Rocking The Wall. Bruce Springsteen. Erik Kirschbaum
Goldberg hat das Wesen der Musik Springsteens verstanden. „Er singt über den Widerspruch zwischen Freiheit und Machtlosigkeit in Amerika, über Jugendliche, die noch träumen und Erwachsene, die wissen, wie es wirklich zugeht. Er berührt seine Fans und sie berühren ihn.“ In einem Interview des Senders MTV wurde Springsteen einmal unverblümt gefragt, was er mit seiner Musik erreichen wolle. „Die einzige Botschaft ist: Verkauf dich nicht unter Wert, mach was aus deinem Leben“, war seine ebenso einfache wie klare Antwort. Es war genau diese Botschaft, die er im Juli 1988 seinem ruhelosen und lebenshungrigen Publikum in der DDR überbringen sollte.
Ungeachtet seiner persönlichen Schwierigkeiten in dieser Zeit gab Springsteen bei seiner Tournee von 1988 wie üblich alles, um dem Publikum das zu bieten, worauf es auch nach seiner eigenen Meinung für sein „hart verdientes Geld“ einen Anspruch hatte. Er schien aber die Abkehr von den ganz großen Massenveranstaltungen, die die „Born in the USA“-Tour gekennzeichnet hatten, zu schätzen. Im ersten Teil der „Tunnel of Love Express“-Tour spielte er von Februar bis Mai 1988 in den USA wieder in kleineren Hallen. Seinem Biografen Dave Marsh zufolge hat Springsteen in dieser Zeit einen „kreativen Wechsel zwischen Massenveranstaltungen und kleineren, kunstvolleren Auftritten etabliert, wie es kein anderer Superstar vermocht hat.“ Dies sei zwar wichtig für sein Image und für ihn selbst, habe sich aber in reinen Verkaufszahlen nicht ausgewirkt, schrieb Marsh in seinem Buch Two Hearts: Bruce Springsteen, the Definitive Biography, 1975–2003.
Springsteen selbst schien das aber nicht weiter zu stören. Statt wieder häufiger in riesigen Stadien aufzutreten, tourte er weiter in kleineren Hallen, die ihn in den Anfangsjahren über Wasser gehalten haben. Aber auch seinen Fans mutete der Rockstar Neuerungen zu. „Zumindest am Anfang der Tournee verzichtete er auf all die bekannten E-Street-Band-Extravaganzen. Die Konzerte waren kürzer und viele der vermeintlich unentbehrlichen Megahits wie Badlands, Thunder Road und The Promised Land wurden aus dem Programm genommen. Das war eine Herausforderung an das Publikum und seine Erwartungen an Springsteen“, konstatiert Marsh. Auf dem europäischen Teil der Tournee im Sommer 1988 aber spielte Springsteen wieder in den großen Stadien, und die Konzerte waren wieder Spektakel in gewohnter Länge, die bei hellem Tageslicht begannen und Stunden später, mitten in der Dunkelheit der Nacht, endeten. Auf Turin am 11. Juni folgten Rom, Paris, Birmingham, London, Rotterdam, Stockholm, Dublin, Sheffield, Frankfurt, Basel und München, bevor er Ostberlin auf den Tourplan setzte. Das Programm bestand aus Songs des aktuellen Albums, aber auch wieder aus den Hits der Zeit davor.
Es gelang Springsteen aber nicht, das private Zerwürfnis mit seiner Frau während seiner Europatour vollständig aus der Öffentlichkeit zu halten. Denn Julianne Philipps hatte selbst im Juni ihre Trennung bekannt geben lassen. Damals äußerte er sich nicht, aber in einem Interview mit dem New York Times Magazine von 1997 sprach er über seine Beziehung zu seiner Frau. Das Paar habe sich einfach auseinandergelebt. „Wir waren sehr verschieden, und mir wurde klar, dass ich nicht wusste, wie es funktioniert, verheiratet zu sein.“
Während der Europa-Tour im Juli und August 1988 druckten zahlreiche Boulevard-Blätter Fotos von Springsteen und Scialfa. Scialfa war 1984 auf Bitten von Springsteen als Background-Sängerin zur E Street Band gestoßen, nachdem er das Gefühl hatte, die Truppe habe sich zu sehr zu einem „Jungens-Club“ entwickelt. Aufgewachsen ist sie wie Springsteen in New Jersey, nur ein paar Kilometer entfernt von seiner Heimatstadt Freehold. Als die Tournee Station in Ostberlin machte, war ihre Romanze in vollem Gang, auf und auch neben der Bühne. Nur sechs Wochen nach dem Konzert in Weißensee reichten Springsteen und Philipps die Scheidung ein, und Bruce war bereit, ein neues Kapitel in seinem Leben aufzuschlagen.
Ein Poster von der „Tunnel-of-Love-Express“-Tour des Jahres 1988, handsigniert von Bruce Springsteen
Foto: Gerald Ponesky
Kapitel 2:
TRÄUME IN DER MAUERSTADT
Baby this town rips the bones from your back It’s a death trap, it’s a suicide rap We gotta get out while we’re young ’cause tramps like us, baby we were born to run
Born to Run
Das Jahr 1988 war nicht nur für Springsteen eine Zeit des Umbruchs, das galt auch für die politische Lage in Europa. Die bevorstehenden revolutionären Umwälzungen sendeten überall ihre Vorboten. Der Kalte Krieg, der Europa, Amerika und die ganze Welt über Jahrzehnte in Atem gehalten hatte, steuerte auf sein unerwartetes und abruptes Ende zu. In vielen Staaten Osteuropas waren zu dieser Zeit evolutionäre Veränderungen zu spüren und es sollte nur wenig mehr als anderthalb Jahre dauern, bis auch das realsozialistische Experiment auf deutschem Boden nur noch Geschichte war.
Dennoch: Als die „Tunnel of Love Express“- Tour am 6. Januar 1988 angekündigt wurde, war der Kalte Krieg noch frostig und folglich fand sich unter den 66 Konzertstationen keine einzige in einem osteuropäischen Land. Auch das Konzert in Ostberlin schwebte zu diesem Zeitpunkt allenfalls als vage Hoffnung in den Köpfen einiger Visionäre. Der Europa-Teil der Tour sollte zunächst 25 Konzerte umfassen. Die Tournee startete am 11. Juni in Turin und sollte am 3. August in Barcelona zu Ende gehen. Dazwischen waren Konzerte in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Schweden, Irland, der Schweiz, der Bundesrepublik, Dänemark und Norwegen geplant.
Mitten in der Europa-Tournee kündigte Springsteen am 3. Juli in Stockholm an, dass die Band sich der Kampagne von Amnesty International anschließen und bei einer Reihe von „Human Rights Now“-Konzerten gemeinsam mit anderen Künstlern auftreten werde. Dies war Teil der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Ausrufung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und sollte helfen, auf das Thema auch jenseits feierlicher Veranstaltungen in Parlamenten und auf Kongressen aufmerksam zu machen. Geplant war eine sechswöchige Benefiz-Tournee mit zwanzig Konzerten. Neben Springsteen und der E Street Band nahmen auch Sänger wie Sting, Tracy Chapman und Peter Gabriel an der Tournee teil.
Für Springsteen war es nicht das erste Mal, dass er sich in den Dienst einer guten Sache stellte. Schon 1985 nahm er an der „We Are the World“-Kampagne zugunsten der