Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell
einem Jahr noch eine Platzwunde gewesen war, die er sich in jener Nacht zugezogen hatte, als er bei mir schlief. Er war irgendwie dünner geworden, gleichzeitig aber auch muskulöser. Unter seinem dünnen schwarzen Unterhemd zeichneten sich deutlich Bauch- und Brustmuskulatur ab, seine braun gebrannten Unterarme waren sehnig und sahen aus, als könnten sie ordentlich Gewichte stemmen. Sein Gesicht war schmaler geworden, wirkte nun noch kantiger, härter. Durch das raspelkurze Haar sah er ganz anders aus, noch mehr wie der Bad Boy, der er tatsächlich war. Irgendwie auch wie ein Drogendealer. Im Stillen trauerte ich seinen Locken nach. Die hatten ihn wenigstens ein bisschen verschmitzt aussehen lassen, mit dieser Kurzhaarfrisur wirkte er strenger, fast gefährlich. Hatte er sich das Haar schneiden lassen müssen, weil er modelte?
Die vollen Lippen und die schmale Nase sowie seine traumhaften braunen Augen, die bei genauerem Hinsehen an Schokopralinen erinnerten, waren unverändert. Er sah gut aus, keine Frage. Wenn auch anders als noch vor einem Jahr. Ob sich auch sein Charakter verändert hatte? Nun, selbstbewusst war er nach wie vor und ein wenig selbstverliebt, wie mir schien. Aber immerhin hatte er mich nicht ignoriert, was wohl zeigte, dass er kein kompletter Vollidiot war.
„Ich weiß, das klingt jetzt echt komisch, Rotschopf, aber ich bin nicht zu meinem Vergnügen hier“, berichtete er.
„Ach“, machte ich, zog eine Braue hoch und nickte in Richtung des Mädchens, mit dem er gekommen war und das von allen möglichen und unmöglichen Typen lüstern angeschmachtet wurde. Ein Wunder, dass keinem von ihnen der Sabber runterlief. „Nicht zum Vergnügen, ja?“
Chris war meinem Blick gefolgt und grinste nur selbstzufrieden. Die Tatsache, dass alle anderen seine Freundin angafften, schien ihn nicht weiter zu stören, ganz im Gegenteil, es schien ihm sogar zu gefallen. Es erfüllte ihn wohl mit Stolz, dass so viele andere Kerle scharf auf sein Mädchen waren. Sollte einer mal die Männer verstehen. Quasi unmöglich. Ich könnte nicht so locker bleiben, wenn Horden von Mädchen meinen Freund anmachen würden.
Aber Christopher schien sich seiner Sache ziemlich sicher zu sein, schenkte seiner Begleiterin ein strahlendes Lächeln und wandte sich wieder mir zu. „Ach, Elena? Sie ist sozusagen meine Kollegin, wir modeln zusammen.“
Fast fiel mir erneut die Kinnlade runter. Model. Klar. Was auch sonst?
Ich fühlte mich zunehmend unbehaglich, fragte mich, warum er hier so seelenruhig neben mir sitzen konnte, während seine zauberhafte Freundin, ein Model, von den anderen männlichen Anwesenden, egal, ob mit oder ohne Freundin an der Seite, geradezu mit den Augen ausgezogen wurde. Manche sahen aus, als würden sie gleich in ihren Hosen kommen, und ich fragte mich verzagt, warum Männer bloß so triebgesteuert waren. War es Timo auch so ergangen? Hatte er ein hübsches Mädchen in einer deutschen Großstadt gesehen und daraufhin einen Ständer bekommen? Gott, ich durfte gar nicht drüber nachdenken, sonst wurde mir schlecht.
„Sie ist hinreißend, oder?“ Chris klang richtig stolz.
„Wer?“, fragte ich dümmlich.
Er rollte mit den Augen. „Wer wohl? Elena natürlich.“
„Ja ... äh ...“ Nervös trank ich noch einen Schluck von meinem Cocktail, bemüht darum, mich diesmal nicht zu verschlucken. „Ja. Toller Fang, gratuliere.“
„Danke.“ Er scharte mit seinem Fuß im Sand herum und ich war mir sicher, dass er nun zurück zu ihr wollte. Nicht etwa, weil er Angst hatte, jemand könnte sie ihm wegnehmen, sondern weil es ihm hier mit mir zu langweilig wurde. Obwohl ich einerseits nicht wollte, dass er ging, hatte ich andererseits das kaum zu unterdrückende Bedürfnis, auf der Stelle das Weite zu suchen.
„Du modelst jetzt also“, brachte ich nach einigen Minuten des peinlichen Schweigens heraus.
„Hm, ja“, er fuhr sich durchs Haar, „so sieht’s aus.“
„Wie kam’s denn dazu?“
„Ach“, er versuchte, locker abzuwinken, doch an seinem Lächeln erkannte ich, dass er sich einiges darauf einbildete, „ich wurde entdeckt. Quasi.“
„Aha. Quasi“, wiederholte ich verständnislos und trank noch einen Schluck. Ich schmeckte nichts, meine Zunge war wie gelähmt. „Wie wird man denn quasi entdeckt?“
„Hm, tja.“ Er zupfte an einem Silberkettchen herum, das er ums Handgelenk trug, und blickte zu Boden, die Arme hatte er auf den Unterschenkeln aufgestützt. Das alles kam mir so unwirklich vor. „Ich war shoppen. In Berlin, da wohn ich jetzt, weißte. Da kam plötzlich so ’ne Frau auf mich zu, ’ne richtig scharfe Blondine, die mir mitteilte, sie würde in einer Werbeagentur arbeiten und wäre gerade auf der Suche nach einem männlichen Model für ’ne Duschgelwerbung. Tja, sie meinte, sie hätte auf den ersten Blick erkannt, dass ich wie geschaffen dafür sei. Ich hätte den perfekten Körper und das perfekte Gesicht.“
Er grinste ekelhaft selbstverliebt und ich konnte mir nicht verkneifen, sarkastisch zu bemerken: „Tja, ein Wunder, dass sie nicht in Ohnmacht gefallen ist beim Anblick von so viel Perfektion, du Adonis.“ Ich hatte das nicht so schroff sagen wollen, aber irgendwie nervte mich dieses arrogante Grinsen. Der Typ meinte wirklich, er wäre supertoll. Ich musste ihn einfach ein bisschen ausbremsen.
Chris nahm es, wie nicht anders zu erwarten gewesen war, gar nicht ernst, sondern lachte nur feixend. „Es gibt genug Mädels, die meinetwegen ohnmächtig werden, glaub mir. Na ja, da muss man durch, wenn man modelt.“ Er sagte das, als gäbe es nichts Schlimmeres, als mit gutem Aussehen reihenweise Mädchen in die Ohnmacht zu treiben. „Jedenfalls bin ich mittlerweile ’ne ziemlich große Nummer in Deutschland, das Ganze geht jetzt circa fünf Monate. Seit einer knappen Woche bin ich hier, weil ich bei ein paar Castings mitgemacht hab, und nächste Woche hab ich noch mal eins.“
„Ach“, sagte ich interessiert. „Und? Wie lief’s bisher? Wurdest du gebucht?“
„Nee, ich sah denen einfach zu gut aus“, behauptete Chris cool und unberührt wie immer und setzte sich, wenn überhaupt möglich, noch breitbeiniger hin. Er fuhr sich erneut durchs Haar und schien sich zu wundern, dass er nur noch kurze Strähnen zu fassen bekam, so als hätte er kurzzeitig vergessen, dass er eine neue Frisur hatte. Dann grinste er mich breit an und erklärte: „Aber nächste Woche werde ich alle umhauen, den Job will ich, das hab ich mir fest vorgenommen.“
„Worum ging’s denn in den bisherigen Castings so?“, fragte ich neugierig.
Kurz sah es so aus, als würde sich Chris’ Miene verdüstern, doch schließlich gab er mir eine Antwort: „Ach, nur um so ’ne Fotostrecke für Modemagazine, das war eh nicht so wichtig. Nächste Woche geht’s ums Ganze, ein Sportmagazin sucht einen Mann für ’ne Fotostrecke, es soll ums Surfen und Segeln gehen.“
„Ach.“ Ich guckte überrascht. „Kannst du denn surfen? Oder segeln?“
„Klar.“ Er räusperte sich und fügte kleinlaut hinzu: „Kann ja nicht so schwer sein.“
„Aber Chris“, ich lachte ihn aus, „meinst du nicht, die Leute von dem Magazin hätten lieber jemanden, der diese Sportarten beherrscht? Ich meine, was sollen sie denn fotografieren, wenn du dich nicht mal zwei Sekunden lang auf einem Surfbrett halten kannst und keine Ahnung hast, wie man ein Segel hisst?“
Nun klang er gereizt: „Also, wenn so ein unterbelichteter Schwachkopf wie dein Freund das hinkriegt, kann ich das schon lange. Außerdem geht’s gar nicht so sehr ums Talent. Schau dir doch mal meinen Body an.“ Er stand doch tatsächlich auf und deutete auf seinen Oberkörper, hob sogar das Unterhemd leicht an. Ein paar Mädels quiekten begeistert.
„Denkst du, das reicht?“, zweifelte ich. Aggressiv funkelte er mich an. In meinem Kopf dröhnten noch immer seine Worte. Schließlich fragte ich: „Wie kommst du darauf, dass Timo surfen kann?“
„Ach“, er machte eine rüde Geste, „warum sollte er sonst so ’ne bescheuerte Surferfrisur tragen? Er ist der typische Wellenreitertyp. Kein Mensch legt sich so ’nen Topfschnitt zu, wenn er nicht damit prahlen will, dass er surft.“
Das,