Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell
mich ungläubig und ich beschloss, dass Angriff immer noch die beste Verteidigung war. „Sag mal, geht’s noch, was geht denn dich das an?“, blaffte ich und hoffte, dass ihm das leichte Zittern in meiner Stimme nicht auffiel.
Chris zuckte locker die Achseln. „Nichts, schätze ich. Hat mich einfach interessiert, mehr nicht. Ist ja auch nichts dabei. Wenn du willst, erzähle ich dir, mit wie vielen Mädchen ich schon Sex hatte.“
„Ach herrje“, lehnte ich dankend ab, „da brauchen wir ja zwei Jahre, bis du die alle aufgelistet hast. Ich verzichte lieber. Um ehrlich zu sein, bin ich doch ein bisschen müde, passiert mir immer, wenn ich zu lange aufs Wasser schaue.“ Ich gähnte demonstrativ.
Chris grinste blöde. „Du willst dich drücken, hm? Du prüdes Hühnchen.“
Für diesen Spruch bekam er erneut einen harten Fausthieb gegen den Oberarm, diesmal verzog er immerhin das Gesicht, rieb sich die schmerzende Stelle und zog mich nicht auf.
„Ich bin nicht prüde, Waldoff, nur weil ich mein Sexleben nicht hier vor dir ausbreite.“ Mein nicht vorhandenes Sexleben, wohl bemerkt ... „Im Übrigen gehe ich jetzt in die Heia, ich bin hundemüde. Gute Nacht.“ Ich stand auf, klopfte mir den Sand vom Hintern und fragte mich, ob ich gerade ernsthaft gesagt hätte, ich würde in die Heia gehen. Gott im Himmel, ging es noch peinlicher?
„Hey, Rotschopf, jetzt renn nicht gleich weg. Ganz im Ernst, ich find’s cool, dass du noch mit deinem Schultütenfreund gehst, echt. Ist ziemlich ungewöhnlich. Die meisten Mädels in deinem Alter lassen’s ordentlich krachen, weißt du.“ Er sah mich nachdenklich an, so als würde er überlegen, ob mit mir vielleicht was nicht stimmte. Dann lächelte er. „Aber du bist eben kein leichtes Mädchen, das finde ich gut. Gib dich nicht für jeden Kerl her, das hast du nicht nötig. Doch wenn du’s genau wissen willst, ich bin der Meinung, dass du diesen komischen Surferkauz in den Wind schießen solltest, Rotschopf. Der passt nicht zu dir.“
„Vielen Dank für diese kostenlose Beziehungsanalyse“, entgegnete ich, halb belustigt, halb genervt, weil er sich einmischte, obwohl er weder Timo noch mich richtig kannte. Aber manchmal hatten Außenstehende einen ganz anderen Blick auf bestimmte Situationen.
„Im Ernst, du bist noch so jung. Und du siehst ganz passabel aus. Du solltest mal deine Fühler ausstrecken und auch anderen Jungs eine Chance geben, Rotschopf. Ich glaube jedenfalls nicht, dass dein sauberer Freund ein ganzes Jahr lang abstinent war.“
Obwohl ich genau das auch nicht glaubte, fühlte ich mich angegriffen und wollte Timo in Schutz nehmen. „Du wirst es nicht für möglich halten, Waldoff, aber es soll Männer geben, die ihre Freundinnen so sehr lieben, dass sie ihnen treu bleiben“, blaffte ich. „Aber klar, du kannst dir das wohl nicht vorstellen.“
Chris blieb unbeeindruckt. „Du brauchst nicht gleich grantig zu werden, Rotschopf. Das war lediglich meine Meinung.“
„Also, erstens interessiert mich deine Meinung einen Scheiß!“, rief ich aufbrausend. „Und zweitens: Nenn mich nicht ständig Rotschopf, Himmel noch mal, ich heiße Edda!“
„Und drittens?“, fragte er ruhig.
„Was, drittens?“, schnauzte ich ihn an.
Er stand ebenfalls auf und klopfte sich die Hose sauber. Das Mondlicht strahlte ihn von hinten an, spiegelte sich auf der Wasseroberfläche, silbriges Licht fiel auf Christopher, erleuchtete ihn und einen absurden Moment lang kam ich mir vor wie die Prinzessin in einem Märchen, die gerade ihren Prinzen gefunden hat. Fehlten nur noch springende Delfine im Hintergrund. Mühsam widerstand ich dem Drang, einen Schritt auf ihn zuzugehen und mich in seinen Augen zu verlieren, wie ich es vor einem Jahr schon mal getan hatte.
„Du hast vorhin gemeint, auf erstens und zweitens folgt immer drittens“, erklärte Chris mit kehliger Stimme und legte den Kopf leicht schräg. „Was ist denn dein Drittens?“
Oh Gott, warum war er mir so nahe? Warum war mir auf einmal so heiß?
Zwischen uns knisterte es, eine zischende Spannung drohte sich jeden Augenblick zwischen uns zu entladen, ich starrte auf seine Lippen und versuchte verzweifelt, mich zu konzentrieren. „Ganz ruhig, Edda“, dachte ich bei mir, „beherrsch dich. Kontrolliere deine Triebe.“
„Drittens ... gute Nacht“, hauchte ich, riss mich von seinem Anblick los, wirbelte herum und ging im Stechschritt davon.
„Hey, Edda. Edda!“, rief er mir nach und schwer atmend drehte ich mich nach ihm um.
„Was ist?“
Chris sah verlegen zu Boden, scharrte mit dem Fuß im Sand und verschränkte schließlich die Arme vor der Brust. „Mir ist nur gerade eingefallen, dass ich dir noch was schulde. Mindestens einen Drink. Für damals, als ich mit dir ... ich meine, bei dir schlafen durfte. Und, äh, eigentlich sind’s schon zwei Drinks, weil du mir ja vorhin einen ins Gesicht gekippt hast, den du vielleicht gern noch getrunken hättest.“ Er zuckte gespielt gleichmütig mit den Schultern. „Wenn du morgen, also, ich meine, heute, wenn es hell ist, so gegen Mittag Zeit hättest, würde ich dich einladen.“
Ich traute meinen Ohren kaum. Christopher Waldoff, der selbstverliebte, arrogante Schnösel, der Weiberheld schlechthin, Mr Bad Boy, wollte mit mir, einer spießigen, verklemmten Streberin, ausgehen? Freiwillig zwei Drinks spendieren? Ich kam mir vor wie im falschen Film und fragte mich, ob er mich hier gerade verarschte. War das irgendein Spiel? Oder ein Test, um seine Schauspielqualitäten zu prüfen? Pah, dem würde ich nicht in die Falle gehen!
Ich reckte das Kinn hoch, streckte die Brust raus und erklärte fest: „Nein, danke. Nicht nötig.“
„Sehr wohl nötig“, erwiderte Chris unnachgiebig und schlenderte zu mir herüber. „Ich hasse es, jemandem was zu schulden.“
Das war es also. Er wollte nicht in meiner Schuld stehen. Wäre auch zu schön gewesen, wenn er um meinetwillen Zeit mit mir hätte verbringen wollen.
„Du schuldest mir gar nichts“, seufzte ich resigniert, „du bist ein freier Mensch. Ich spreche dich frei.“ Ich schlug das Kreuzzeichen auf Höhe seiner Stirn.
Chris blinzelte verdutzt, dann lachte er schallend. „Hast du mir gerade die Absolution erteilt?“
Achselzuckend nickte ich. „Yep.“
Lachend schüttelte er den Kopf. „Du hast echt ’nen Knall, Rotschopf“, merkte er fast liebevoll an und ich schluckte den nächsten Satz hinunter.
Eigentlich hatte ich sagen wollen: „Und ich bin nicht so doof, dass ich mich von dir veralbern lasse.“ Aber irgendwie wuchs in mir das zarte Pflänzchen der Hoffnung. Vielleicht war das doch kein Spiel und er wollte mir wirklich einen Drink ausgeben. Oder zwei.
„Also, was ist jetzt?“, fragte Chris quengelig wie ein kleines Kind und ich erkannte, dass er es nicht gewohnt war, wenn eine Frau ihm nicht sofort verfiel.
Ich beschloss, ihn ein bisschen zappeln zu lassen, und lächelte gemein. „Was ist mit Elena?“, wollte ich wissen.
Er sah mich fragend an. „Was soll mit ihr sein?“
„Na ja, ich nehme an, dass es ihr nicht gefallen wird, wenn du dich mit mir verabredest. Oder?“
„Das ist mir egal, ob ihr das gefällt oder nicht“, erwiderte er gleichgültig. „Ich bin schließlich nicht ihr Eigentum.“
„Schon“, gab ich zu, „aber ihr seid doch zusammen, oder?“
„Was heißt zusammen?“ Chris sah mich stirnrunzelnd an. „Wir hatten Sex, das ist alles. Eine nette kleine Nummer zwischendurch, mehr nicht. Ich bin ein freier Mensch und kann tun und lassen, was ich will. Ich finde es blödsinnig, dass du dich durch eine Beziehung so in allem einschränken lässt. Ich meine, der Sex gehört doch zum Leben dazu, wie kannst du freiwillig darauf verzichten?“
Er würde es wohl nie kapieren. Wer sich Hoffnungen in Bezug auf Christopher machte, der hoffte vergebens. Entweder