Rocking The Wall. Bruce Springsteen. Erik Kirschbaum

Rocking The Wall. Bruce Springsteen - Erik Kirschbaum


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die Staa­ten Ost­eu­r­o­pas aus der Um­klam­me­rung zu ent­las­sen und ih­nen ei­ge­ne Wege in die Zu­kunft zu­zu­bil­li­gen.

      In der DDR ver­stan­den die Macht­ha­ber – an­ders als in vie­len an­de­ren Län­dern – die neu zu­ge­bil­lig­te Frei­heit we­ni­ger als Er­mun­te­rung, der Re­form­freu­de und Ex­pe­ri­men­tier­lust ei­nes Mi­chail Gor­bat­schows zu fol­gen, als viel­mehr als Er­laub­nis, al­les beim Al­ten zu las­sen. „Wenn der Nach­bar sein Haus re­no­viert, heißt das noch lan­ge nicht, wir müss­ten auch un­se­re Zim­mer ta­pe­zie­ren.“ Die­ser Aus­spruch Erich Hone­ckers noch 1989 ist zum Sinn­bild der Ver­bohrt­heit der al­ten SED-Herr­schaft ge­wor­den. Zum Ende der 80er-Jah­re war die DDR ein Land, das sich an Hart­lei­big­keit und Re­for­mun­wil­len in­ner­halb des so­zi­a­lis­ti­schen La­gers nur noch mit Staa­ten wie Kuba oder Ru­mä­ni­en mes­sen konn­te.

      Von Frei­hei­ten, de­rer sich die Bür­ger etwa der Tsche­cho­slo­wa­kei, Po­lens oder Un­garns ver­stärkt er­freu­en konn­ten, war in der DDR un­ter Hone­cker nicht viel zu spü­ren: An der in­ner­deut­schen Gren­ze wur­de wei­ter auf Flücht­lin­ge ge­schos­sen, die ver­such­ten, in den Wes­ten zu flie­hen, und der DDR-Staats­si­cher­heits­ap­pa­rat be­spit­zel­te und in­fil­trier­te eif­rig alle Be­stre­bun­gen, die auch nur nach Op­po­si­ti­on ro­chen. Und auch die hoff­nungs­los hin­ter dem Wes­ten Deut­sch­lands hin­ter­her­hin­ken­de wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung mit den ent­spre­chen­den Män­geln bei der Ver­sor­gung der Be­völ­ke­rung trug dazu bei, dass vie­le – vor al­lem jun­ge – Men­schen frus­triert wa­ren und sich nach Ver­än­de­run­gen sehn­ten. Vie­le ver­folg­ten mit ei­ner Mi­schung aus Stau­nen, Be­geis­te­rung und Neid die Ent­wick­lun­gen, die Gor­bat­schow in Gang ge­setzt hat­te – und von de­nen sie doch nur sehr be­schränkt et­was in ih­ren ei­ge­nen Le­ben spü­ren konn­ten.

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       Mau­e­r­ab­schnitt der East Side Gal­le­ry an der Müh­len­stra­ße

      Foto: Erik Kisch­baum

      Springs­teen war 1981, als er zum ers­ten Mal in die DDR reis­te, zwar be­reits eine in­ter­na­ti­o­na­le Be­rühmt­heit, aber den Auf­stieg zum Welt­star schaff­te er erst drei Jah­re spä­ter mit Born in the USA. In der Zeit sei­nes ers­ten Ost­ber­lin-Be­suchs war der Sän­ger auf sei­ner ers­ten gro­ßen Eu­r­o­pa-Tour­nee mit The Ri­ver. Den Auf­takt zu der Tour über 34 Sta­ti­o­nen mach­te ein Kon­zert in Ham­burg am 7. April. Es war ein vol­ler Er­folg. Es ge­lang Springs­teen und sei­ner Band, das als sto­isch be­kann­te Ham­bur­ger Pu­bli­kum nach nur kur­z­er Zeit in eine Men­ge be­geis­tert tan­zen­der und sin­gen­der Rock­fans zu ver­wan­deln. Von dort aus mach­te er sich auf der Tran­sit­stre­cke auf den knapp 300 Ki­lo­me­ter lan­gen Weg nach West­ber­lin, wo er am 8. April im In­ter­na­ti­o­na­len Con­gress Cen­trum (ICC) auf­trat, üb­ri­gens auch zum ers­ten Mal im West­teil der Stadt. Es war ein an­ge­nehm mil­der Mitt­woch im Früh­ling mit Tem­pe­ra­tu­ren von be­reits 15 Grad.

      Das nur zwei Jah­re zu­vor er­öff­ne­te ICC mit sei­nen 5.000 Zu­schau­e­r­plät­zen wirk­te eher wie ein Raum­schiff denn wie eine Kon­zert­hal­le, aber das Kon­zert war ein Er­folg. Vor dem nächs­ten Auf­tritt in Zü­rich, am 11. April, hat­ten Springs­teen und sei­ne Band eine drei­tä­gi­ge Pau­se. Springs­teen leg­te im­mer Wert auf sol­che Zeit­fens­ter zwi­schen ein­zel­nen Auf­trit­ten, um Ge­le­gen­heit zu ha­ben, die Gast­län­der ken­nen­zu­ler­nen und mit den Men­schen dort zu spre­chen, und auch die Band­mit­glie­der nutz­ten die freie Zeit ger­ne für Er­kun­dun­gen auf ei­ge­ne Faust. Die „The Ri­ver“-Tour­nee war für den da­mals 31-jäh­ri­gen Mu­si­ker aus New Jer­sey eine ein­dring­li­che Er­fah­rung – auch jen­seits der Büh­ne. Er lern­te viel über Eu­r­o­pa, aber auch dar­über, wie man auf dem Kon­ti­nent die Ver­ei­nig­ten Staa­ten – im Po­si­ti­ven wie im Kri­ti­schen – sah.

      Springs­teens ers­te Be­su­che in West- wie Ost­ber­lin fie­len in eine Zeit größt­mög­li­cher Vor­be­hal­te, so­wohl im Ver­hält­nis zwi­schen den USA und dem öst­li­chen Staa­ten­block als auch vie­ler Deut­scher ge­gen­über den USA. Es war die Zeit der Hoch­rüs­tung. Wenn ein US-Bür­ger mit ei­nem Deut­schen sprach, dau­er­te es meist nicht lan­ge, bis die Spra­che auf die in West­deut­sch­land sta­tio­nier­ten und sehr um­strit­te­nen Pers­hing-II-Mit­tel­stre­cken­ra­ke­ten kam, die von West­deut­sch­land aus die DDR be­droh­ten. Wie vie­le an­de­re Ame­ri­ka­ner auch, er­fuhr Springs­teen, dass vie­le West­deut­sche, aber auch Ost­deut­sche mehr über die Po­li­tik der Ver­ei­nig­ten Staa­ten zu wis­sen schie­nen, als so man­cher Ame­ri­ka­ner.

      In die­ser At­mo­sphä­re also nutz­te Springs­teen den frei­en Tag nach dem Kon­zert im West­ber­li­ner ICC zu ei­nem Be­such in Ost­ber­lin, ganz so, wie es Hun­der­te West­ler je­den Tag ta­ten. Was er sah, war die graue und tris­te „Haupt­stadt der DDR“, ein Ab­klatsch der pul­sie­ren­den deut­schen Me­tro­po­le aus der Zeit vor dem Krieg und ein be­mer­kens­wer­ter Kon­trast zur In­sel West­ber­lin. Die Bun­des­re­gie­rung pump­te da­mals Mil­li­ar­den nach West­ber­lin, das „Schau­fens­ter des Wes­tens“, das mit sei­nen zwei Mil­li­o­nen Ein­woh­nern im­mer noch die größ­te Stadt Deut­sch­lands war. Vom Flug­ver­kehr über die Löh­ne und dem auf­ge­bläh­ten öf­fent­li­chen Dienst bis hin zu den Werk­bän­ken der In­dus­trie und der Re­no­vie­rung von gan­zen Stadt­tei­len wur­de al­les sub­ven­tio­niert. West­ber­lin war eine Stadt mit vie­len Ge­sich­tern: Ein Spi­o­na­g­e­pos­ten der West­al­li­ier­ten, vor al­lem der Ame­ri­ka­ner, eine glit­zern­de Kon­sum- und Kul­tur­me­tro­po­le, die mit der Ber­li­na­le die wich­tigs­ten deut­schen Film­fest­spie­le aus­rich­te­te und de­ren Knei­pen kei­ne Sperr­stun­de kann­ten, aber auch eine Stadt mit Miet­preis­bin­dung und Ein­schuss­lö­chern in den vie­len Alt­bau­ten mit Koh­len­hei­zung.

      Und wäh­rend alt­ein­ge­ses­se­ne Ber­li­ner nach West­deut­sch­land fort­zo­gen, ka­men Hun­dert­tau­sen­de aus der Bun­des­re­pu­blik: Stu­den­ten, Künst­ler, Le­bens­künst­ler, Haus­be­set­zer und Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer, und auch Hun­dert­tau­sen­de von Gast­a­r­bei­tern aus der Tür­kei, Grie­chen­land und Ita­li­en. Sie alle fan­den eine Ni­sche in die­ser Stadt, wo der Kon­flikt der Welt­mäch­te all­ge­gen­wär­tig war. Die Angst, von den Trup­pen des Os­tens über­rollt zu wer­den – nahe Ber­lin wa­ren zeit­wei­se bis zu 300.000 rus­si­sche Sol­da­ten sta­tio­niert –, war da­mals nicht mehr so greif­bar wie in den 60er-Jah­ren, aber vor al­lem äl­te­re West­ber­li­ner emp­fan­den es als Rü­ck­ver­si­che­rung, dass Tau­sen­de Sol­da­ten der West­al­li­ier­ten, vor al­lem aus den USA, in der Stadt sta­tio­niert wa­ren.

      Po­li­tisch war Ber­lin schon seit 1948 ge­teilt, wenn­gleich die Al­li­ier­ten, auch die So­wje­t­u­ni­on, noch bis zum Schluss im Al­li­ier­ten Kon­troll­rat zu­sam­me­n­a­r­bei­te­ten. Aber der Mau­e­r­bau vom 13. Au­gust 1961 trenn­te nun auch fak­tisch Ber­li­ner Fa­mi­li­en und Freun­de. Über Nacht wur­de das Le­ben ei­ner gan­zen Me­tro­po­le aus­ein­an­der­ge­ris­sen. Doch es dau­er­te ei­ni­ge Zeit, bis im Wes­ten eine ein­heit­li­che Li­nie im Um­gang mit der neu­en Si­tua­ti­on ge­fun­den wur­de. Selbst John F. Ken­ne­dy, der­je­ni­ge US-Prä­si­dent, der mit sei­ner be­rühm­ten „Ich bin ein Ber­li­ner“-Rede


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