Rocking The Wall. Bruce Springsteen. Erik Kirschbaum
anderen: seinen Freund, Manager, Produzenten und Ratgeber Jon Landau. Springsteen und Landau arbeiteten schon seit 1975 zusammen und die Geschichte ihrer Freundschaft ist mittlerweile Legende in der Rockgeschichte. Der damalige Musikkritiker Landau, damals schon ein bebrillter Mann mit dünnem Haar und nur zwei Jahre älter als Springsteen, hatte 1974 ein Konzert des jungen Musikers in einem Club in Massachusetts besucht und danach eine der mittlerweile berühmtesten Kritiken der Musikgeschichte geschrieben. „Ich habe die Zukunft des Rock and Roll gesehen und ihr Name ist Bruce Springsteen“, lautete der zentrale Satz in Landaus Kritik im Bostoner Alternativblatt The Real Paper. Ein solch hymnischer Aufschrei des renommierten Musikkritikers – Landau war auch Autor des legendären Magazins Rolling Stone – kam einem Ritterschlag für den jungen Springsteen gleich. In Landaus Text heißt es weiter: „In einer Nacht, in der ich mich danach sehnte, jung zu sein, gab er mir das Gefühl, als hörte ich zum ersten Mal in meinem Leben Musik.“
Die Sentenz von der „Zukunft des Rock and Roll“ war für Springsteen, der gerade seine zweite Platte bei CBS produziert hatte, der Durchbruch. Trotz seines zweiten Plattenvertrages war der Musiker zu dieser Zeit alles andere als ein großer Star. Und diese wohl wichtigste Konzertkritik in der Geschichte der Rockmusik sollte nicht nur das Leben Springsteens verändern. Auch für ihren Urheber Jon Landau war danach nichts mehr so wie zuvor: Die Kritik in dem Alternativblatt brachte beide Männer zusammen. Springsteen entschied sich, Landau anzubieten, an seiner nächsten Platte mitzuarbeiten.
Born to Run machte aus dem talentierten Jung-Rocker aus New Jersey endgültig einen Star. Und nach Springsteens eigenen Worten war der Beitrag Landaus zu dem Album so wesentlich, dass er ihm anbot, weiter mit ihm zu arbeiten. Aus dem anfänglichen Co-Produzenten und Ratgeber wurde in den kommenden Jahrzehnten der Manager, Produzent und Weggefährte. Beide verbindet eine sehr enge und langjährige Freundschaft. Landau wird ein großer Einfluss auf das Schaffen Springsteens nachgesagt, und dieser erfüllte seinem Freund und Manager vor einem Jahrzehnt einen Lebenstraum, indem er ihn bei mehreren Konzerten mit in der Band auftreten ließ. Nach einer schweren Operation, infolge derer Landau 2011 die Sehkraft auf einem Auge verlor, verbrachte Springsteen fast jeden Tag mit seinem Freund.
An diesen engen Mitstreiter wandte sich also Springsteen während der Europa-Tournee von 1988, um auszuloten, ob ein Konzert in Ostberlin möglich sei. Landau erinnert sich noch gut daran: „Bruce kam und fragte, ‚Wie stehen die Chancen, dass wir nach Ostberlin können?‘.“ Und in seiner typischen Art, effizient zu arbeiten und nicht allzu viele Worte zu verlieren, antwortete Landau lediglich: „Ich sagte, ich finde das raus.“
Landau überlegte nur kurz und wandte sich dann an den Organisator ihrer Tournee-Auftritte in Westdeutschland, Marcel Avram. Ob er Erfahrungen mit Konzerten in Ostberlin habe, wollte Landau zunächst wissen. „Und er hatte welche. Also organisierte er alles. Mit der Debatte um die Menschenrechts-Tournee und dem Organisieren zusätzlicher Termine im Kopf war es Bruce wirklich wichtig, in Ostberlin aufzutreten“, sagt Landau. In der Woche nach dem Stockholmer Konzert spielte Springsteen am 12. Juli in Frankfurt, danach am 14. Juli in Basel und am 17. Juli in München. Vor dem nächsten Konzert am 22. Juli in Westberlin gab es eine fünftägige Pause. Das könnte die Lücke sein, dachte Landau. Die rasche und positive Antwort aus Ostberlin erstaunte nicht nur Springsteen, wie er sich in seinem Interview mit dem DDR-Fernsehen während einer Konzertpause erinnerte.
„Wir riefen an und die Antwort kam sofort. Es war wie: ‚Ja, kommt rüber.’“
Dass sich der Eiserne Vorhang so rasch für Springsteen öffnete, war ein weiteres Indiz dafür, wie weit der Wandel in den Staaten des Ostblocks bereits gediehen war. Das war die Zeit der Entspannung, als Michail Gorbatschow Glasnost und Perestroika ausrief, und damit sanken auch die Hürden für westliche Musiker, im Osten aufzutreten. Hinzu kam, dass die Machthaber in Ostberlin sich sehr wohl bewusst waren, dass sich vor allem junge Leute immer mehr von den Idealen des „real existierenden Sozialismus“ abwandten und sich die Unzufriedenheit rasch zu Protesten auswachsen könnte. Ein kleines Ventil schien durchaus im Eigeninteresse der DDR-Elite zu liegen, selbst wenn man in Ostberlin gegenüber Reformen deutlich reservierter als beispielsweise in Ungarn oder – unter Gorbatschow – selbst in der Sowjetunion war.
Born to Run
Springsteens Wunsch, in Ostberlin zu spielen, reichte bis 1981 zurück. Damals, im April, war er von Westberlin aus mit einem Tagesvisum als einfacher Tourist in den Ostteil der Stadt gekommen. Wie viele Amerikaner faszinierten auch ihn die Geschichte der deutschen Teilung und insbesondere das Leben in der seit dem Bau der Mauer 1961 nicht nur politisch, sondern auch faktisch geteilten Stadt. Dabei war es nicht die „große Politik“, für die er sich interessierte. Ihn fesselten die Geschichten aus dem Alltag der Menschen diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs, Geschichten von Trennungen und Flucht, aber auch weniger dramatische Erzählungen von den Mühen und auch Freuden des Alltags in der DDR. Schon bei seinem kurzen Ausflug 1981 hätte Springsteen gerne die Chance ergriffen und ein Konzert im Osten der Stadt gegeben. Doch zu dieser Zeit war der Kalte Krieg besonders frostig – erst wenige Monate zuvor war Ronald Reagan als 40. US-Präsident vereidigt worden und im Osten Deutschlands hatten Erich Honecker und seine nicht weniger ideologisch festgefahrenen Vertrauten die Fäden in der Hand. Wohl nichts hätte die ostdeutschen Behörden bewegen können, einen amerikanischen Rockstar auftreten zu lassen, möge dieser sich auch noch so kritisch mit den Schattenseiten des Lebens in den USA auseinandersetzen.
In den Jahren vor der Öffnungspolitik des KPdSU-Generalsekretärs Michail Gorbatschow hatte die Moskauer Führung die Staaten des Ostblocks, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter sowjetische Besatzung geraten waren, in ihrem eisernen Griff. Seit 1968 galt die so genannte Breschnew-Doktrin, benannt nach dem damaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Leonid Breschnew. Die Hinwendung eines sozialistischen Staates zum Kapitalismus galt der Doktrin zufolge als Gefährdung aller sozialistischen Staaten. Die Breschnew-Doktrin bildete die ideologische Grundlage für den sowjetischen Einmarsch in der Tschechoslowakei im Jahr 1968, bei dem russische Panzer zaghafte Bemühungen um einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ im Prager Frühling niederschlugen.