Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell
mich am liebsten ins Bett legen und einfach schlafen.
Doch meine Gedanken kreisten immer und immer wieder um dieses Telefonat. Obwohl er es vermutlich nur gesagt hatte, um mir wehzutun, stellte ich mir die Frage, ob Timo vielleicht tatsächlich mit einer anderen geschlafen hatte. Oder mit mehreren. In jeder Stadt eine. Könnte doch sein ... er sah wirklich gut aus. Viele Mädchen standen auf diesen typischen Surfertypen ‒ groß und schlaksig, mit blonden Haaren und strahlend blauen Augen, mit Waschbrettbauch und gewinnendem Lächeln.
Es tat weh, daran zu denken, dass Timo möglicherweise mit einer anderen intim geworden war. Genau wie er für mich war auch ich für ihn das erste Mal gewesen. Er hatte vor mir noch mit keinem anderen Mädchen geschlafen und das war etwas ganz Besonderes für mich. Es war eine Ehre, ein tolles Gefühl. Wir hatten uns gegenseitig entjungfert und das würde uns für immer verbinden. Aber was, wenn es für ihn nichts Besonderes mehr war? Wenn er inzwischen mit halb Stuttgart, ganz Hamburg und einem Drittel von Duisburg geschlafen hatte?
Der Gedanke trieb mir Tränen in die Augen. Ich dachte wieder daran, dass Kim mir geraten hatte, mich von ihm zu trennen. Sie hatte mich gefragt, ob ich wirklich glaubte, dass Timo und ich bis an unser Lebensende zusammen sein würden. Gestern noch hieß die Antwort: „Ich weiß es nicht.“ Vor einem Jahr war es ein klares „Ja“. Und nun ein eindeutiges „Nein“. Zwischen Timo und mir war es aus. Etwas war zerbrochen bei diesem Streit heute, etwas, das nicht mehr zu reparieren war. Wir konnten Freunde bleiben. Vielleicht hätten wir sowieso nie mehr als Freunde sein sollen. Auch wenn ich unsere Zeit als Paar nicht bereute und es auf keinen Fall rückgängig machen wollte ‒ nun bestand die Gefahr, einen guten Freund, einen geliebten Menschen für immer zu verlieren. Und das wollte ich keineswegs.
Da ich von all den Grübeleien Kopfschmerzen bekam, beschloss ich, mich abzulenken und auszugehen. In die Strandbar, in der Kim und ich diese Woche bereits zweimal gewesen waren. Kim war beide Male recht schnell von Typen angesprochen und angemacht worden. Sie hatte ein bisschen zurückgeflirtet und ihnen anschließend freundlich, aber bestimmt einen Korb gegeben. Mich hatte man wie üblich nicht so recht beachtet und nur aus Höflichkeit ins Gespräch mit eingebunden. Tja, ich war eben nicht der typische Männerschwarm. Kim hingegen war der Traum aller Männer, sie hatte genau die richtige Größe, nicht zu groß, nicht zu klein, sie war kurvig und an den richtigen Stellen üppig, knackbraun schon nach einer Woche Strandleben, ihr langes, volles braunes Haar strotzte vor Gesundheit, ihre klugen braunen Augen blitzten jeden herausfordernd an, ihre vollen kirschroten Lippen luden zum Küssen ein, ihr Lachen war ansteckend, ihr Lächeln offen.
Ich mit meinen roten Haaren, der recht knochigen, drahtigen Figur und der eher geringen Oberweite hatte weniger Chancen bei den Männern. Außerdem war ich nach wie vor käseweiß. Wenn ich zu lange in der Sonne lag, wurde ich rot wie ein Hummer, bekam schmerzhaften Sonnenbrand und häutete mich wie eine Schlange. Braun wurde ich nie. Dafür war mein ganzer Körper mit Sommersprossen übersät, es gab keine freie Stelle mehr.
An manchen Tagen ärgerte es mich, stimmte mich nachdenklich, dass ich nie solch begehrliche Blicke auf mir spürte wie Kim. An anderen Tagen, zum Beispiel heute, war ich froh, dass mir nicht ständig jemand hinterherpfiff. So hatte ich meine Ruhe, konnte in Frieden meinen Cocktail trinken, aufs Wasser rausschauen und es mir auf meiner Liege bequem machen, ohne irgendwelche aufdringlichen Kerle abservieren zu müssen.
Ich hatte meinen Cocktail grade leer getrunken und mir beim Kellner einen neuen bestellt, einen alkoholfreien Sunset Cocktail, der diesen Namen der Tatsache verdankte, dass er ähnliche Farben aufwies wie ein Sonnenuntergang, als ich ein verliebtes Pärchen vom Strand herüberschlendern sah. Sie war ziemlich dünn und groß, hatte langes blondes Haar, trug ein champagnerfarbenes Strandkleid, das ziemlich kurz war, und umklammerte ihn, als wäre er ihr Teddybär. Er überragte sie um einen halben Kopf, war, soweit ich das aus dieser Entfernung ausmachen konnte, ziemlich muskulös, hatte kurz geschorenes dunkelbraunes Haar und einen dunklen Bartschatten, was ich zurzeit ziemlich sexy fand. Sein Gang kam mir irgendwie vage bekannt vor und ich fragte mich, was es zu bedeuten hatte, dass ich mit einem Mal so ein Grummeln im Bauch hatte.
„Hier, dein Drink“, sagte der Kellner auf Spanisch zu mir, reichte mir das bauchige Glas, lächelte knapp und huschte weiter zur nächsten Liege.
Ich umfasste das Trinkgefäß mit beiden Händen, zog kräftig am Strohhalm und genoss den Geschmack von Maracuja, Mango, frisch gepressten Orangen, Trauben- und Zitronensaft sowie dem blauen Sirup, der sich unten am Boden des Glases abgesetzt hatte und aussah wie das letzte Stück vom dunkelblauen Himmel, wenn die Sonne unterging.
„So, Baby, setz dich hierher.“ Das Pärchen war inzwischen bei der Strandbar angelangt und er warf ein schwarzes Handtuch auf eine der letzten beiden zur Verfügung stehenden Liegen. „Ich hol uns was zu trinken. Was möchtest du?“ Er sprach ein ziemlich gutes Spanisch.
Ihre Antwort konnte ich nicht verstehen, ich sah nur, wie sie sich elegant auf die Liege gleiten ließ, wobei ihr Kleidchen etwas hochrutschte und den Blick auf ein schwarzes Seidenhöschen freigab. Anzügliche Pfiffe klangen von den anderen Liegen herüber und wurden von beiden Parteien geflissentlich ignoriert. Stattdessen beugte er sich zu ihr hinab, umfing mit der Hand leicht ihre Wange und küsste sie, ehe er mit federndem Gang hinüber zur Bar stolzierte.
Ich kniff die Augen zusammen und fragte mich angestrengt, warum mir dieser Gang und der Klang seiner Stimme so bekannt vorkamen. Irgendwie hatte er Ähnlichkeit mit ... Er erinnerte mich sehr an ...
Als er schließlich mit zwei Drinks in den Händen zurückkam und ich ihn direkt von vorn sah, beleuchtet vom blauen Licht des Barhäuschens, traf mich schier der Schlag. Es fehlte nicht viel und ich hätte mir den Cocktail über die Beine gekippt. Das da war kein Geringerer als Christopher Waldoff. Oh mein Gott, was machte der denn hier in Barcelona? Und was noch wichtiger war, was machte er ausgerechnet heute Abend in dieser Strandbar? Ich konnte es kaum glauben, gaffte ihn fassungslos an und bekam den Mund gar nicht mehr zu.
Mittlerweile war er bei seiner Begleiterin angekommen und überreichte ihr den Drink. Sie hatte im Gegensatz zu ihm bemerkt, dass ich ihn mit offenem Mund anglotzte, zog ihn leicht am Arm und sagte gedämpft etwas zu ihm, dabei sah sie zu mir herüber. Unbehaglich umklammerte ich mein Glas, so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.
„Bitte, bitte, komm nicht rüber!“, flehte ich in Gedanken.
Genau in diesem Moment drehte er sich um, musterte mich von oben bis unten und schien angestrengt darüber nachzudenken, ob er mich schon mal irgendwo gesehen hatte. Ich war ein wenig beleidigt, schließlich hatte ich ihn stockbesoffen auf meiner Couch übernachten lassen.
„Komm schon, du Trottel“, probierte ich es via Gedankenübertragung, „erinnere dich an mich.“
Dann trafen sich unsere Blicke und etwas in seinem Gesicht veränderte sich. In dem Moment wusste ich, dass er mich erkannt hatte. Keine Ahnung, ob ich das gut oder schlecht finden sollte.
Er hob die Hand und winkte mir flüchtig zu. Ich winkte schwach zurück, es fühlte sich an, als würde mir gleich der Arm abfallen. Mühsam gelang es mir, den Mund zu schließen. Ich hatte eine ganz trockene Kehle und nahm hastig einen großen Zug aus dem Glas.
Er sagte irgendwas zu seiner Begleiterin, wandte sich um und schlenderte zu mir herüber. Vor Schreck verirrte sich der Saft in meine Luftröhre, ich verschluckte mich und hustete, spuckte in hohem Bogen in den Sand, hustete weiter und weiter. Mein Gesicht lief knallrot an. Oh Mann, wie peinlich! Alle starrten mich an. Ich schlug mir mit ganzer Kraft auf die Brust, doch davon wurde es auch nicht besser. Schließlich setzte Chris sich neben mich und schlug mir zweimal so fest auf den Rücken, dass ich beinahe von der Liege katapultiert wurde. „Hallo Rotschopf“, er grinste mich an, „tja, Wiedersehen macht Freude, was? Du brauchst vor Schreck nicht gleich zu ersticken.“ Er war offensichtlich immer noch der alte Sprücheklopfer. Hechelnd kam ich wieder zu Atem, meine Augen tränten. Chris hob erneut die Hand zum Schlag. „Soll ich noch mal?“, fragte er bereitwillig.
Abwehrend hob ich die Hände. „Um Gottes willen, nein ... du brichst mir noch alle Knochen.“ Ich wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht herum und atmete ein paarmal