegeben.
Wir sehen einstweilen ab von der ägyptischen Isis, welche eine verwandte Nebenform dieser Grossen Göttin ist, und verfolgen diese letztere unter ihren noch im dritten Jahrhundert nachweisbaren Gestalten.
Das Alte Testament kannte und verabscheute sie als Astharoth, und noch immer gab es in Phönizien Tempel der Astarte; Lucian kannte einen solchen in Sidon. Er spricht davon beiläufig in der berühmten Schrift »Von der Syrischen Göttin«, welche uns hier zunächst als Quelle der Tatsachen interessiert, nicht weniger aber, weil sie die Stellung des frivolen, griechisch gebildeten Syrers zu seinem heimischen Kultus so merkwürdig bezeichnet. Nirgends hat er den Hohn so weit getrieben als hier, wo er sich naiv stellt und den Stil und den ionischen Dialekt des ehrlichen alten Herodot nachahmt, um die ganze gloriose Lächerlichkeit jenes Götzendienstes recht unmittelbar wirken zu lassen. Hier lernt man aber auch erkennen, welche Bilder die Jugend des Spötters umgeben und beherrschen mussten, bis er mit allen Kulten und allen Religionen brach. Ein Athener hätte diese Bücher nicht schreiben können.
Von Phönizien aus verbreitet sich derselbe Dienst unter dem Namen der »Himmlischen Göttin« weit über das Mittelmeer und vermischt sich mit dem klassischen Kultus; die Griechen erkennen ihn als Aphrodite urania, die Römer als Venus coelestis an, und diese Namen bekommen später auch in den eigentlich semitischen Ländern Geltung. Man dachte dabei nicht an Aphrodite als Göttin der Liebe und des Liebreizes, sondern als Erzeugerin299. Die Insel Cypern, wo griechische und semitische Bildung ineinanderflossen, war dieser Göttin vorzüglich geweiht, Paphos und Amathunt sprichwörtlich für ihren Dienst. Auch die Insel Cythere (Cerigo) und das Heiligtum des Berges Eryx in Sizilien gehörten der Urania; in Karthago war sie wenigstens in ihrer spätem Umbildung die wichtigste Gottheit, und selbst in dem Namen der Stadt Gades, Gadeira (Cadix) liegt vielleicht die Räumlichkeit eines alten Uranientempels angedeutet. Diese Heiligtümer waren ganz anders angelegt als die Göttertempel der Griechen; da stand unter freiem Himmel in hoher unbedeckter Nische300 das Idol, öfter nur ein Stein von konischer Form; Gitter, Hallen und Höfe, wo man Scharen von Tauben hegte, umgaben das Sanctuarium; auch freistehende Pfeiler kommen in diesen Anlagen vor, wobei man sich an die Pfeiler Jachin und Booz vor dem Tempel von Jerusalem erinnert.