Rocking The Wall. Bruce Springsteen. Erik Kirschbaum
the USA veröffentlicht, jene Platte, die ihn endgültig zum Superstar rund um den Globus gemacht hatte. Mit 38 war er immer noch so schlank wie als 18-Jähriger, fast ein Meter achtzig groß, und dabei, sich vom Künstler zum Aktivisten zu entwickeln, auch auf der Bühne. Springsteen genoss den Erfolg, doch gelegentlich war ihm anzusehen, dass er dem ganzen Starkult nicht besonders viel abgewinnen konnte. Er befand sich damals in einer Phase des Umbruchs, musikalisch wie privat. Drei Jahre zuvor hatte er Julianne Philipps geheiratet, eine Schauspielerin und Model. Aber die Ehe kriselte so sehr, dass die Klatschblätter bereits darüber schrieben. Und kurz nach der „Tunnel of Love Express“-Tournee gaben die beiden auch tatsächlich die Trennung bekannt.
Und auch die ersten Anzeichen für eine Midlife-Krise machten sich bemerkbar. Schon ein Jahrzehnt zuvor, an der Schwelle zu seinem 30. Geburtstag, hatte Springsteen darüber gesprochen, dass der Spruch der 1968er-Generation „Trau keinem über 30“ schwer auf seinen Schultern lag. Nun, kurz vor seinem 40. Geburtstag, war er abermals an einer Wegkreuzung angekommen und versuchte, sich neu zu orientieren. Das spiegelte sich auch auf seinem Album Tunnel of Love wider, das eine musikalische Abkehr von früheren Schallplatten war.
Zur Zeit des DDR-Auftritts waren Springsteen und seine E Street Band bereits seit sechzehn Jahren zusammen. Nach bescheidenen Erfolgen in den frühen 70er-Jahren brachten sie es mit Born to Run 1975 zu amerikaweitem Ruhm. 1978 folgte Darkness on the Edge of Town. Spätestens mit The River etablierten sich Springsteen und seine Band 1980 in der internationalen Top-Klasse. Nebraska (1982) und vor allem Born in the USA (1984) festigten die Position Springsteens als Weltstar. Springsteen und seine Band zählten nun zu den meistbegehrten Künstlern in fast allen Ländern. Wo immer sie wollten, der „Boss“ und die E Street Band konnten nun überall binnen kürzester Zeit jede Halle und jedes Stadion fast nach Belieben füllen. Springsteen nutzte den Ruhm und tourte mit der Band rund um die Welt. Zwischen Juni 1984 und Oktober 1985 absolvierte er mit Born in the USA eine Tournee mit 156 Auftritten auf vier Kontinenten. Springsteen war in dieser Zeit trotz des überwältigenden Erfolges alles andere als selbstzufrieden oder überheblich. Vielmehr befand er sich in einer „Sturm und Drang“-Phase, in der er erstmals jene über Monate andauernde überwältigende Energieleistung zeigte, für die er bis heute berühmt ist: Während dieser 16 Monate sahen fünf Millionen Menschen auf der ganzen Welt Springsteen live. Der Konzertmarathon brachte 100 Million Dollar ein. Alleine Born in the USA wurde mit 20 Millionen verkauften Alben eine der meistverkauften Platten in der Musikgeschichte. Keine andere seiner Platten verkaufte sich vorher oder nachher so gut. Und sieben der zehn Songs schafften es in die US-Top-Ten.
Die musikalische Umorientierung hin zu gefälligerem Pop zahlte sich aus. Plötzlich war Springsteen nicht mehr nur der Star der US-Ostküste und einiger Inseln im Mittleren Westen und vielleicht noch dem Süden der USA – hauptsächlich in Universitätsstädten. Die Musik des US-Rockers begann, eine wichtige Rolle im Leben vieler Menschen in aller Herren Länder zu spielen. In Europa war Springsteen vor Born in the USA zwar bereits einem breiteren Publikum bekannt, und seit seiner ersten Europa-Tournee mit The River war er vom Geheimtipp zum etablierten Star aufgestiegen, doch wie andernorts schaffte er auch hier mit dem Tunnel of Love den Durchbruch zu einem Millionenpublikum.
Anders als bei vielen anderen Musikern, hatte der Erfolg Springsteen zum Glück nicht seine Freude am Experimentieren genommen. Und auch sein permanenter Drang, etwas Neues, Anderes zu machen, litt nicht unter dem sensationellen Kommerz-Erfolg, wie die folgenden Jahrzehnte seines Schaffens zeigen sollten. Und, typisch für Springsteen, machte sich nur kurz nach der „Born in the USA“-Tour wieder seine Experimentierfreude bemerkbar.
„Irgendwann in den 80er-Jahren hatte ich das Gefühl, dass ich alles erzählt hatte, was ich aus meiner Erfahrung schöpfen konnte, die Erfahrung meines Vaters, meiner Familie, der Stadt, wo ich aufgewachsen war“, sagte Springsteen in einem Interview mit dem Fachmagazin Double Take. „Nun wollte ich meine Musik lieber in etwas Praktisches verwandeln, so dass sie einen Einfluss auf die Menschen hat und auf die Gemeinschaften, denen ich begegnet bin.“ Schon mit Tunnel of Love habe er etwas Neues versucht, sagte er einmal. Der Versuch war erfolgreich, mit Tunnel of Love, Two Faces und Brilliant Disguise landete er große Hits. „Nach 1985 hatte ich genug und wandte mich mehr mir selbst zu. Ich schrieb über Männer, Frauen und Liebe, Themen, die bei mir bis dahin eher marginal vorkamen“, sagte er. Tunnel of Love enthielt tatsächlich keine einzige der Rockhymnen, für die Springsteen und seine Band zuvor mit Born in the USA gefeiert worden waren.
Viele Songs in Tunnel of Love loten die dunkleren Seiten von persönlichen Erfahrungen und Liebesbeziehungen aus – die Platte ist teilweise auch ein Spiegel seiner eigenen scheiternden Beziehung zu Philipps. Das Album verkaufte sich zwar respektable fünf Millionen Mal, doch von den erfolgsverwöhnten Erbsenzählern in der Musikindustrie wurde dies bereits als schwach im Vergleich zum Megaseller Born in the USA gewertet.
Springsteen schien von derlei Kritik aber nicht besonders beeindruckt zu sein, als er Anfang 1988 zu einer weiteren Welttournee aufbrach. Die „Tunnel of Love“-Tour führte ihn zunächst in zahlreiche amerikanische Städte, darunter Philadelphia, Pittsburgh, Atlanta, Detroit, Los Angeles und New York, bevor er dann im Mai nach Europa kam. Der Zusatz „Express“ im Titel der Tournee sollte signalisieren, dass die einzelnen Konzerte mit unter drei Stunden deutlich kürzer waren, als die über vier Stunden dauernden Marathon-Shows, die zu seinem Markenzeichen geworden waren. Auf dem Album findet sich auch eine der bis heute populärsten Balladen Springsteens, Brilliant Disguise. Sie handelt von einem Mann, der an seiner eigenen und der Treue seiner Frau zweifelt und fesselt mit poetischen Zeilen wie:
I walk this world in wealth, I want to know if it’s you I don’t trust, ’cause I damn sure don’t trust myself.
Auch das Verhältnis zu seiner Band vollzog in dieser Zeit einen Wandel. Seit den frühen Tagen 1972 war die E Street Band mit seiner Musik verbunden. Aber bei Tunnel of Love waren die Musiker am Anfang erstmals überhaupt nicht einbezogen. Springsteen arbeitete weitgehend allein an dem Album, unterstützt vorerst nur von einer Drum Machine und einem Synthesizer. Er nahm das Album zunächst allein auf und lud erst danach einige der E-Street-Band-Mitglieder ein, ihre jeweiligen Parts einzuspielen – Max Weinberg am Schlagzeug, Roy Bittan am Klavier und Danny Federici an der Orgel. Springsteen hatte