Die Chroniken der Wandler. Laura Schmolke

Die Chroniken der Wandler - Laura Schmolke


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Nacht dürft ihr so verbringen, wie ihr wollt. Achtet aber darauf, dass ihr pünktlich zum Essen im großen Saal seid.“

      „Ja, natürlich!“ Jessy drehte sich um und steuerte auf die Tür zu. Als sie merkte, dass weder Ailina noch Felicitas ihr folgten, blieb sie stehen. „Kommt ihr?“

      „Geht schon mal vor“, bat Felicitas, „Ich komme nach.“

      Ailina warf noch einen letzten, sehnsüchtigen Blick auf die Regale, dann folgte sie Jessy. Auf einmal waren Felicitas und Ituma alleine. „Ich ... wollte noch etwas fragen ...“, setzte Felicitas zögernd an.

      „Was gibt es?“ Ituma zog die Augenbrauen hoch.

      Felicitas holte einmal tief Luft. „Wer ist Meda?“

      Ituma schien von der Frage überrascht zu sein, denn sie antwortete nicht sofort. „Enapays Schwester“, sagte sie schließlich. „Sie ist schon seit Jahren die Hüterin der Bibliothek.“

      Felicitas blickte Ituma erwartungsvoll an, doch die Lehrerin sagte nichts mehr.

      „Meda ... sie hat irgendetwas gesagt von Licht und Schatten und Tag und Nacht ...“, setzte sie dann an, doch Ituma unterbrach sie.

      „Meda redet viel. Sie erzählt von vergangenen Kämpfen und von Verrätern, die sich angeblich in diese Schule eingeschleust haben sollen. Wenn du mich fragst, hat sie eindeutig zu viel gelesen.“

      „Sie glauben ihr also nicht?“

      „Nein. Und das solltest du auch nicht tun.“

      Felicitas nickte langsam. Wahrscheinlich hatte Ituma recht.

      „Danke.“

      Als Felicitas auf die Tür zusteuerte, spürte sie Itumas Blick, der sich in ihren Rücken bohrte. Obwohl sie versuchte, Medas rätselhafte Worte aus ihrem Kopf zu verbannen, wollte es ihr nicht gelingen.

      Eine neue Ära wird beginnen. Bald schon. Eine Ära des Friedens. Oder des Krieges. Des Lebens. Oder des Todes. Nun liegt es allein in Onidas Hand.

      Wer war Onida? Der Name kam ihr seltsam bekannt vor, als hätte sie ihn schon einmal gehört. Sie konnte sich nur nicht mehr daran erinnern, wann und wo das gewesen war.

      So in Gedanken versunken eilte Felicitas durch den langen Gang, bis sie schließlich hinaus in den Hof trat. Es war noch immer dunkel. Nur der blasse Mond und die Sterne spendeten ein wenig Licht.

      Licht und Schatten. Tag und Nacht. Die Worte hallten in ihrem Kopf wider, laut und klar. Felicitas presste sich die kühle Handfläche gegen die Stirn. Was war nur los mit ihr?

      ***

      „Lass das Mädchen in Ruhe.“ Itumas Stimme klang kalt und schneidend. „Warum verkriechst du dich nicht einfach wieder hinter deinen Büchern und behältst deine Weisheiten für dich?“ Meda sah sie lange an. Der Blick ihrer hellen, blauen Augen lag auf Ituma, bis die Lehrerin schließlich den Blick senkte.

      „Sie hat das Recht, ihren eigenen Weg zu wählen“, sagte Ituma leise.

      „Natürlich hat sie das“, bestätigte Meda ruhig.

      „Warum tust du ihr das dann an? Warum tust du uns allen das an, Meda?“

      Meda antwortete nicht. Sie starrte nur mit leerem Blick in das Feuer, das in dem kleinen Kamin vergnügt vor sich hin prasselte.

      „Was ist geschehen?“, fragte Ituma leise. „Warum weigerst du dich zu kämpfen? Warum versteckst du dich hier und wartest feige auf bessere Zeiten?“

      Meda ging nicht auf Itumas Beleidigung ein, sie lachte nur heiser. „Was geschehen ist? Mein Leben ist in sich zusammengefallen wie ein Kartenhaus! Ich musste meinen Weg wählen und ich habe mich entschieden. Und alles hinter mir zurückgelassen. Das Leben ist eine Lüge, Ituma. Eine trügerische Hoffnung, die am Ende doch nur Leid und Schmerz bringt. Aber wem erzähle ich das?“ Meda musterte sie eindringlich. „Niemand weiß das besser als du, nicht wahr?“ Die Alte trat einige Schritte auf Ituma zu, die sie regungslos anstarrte. „Du weißt, wie es ist, zwischen den Fronten zu stehen, hin- und hergerissen zu sein zwischen Liebe und Vernunft.“

      „Sei still“, fauchte Ituma, „das geht dich nichts an!“

      Meda schien sie nicht zu hören. „Sogar Muraco verschließt die Augen vor dem Offensichtlichen“, murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu Ituma. „Er spielt seine Rolle gut – zu gut, wenn es ihm so lange gelungen ist, uns alle zu täuschen.“

      „Von wem sprichst du?“

      Meda zuckte zusammen, als merkte sie erst jetzt, dass Ituma immer noch da war. „Von wem?“, wiederholte sie leise. „Ja, von wem spreche ich?“ Dann schwieg sie. Den Blick starr geradeaus auf die Wand gerichtet, ohne wirklich etwas zu sehen.

      Nach einer Weile drehte Ituma sich um und verließ die Bibliothek. Die Absätze ihrer Schuhe klackerten laut auf dem steinernen Boden.

      Klack. Klack. Klack.

      Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss und Meda war wieder allein. Wie so oft.

      ***

      Als Felicitas ihr Zimmer betrat, saß Ailina am Schreibtisch und zeichnete. Ihre langen, blonden Haare fielen wie ein Vorhang seitlich über ihr Gesicht und ihre Hand huschte routiniert über das Papier. Neben ihr lag ihr Handy und spielte leise Musik. Felicitas glaubte, das Lied irgendwoher zu kennen, erinnerte sich jedoch nicht mehr, wo sie es schon einmal gehört hatte.

      Einige Sekunden lang stand sie unentschlossen in der Mitte des Raumes, dann gab sie sich einen Ruck und zog die Tür hinter sich zu.

      Ailina sah auf. Ihr Blick wirkte leer, als befände sie sich in einer Art Trance.

      „Hallo, Felicitas.“ Ihre Stimme klang dünn.

      „Hi.“ Felicitas räusperte sich. „Was ... zeichnest du?“ Sie trat hinter ihre Freundin, doch Ailina legte ihren Arm so über die Skizze, dass Felicitas nichts erkennen konnte.

      „Bilder“, sagte sie langsam, „die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Ich muss sie irgendwo festhalten, sonst ...“, sie lächelte unsicher, „werde ich verrückt, glaube ich.“

      „Tut mir leid, ich ... wollte dich nicht stören.“

      „Nein, das ist schon okay.“

      Ailina schob ihre Zeichnungen zusammen und legte sie unter ihren Zeichenblock. „Wo ist Jessy?“, wollte Felicitas wissen.

      „Keine Ahnung.“ Für einen kurzen Augenblick herrschte unangenehmes Schweigen. Die kahle Glühbirne an der Decke tauchte das Zimmer in ein viel zu grelles, kaltes Licht und wieder wurde Felicitas bewusst, wie fremd das hier doch alles war.

      Plötzlich verspürte sie den unwiderstehlichen Drang, irgendjemanden anzuschreien, ihn verantwortlich zu machen für all das, was sie durchmachen musste. Am liebsten Enapay. Wieso hatte er sie einfach weggebracht? Ohne ihr wirklich klarzumachen, dass sie ihre Familie so lange nicht wiedersehen würde?

      „Es geht uns allen so“, sagte Ailina auf einmal sanft.

      Überrascht sah Felicitas sie an. „Kann man als Wandler auch Gedanken lesen?“ Ihre Stimme klang schärfer als beabsichtigt.

      „Nein. Und man muss auch kein Wandler sein, um zu merken, wie du dich gerade fühlst.“ In Ailinas Blick war so viel Mitleid, so viel Verständnis. „Du vermisst sie. Deine Freunde, deine Familie. Besonders deine Schwester.“ Sie zögerte kurz, bevor sie fortfuhr. „Es geht uns allen so. Hast du Christiane gesehen? Die Kleine mit den kurzen, braunen Haaren? Sie ist erst dreizehn.“ Ailina starrte an Felicitas vorbei aus dem Fenster.

      Felicitas wartete darauf, dass ihre Freundin noch mehr sagte, doch Ailina schwieg.

      „Wieso bist du hier?“, fragte sie schließlich vorsichtig. „Hast du mit deinen Gaben auch jemanden verletzt?“

      Ailina


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