Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell

Seit ich dich kenne ... - Jascha Alena Nell


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Südafrika, meine tolle Zeit dort, all die Erinnerungen und weinte ein bisschen, weil ich gerade eben sehr emotional war. Ich weinte, weil ich Südafrika vermisste, weil ich Tayo und all meine anderen Freunde vermisste, weil Timo und ich uns wahrscheinlich trennen würden, weil Kim nach Bayreuth zog, weil Chris und ich uns gestritten und einander beleidigt hatten. Und ich weinte, weil alles mal zu Ende ging, egal, wie schön es war, und egal, wie sehr man sich wünschte, es würde für immer bleiben.

      Ich schluchzte leise und sah zurück aufs Meer. Die Wellen schlugen schäumend an den Strand, umspülten meine Füße und ich dachte, dass manche Dinge doch für immer blieben. Ebbe und Flut zum Beispiel. Es gab sie seit Anbeginn der Zeit und es würde immer so sein. Irgendwie tröstlich. Kim und ich würden für immer beste Freundinnen bleiben, da war ich mir sicher. Egal, wo sie war oder wo ich war. Ich würde meine Eltern immer lieben und sie mich. Und Timo und ich würden uns immer irgendwie nah sein, weil wir eine gemeinsame Geschichte hatten. Weil er meine erste große Liebe gewesen war.

      Ging es nicht vielleicht auch darum ‒ dass man sich an das erinnerte, was man gehabt hatte, nicht traurig und verzweifelt, weil es vorbei war, sondern froh und dankbar, weil man es hatte erleben dürfen? Die Vergangenheit konnte uns keiner mehr nehmen, die Erinnerungen gehörten für immer uns. Sie konnten uns halten, trösten, beschützen, zum Lächeln bringen, wenn die Gegenwart keinen Grund zum Lächeln bot.

      Waren es nicht auch die Menschen unserer Vergangenheit, die uns prägten, die uns zu dem machten, der wir schlussendlich waren? Und es waren Abschiede, die uns stärker machten, uns reifen ließen. Klar, alles war vergänglich, aber Erinnerungen währten für immer. Sie waren unendlich wertvoll. Wir sollten nie aufhören, neue Erfahrungen zu sammeln, neue Menschen kennenzulernen aus Angst, sie eines Tages wieder zu verlieren. Denn darum ging es im Leben: ums Weitermachen. Darum, etwas zu riskieren, mutig zu sein, dem Gefühl zu vertrauen, nicht immer nur dem Verstand. Nicht immer vernünftig zu sein.

      „Hey, Rotschopf. Darf ich mich setzen?“

      Noch ehe ich Zeit hatte, mich von dem Schreck zu erholen, ließ Chris, der mich kurz an der Schulter berührt hatte, sich neben mir nieder und sah hinaus aufs Meer. Nach wie vor spritzten die Wellen mit weißen Schaumkronen an den Strand und sickerten in den weichen Sand. Minutenlang hockten wir stumm nebeneinander, keiner wagte es, überhaupt richtig zu atmen.

      Dann sagten wir beide gleichzeitig: „Tut mir leid wegen vorhin ...“ Ich stockte, er stockte und wir kicherten beide hysterisch los und kriegten uns gar nicht mehr ein.

      Nach minutenlangem Gegacker beruhigte ich mich allmählich, wischte mir verstohlen die Tränen vom Gesicht und hoffte, dass die Dunkelheit mein total verquollenes Gesicht kaschierte.

      „Also, noch mal“, begann Chris mit ungewöhnlich sanfter Stimme, „es tut mir leid wegen vorhin. Ich hab da ein paar Sachen gesagt, die nicht in Ordnung waren. Sorry, echt, ich wollte dich nicht verletzen. Ich bin halt nach wie vor ein Arschloch.“

      Ich musste lachen, es klang allerdings mehr wie ein zittriges Schluchzen. Beschämt hielt ich mir eine Hand vor den Mund und versuchte, mich wieder zu fangen. Chris musterte mich besorgt, schien über irgendwas nachzugrübeln, ehe er mir schließlich die Hand auf die Schulter legte, woraufhin mein Herz einen aufgeregten Hüpfer machte.

      „Edda“, sagte er beschwichtigend, „es ist doch alles wieder okay, oder? Ich hab mich entschuldigt und ich hab das auch ernst gemeint, ehrlich.“

      „Ich weiß, ich ... ist schon okay, Chris.“ Ich atmete zittrig ein und beruhigte mich so weit, dass ich mit normaler Stimme sprechen konnte: „Also, okay, ich nehme deine Entschuldigung an.“

      Er grinste spitzbübisch. „Sehr großzügig von dir. Ich hätte es nicht ertragen, wenn du mir nicht verziehen hättest.“ Er schaffte es tatsächlich, zerknirscht auszusehen.

      Ein echtes Lachen entfleuchte mir, diesmal eindeutig kein Weinen. Ich schätzte, nun war ich an der Reihe, vor ihm zu Kreuze zu kriechen. Seine Hand lag noch immer auf meiner Schulter, die angenehm kribbelte, eine behagliche Wärme breitete sich von dort in meinem ganzen Körper aus.

      Ich beschloss, ihn nicht daran zu erinnern, dass ich keinen Trost mehr brauchte, räusperte mich und verkündete: „Tja, ich schätze, dann bin jetzt wohl ich an der Reihe. Also, ich möchte mich auch bei dir entschuldigen, Chris. Das, was ich gesagt hab, hab ich nicht so gemeint. Ich meine die Sache mit dem Model-Klischee und dass du es voll erfüllst ... das war natürlich Schwachsinn. Du bist weder dumm noch affig. Und es ist nicht so schlimm, dass du weder surfen noch segeln kannst.“

      „Das kann ich lernen“, ergänzte Chris gut gelaunt und zog nun leider doch seine Hand zurück, stattdessen legte er sie in seinen Schoß. „Das ist im Übrigen die Antwort auf alles im Leben, Edda: Ich kann’s lernen. Schluss mit der Ausrede: Das kann ich nicht. Denn man kann alles lernen.“

      „Sehr weise“, meinte ich ehrlich beeindruckt und hoffte, dass er es nicht als Ironie missverstand.

      Chris zuckte die Achseln. „Tja, man lernt so einiges, wenn man in der Welt unterwegs ist, weißt du.“ In der Welt unterwegs ... das hörte sich schön an.

      „Wieso, wo warst du denn so unterwegs?“, wollte ich neugierig wissen.

      „Na ja.“ Er rieb sich den Nacken, das war, wie ich mittlerweile erkannt hatte, ein Zeichen dafür, dass er etwas verlegen oder beschämt war. „Bisher hauptsächlich in Deutschland, leider. Ich bin aber fest entschlossen, den internationalen Weg einzuschlagen, weißt du. Anfangs war ich nur das Werbegesicht der Kampagnen von ein und derselben Werbeagentur, aber mittlerweile hat sich das geändert. Also, ich habe jetzt einen Manager und eine Agentur und starte so richtig durch. Das bisher war nur der Anfang, weißt du. Mit Joachim, das ist mein Manager, hab ich die Chance, es ganz weit zu bringen. Er meinte, ich wäre sowohl für Commercial geeignet als auch für Editorial. Kurzum, ich bin sowohl in der Lage, mich vielseitig zu zeigen und mich zu wandeln, als auch, mich zu verkaufen. Ich hab’s einfach drauf!“ Er grinste verwegen.

      Ich musste ebenfalls lächeln. „Wie gut, dass du bei all deinem Talent so gar nicht eingebildet geworden bist“, meinte ich amüsiert.

      Chris zuckte die Achseln. „Eingebildet war ich schon immer, es ist nur noch schlimmer geworden“, scherzte er unbekümmert.

      Tja, diese Charaktereigenschaft war wohl nicht mehr wegzudenken. Und irgendwie passte dieses leicht Überhebliche auch zu ihm.

      „Na ja, ich hatte mal einen kleinen Auftritt in der Schweiz, bei einer Fotostrecke für Pralinen, das war ziemlich cool. Da ging’s heiß her zwischen den Ladys und mir. Beinahe hätte der Regisseur vergessen, die Praline mit ins Spiel zu bringen.“ Minutenlang saß Chris gedankenverloren da, ehe er mit rauer Stimme weitersprach: „Das hier in Barcelona ist meine erste richtig große Chance, Rotschopf. Und ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich diesen Job will. Und was für einen Schiss ich hab, dass ich’s vermassle.“

      Wow, so viel Kampfgeist hätte ich ihm gar nicht zugetraut. In der Schule hatte er immer den Eindruck erweckt, ihm wäre alles scheißegal. Das Modeln musste ihm wirklich wichtig sein. Ich wusste, dass es nicht einfach war, in diesem Business Fuß zu fassen, und dass gutes Aussehen allein bei Weitem nicht ausreichte. Ich drückte Chris beide Daumen, dass er den Sprung schaffen würde. Es war schön, dass er etwas gefunden hatte, das ihm Spaß machte, ihn ausfüllte, etwas, in dem er gut war.

      „Ich beneide dich richtig“, teilte ich ihm mit, „es muss schön sein, wenn man weiß, was man mit seiner Zukunft anfangen möchte, wenn man einen bestimmten Weg eingeschlagen hat und den dann auch geht.“

      „Hm, ja“, sagte Chris vorsichtig, „aber ich glaub nicht, dass ich für immer Model sein werde. Wenn man älter wird, ist man ganz schnell raus aus dem Geschäft, weißt du. Keiner will faltige Opis in der Werbung sehen. Ich werde einfach in jungen Jahren so viel Kohle wie möglich machen, damit ich mich anschließend zur Ruhe setzen und mein Leben genießen kann. So lautet bisher der Plan.“ Er sah mich von der Seite an. „Wie sieht deiner aus, Miss Einserabschluss, irgendwelche konkreten Pläne in Sicht? Willst du die Weltherrschaft an dich reißen,


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