Rocking The Wall. Bruce Springsteen. Erik Kirschbaum

Rocking The Wall. Bruce Springsteen - Erik Kirschbaum


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spie­len, ih­nen eine sei­ner le­gen­dä­ren Vier-Stun­den-Non­stop-Shows lie­fern, die ihn auch im Os­ten be­rühmt ge­macht hat­ten.

      Aber nun, kurz vor Kon­zert­be­ginn, war die Stim­mung hin­ter der Büh­ne ge­dämpft, und dies lag an ei­ner über­ra­schen­den Ent­de­ckung, die Springs­teen und sein Tross am Vor­tag ge­macht hat­ten. Als die Band in Ost­ber­lin ein­traf, muss­ten sie fest­stel­len, dass die Kon­zert­kar­ten mit dem La­bel „Kon­zert für Ni­ka­ra­gua“ ver­se­hen wa­ren. Un­ab­hän­gig da­von, ob Springs­teen Sym­pa­thi­en für die san­di­nis­ti­sche Re­gie­rung in La­tein­ame­ri­ka heg­te oder nicht, war ihm so­fort klar: Hier han­del­te es sich um einen Ver­such, sein Kon­zert und vor al­lem ihn per­sön­lich für die po­li­ti­schen Zwe­cke der DDR-Füh­rung zu in­stru­men­ta­li­sie­ren. Und wenn es et­was gab, was Springs­teen nicht ausste­hen konn­te, dann war es ge­nau das: Das Aus­schlach­ten sei­ner Be­rühmt­heit und sei­ner Wer­te für eine be­stimm­te po­li­ti­sche Ab­sicht.

      Um die gan­ze Trag­wei­te der Pro­vo­ka­ti­on er­mes­sen zu kön­nen, muss man dar­an er­in­nern, dass Ni­ca­ra­gua zu je­ner Zeit ein Sym­bol für eine er­folg­rei­che so­zi­a­lis­ti­sche Re­vo­lu­ti­on war. Die lin­ken San­di­nis­ten hat­ten ein re­ak­ti­o­näres Re­gime ge­stürzt – und die USA un­ter Prä­si­dent Ro­nald Re­a­gan setz­ten über Jah­re hin­weg al­les dar­an, mit ei­nem heim­li­chen Kon­tra-Krieg nun wie­der­um eben die­se Re­gie­rung zu stür­zen. Auch vie­le Lin­ke im Wes­ten pil­ger­ten da­mals nach Ni­ca­ra­gua, um die San­di­nis­ten zu un­ter­stüt­zen oder tran­ken nur noch Kaf­fee aus dem mit­tel­ame­ri­ka­ni­schen Land, um dem er­folg­rei­chen, vom Volk ge­tra­ge­nen So­zi­a­lis­mus wirt­schaft­lich bei­zu­sprin­gen. Vor al­lem aber in den kom­mu­nis­ti­schen Län­dern wur­de „So­li­da­ri­tät mit Ni­ka­ra­gua“ (so die da­ma­li­ge Schreib­wei­se im Os­ten) zu ei­nem Syn­onym für den Kampf ge­gen die Vor­herr­schaft der USA, für die Kon­fron­ta­ti­on der Macht­blö­cke, zur Glei­chung So­zi­a­lis­mus ge­gen Ka­pi­ta­lis­mus.

      Vor dem Hin­ter­grund die­ser auf­ge­heiz­ten Sym­bo­lik muss­te Springs­teen die De­kla­rie­rung sei­nes Auf­tritts als „Kon­zert für Ni­ka­ra­gua“ als das se­hen, was sie war: den Ver­such, den US-Star, der selbst längst zum ame­ri­ka­ni­schen Sym­bol ge­wor­den war, ge­gen sein ei­ge­nes Land in Stel­lung zu brin­gen, ihn für die Sa­che des So­zi­a­lis­mus zu ver­ein­nah­men, ihm den Stem­pel des Klas­sen­kamp­fes auf­zu­drü­cken. Das woll­te und konn­te Springs­teen nicht ak­zep­tie­ren, wie sehr er auch Ro­nald Re­a­gan und die Po­li­tik sei­ner Re­gie­rung ab­leh­nen moch­te.

      Noch weit mehr em­pört über den plum­pen Ver­ein­nah­mungs-Ver­such zu­guns­ten of­fi­zi­el­ler DDR-Po­li­tik war Springs­teens lang­jäh­ri­ger Ma­na­ger und en­ger Freund Jon Land­au. „Es war eine Aus­nut­zung sei­nes Na­mens und eine kom­plet­te Fehl­in­ter­pre­ta­ti­on der Ab­sicht, die wir mit un­se­rem Kom­men ver­folg­ten“, sagt Land­au, noch heu­te ver­är­gert. Schnell war man sich ei­nig: Kei­nes­falls wer­de Springs­teen sich un­wi­der­spro­chen für eine kom­mu­nis­ti­sche Pro­pa­gan­da her­ge­ben. Den FDJ-Or­ga­ni­sa­to­ren wur­de dies rasch klar­ge­macht. Nach ei­ni­gem Hin und Her – die FDJ fürch­te­te schon, das gan­ze Kon­zert kön­ne ab­ge­sagt wer­den – wur­den die meis­ten der schon an­ge­brach­ten Trans­pa­ren­te ei­lig ent­fernt.

      Zwar war der Alb­traum ei­nes in letz­ter Mi­nu­te ab­ge­sag­ten Kon­zerts ver­mie­den wor­den, doch Springs­teen woll­te nach all der Pro­pa­gan­da im Vor­feld ein paar di­rek­te Wor­te an das Pu­bli­kum rich­ten, um kla­r­zu­stel­len, war­um er nach Ost­ber­lin ge­kom­men war. Da­bei hat­te er nur Land­au ein­ge­weiht, was er sei­nen ost­deut­schen Fans sa­gen woll­te.

      Um die Bot­schaft auch un­miss­ver­ständ­lich zu ver­mit­teln, ent­schied sich Springs­teen, auf Deutsch zu spre­chen. Also wand­te er sich an den ein­zi­gen Deut­schen in sei­nem di­rek­ten Um­feld, sei­nen Fah­rer und ge­le­gent­li­chen Dol­met­scher, einen jo­vi­a­len Bay­ern na­mens Ge­org Ker­win­ski. Ker­win­ski hör­te sich an, was Springs­teen sa­gen woll­te und skiz­zier­te einen Vor­schlag für die deut­sche Über­set­zung. Springs­teen dank­te ihm und ver­schwand ei­lig in Rich­tung Büh­nen­trep­pe. Se­kun­den spä­ter er­tön­te der ge­wal­ti­ge Er­öff­nungs­ap­plaus der größ­ten Men­schen­men­ge, vor der der Rock­star je­mals ge­spielt hat­te. Springs­teen be­gann ein Kon­zert, das Ge­schich­te schrei­ben soll­te.

      Er woll­te of­fen­bar kei­ne Zeit ver­lie­ren, um dem Pu­bli­kum mäch­tig ein­zu­hei­zen und leg­te mit ei­ner oh­ren­be­täu­ben­den Ver­si­on von Bad­lands los, je­nem Auf­schrei ei­nes jun­gen Man­nes, der sich nach ei­nem bes­se­ren Le­ben sehnt – viel­leicht schon die ers­te Mes­sa­ge des im­mer noch auf­ge­brach­ten US-Stars an die DDR-Füh­rung. Das Pu­bli­kum re­a­gier­te fre­ne­tisch, selbst vie­le der zur Si­che­rung ab­ge­stell­ten zahl­lo­sen Sol­da­ten und Si­cher­heits­leu­te be­wahr­ten nur kur­ze Zeit ihre Di­stanz, dann er­la­gen auch sie der schie­ren Kraft der Springs­teen-Mu­sik und der über­bor­den­den Stim­mung und san­gen und tanz­ten mit.

      Hin­ter der Büh­ne al­ler­dings be­schlich Ker­win­ski ein un­gu­tes Ge­fühl. War es wirk­lich eine so gute Idee, heim­lich ei­nem pro­mi­nen­ten US-Ame­ri­ka­ner da­bei zu hel­fen, eine – wenn auch kur­ze – Rede ge­gen die Mau­er auf Deutsch zu for­mu­lie­ren? Eine An­spra­che, die vie­len Men­schen mäch­tig Är­ger ein­brin­gen konn­te? Ker­win­ski lieb­te Springs­teen, sei­ne un­ge­teil­te Loy­a­li­tät ge­hör­te aber sei­nem ei­ge­nen Boss. Und so wand­te sich der baye­ri­sche Chauf­feur und Re­den­schrei­ber an sei­nen Bröt­chen­ge­ber, den Kon­zert­ver­an­stal­ter Ma­r­cel Avram.

      Avram war ein er­fah­re­ner west­deut­scher Kon­zert­ma­na­ger, und ihm war so­fort klar, dass Är­ger droh­te. Ent­geis­tert wand­te er sich an Land­au: Der Ame­ri­ka­ner müs­se ver­hin­dern, dass Springs­teen sich an die Men­ge wand­te und da­bei Din­ge sag­te, die sie alle noch be­dau­ern könn­ten, for­der­te Avram ein­dring­lich. Das Kon­zert war mitt­ler­wei­le schon in sei­ner zwei­ten Stun­de und Land­au war auch selbst über­zeugt, dass er et­was un­ter­neh­men muss­te. Nie­mand wuss­te, wann sich Springs­teen an die Men­ge wen­den woll­te, die Bom­be konn­te je­den Au­gen­blick hoch­ge­hen! Land­au eil­te an den Büh­nen­rand und wink­te, um Springs­teens Auf­merk­sam­keit zu er­ha­schen. Schließ­lich kam der Sän­ger die kur­ze Trep­pe von der Büh­ne in den Back­s­ta­ge-Be­reich her­un­ter zu sei­nem Freund und Ma­na­ger. Auch Ker­win­ski wur­de her­bei­ge­ru­fen. Oben auf der Büh­ne spiel­te die Band der­weil wei­ter. Land­au mach­te Springs­teen deut­lich, dass sie die Rede leicht ab­wan­deln müss­ten. Ker­win­ski schrie sich die Keh­le aus dem Leib, um dem US-Sän­ger, der kein Wort Deutsch konn­te, in Laut­spra­che die neue For­mu­lie­rung bei­zu­brin­gen. Bei­de konn­ten sich we­gen des Lärms von der Büh­ne kaum ver­ste­hen.

      Aber nach ei­ner Wei­le reck­te Springs­teen den Dau­men nach oben und lä­chel­te – er hat­te ver­stan­den und eil­te wie­der die Trep­pe hin­auf ins Ram­pen­licht. Nur Mi­nu­ten spä­ter, nach ei­ner phä­no­me­na­len und auf­peit­schen­den Ver­si­on von Born in the USA trat Springs­teen einen Schritt zu­rück, griff nach sei­nem Zet­tel und hielt sein flam­men­des Plä­doy­er für die Frei­heit.

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