Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell
Drecksbalg wie dich holt sich jemand freiwillig ins Haus? Nicht mal deine eigene Mutter wollte dich haben, du Tagedieb, du solltest mir dankbar sein, dass ich dich nicht im Waschbecken ersäufe.“
Das hatte gesessen. Ab da versteckte ich meine Wunden noch besser als zuvor, ich begann sogar damit, mir Make-up zu kaufen und die Verletzungen im Gesicht zu überschminken. Als mein Fußballtrainer eines Tages solchen Druck auf mich ausübte, weil er ahnte, dass ich zu Hause misshandelt wurde, dass ich schließlich weinend zusammenbrach, wurde mir klar, dass ich diesem Hobby nicht mehr weiter nachgehen konnte. Ich hatte kurz davor gestanden, Thomas, meinem Trainer, alles zu erzählen. Ab diesem Tag kam ich nie wieder zum Training. Ich drückte ihn weg, wenn er bei uns zu Hause anrief, und erzählte meinem Vater, ich wäre aus dem Team geflogen, weil ich zu schlecht spielte.
Er glaubte mir aufs Wort. „Sogar zu blöd, um einen Ball zu schießen, ich fasse es nicht.“
Im Stillen betete ich zu einem Gott, an den ich nicht mehr glaubte, dass er doch dafür sorgen möge, dass meine Mama kam und mich befreite. Aber sie kam nicht.
Ich wurde erwachsen, größer, stärker, begann irgendwann, mich zu wehren. Die Schläge wurden weniger, hörten schließlich auf. Nur hin und wieder rutschte ihm noch die Hand aus, wenn ich zu frech war, schlechte Noten schrieb oder ihm Geld stahl, um mit einem Mädchen auszugehen. Hin und wieder zog er willkürlich seinen Gürtel aus der Hose und schlug damit nach mir. Wie Peitschenhiebe knallte das Lederband auf mich nieder, und je nachdem, wo es traf, tat es mal mehr, mal weniger weh.
Zu Hause wurde ich behandelt wie Abschaum. Draußen war es anders. In der Schule war ich eine Legende, Chris Waldoff, der Typ, der jedes Mädchen kriegte, der coole Aufreißer, der Macho, der heißeste Typ der Stadt. Ich fand ein paar Kumpel, die bei mir waren, als ich mich das erste Mal besoff und auf die Straße reiherte, die mir meine erste Kippe anzündeten und mir den ersten Joint drehten. Später freundeten wir uns mit Gangmitgliedern an, die uns härteren Stoff und Partypillen verkauften. Meine Mitschüler fanden mich cool oder heiß, je nachdem, welches Geschlecht sie hatten. Selbst wenn Mädchen von meinem Verhalten abgeschreckt waren, durch mein Aussehen gewann ich sie jedes Mal für mich. Ich hätte jede flachlegen können. Ein knappes Lächeln hätte gereicht und ihr Herzchen wäre mir zugeflogen.
Am Anfang fand ich es faszinierend, es verlieh mir ein Gefühl von Macht, reihenweise Mädchenherzen zu brechen. Später, als ich älter und klüger wurde, kapierte ich, dass es besser war, die Finger von den sensiblen Heulsusen zu lassen, die mich als eine Art Projekt ansahen und sich einbildeten, sie könnten mich ändern. Stattdessen hielt ich mich lieber an die Flittchen, die es an der Schule zuhauf gab. Natürlich verhütete ich jedes einzelne Mal, hatte keinen Bock, mir irgendwas einzufangen.
Ich klaute, mal, weil es eine Mutprobe war, mal, weil die anderen mich dazu anstachelten. Damals war mir scheißegal, was mit mir passierte, wenn ich erwischt wurde. Die Gefahr, in den Knast zu wandern, erschien mir wie ein Witz angesichts der Gefahr, der ich tagtäglich ausgeliefert war, wenn ich zu meinem Alten zurückkehrte.
Es hatte eine Zeit gegeben, da interessierte mich gar nichts. Ich war ein gleichgültiges, ignorantes, arrogantes Arschloch. Es war mir egal, ob ich andere verletzte. Es war mir egal, ob ich mir meine Zukunft verbaute mit den dummen Aktionen, die ich brachte. Mir war alles egal. Ich war mir selbst egal. Es war mir egal, ob ich lebte oder starb. In meinem Inneren war alles tot, keine Gefühle weit und breit. Ich hatte gedacht, mein Vater hätte gewonnen. Er hätte mich gebrochen. Ich wäre schwach. Ein Versager.
Dann änderte sich alles. Um ein Haar wurde ich beim Klauen erwischt und Marvin rettete mir den Arsch. Seit diesem Tag war er mein bester Freund. Ich trank nicht mehr so viel, Marvin nahm mir sämtliche Drogen weg. Anfangs war es echt hart, ich war auf Entzug, mir ging es beschissen. Ich konnte nicht schlafen, nicht essen, nicht denken, schwitzte, fantasierte, übergab mich öfter, als es für einen Menschen gesund sein konnte. Marvin war für mich da. Marvin und ein Haufen anderer Leute. Sie kämpften um mich, als wäre ich einer von ihnen, was dazu führte, dass ich einer von ihnen wurde. Noch wichtiger war, dass ich wieder ich selbst wurde. Ich erkannte, dass mein Vater es nicht wert war. Er war es nicht wert, dass ich mich aufgab. Kein Mensch auf der Welt war es wert, dass ich mich aufgab. Ich lebte für mich, für niemanden sonst.
Ich schaffte den Entzug. Ich wurde clean. Weil ich Freunde hatte. Meine Freunde wurden meine Familie.
Ich nahm Abstand von dem richtig harten Zeug, rauchte nur noch selten Gras, hörte eine Weile auf zu trinken. Die Erinnerung daran, wie scheiße es mir mal gegangen war, wirkte heilend.
So verstrich die Zeit, ich lebte mein Leben, pflegte meinen schlechten Ruf und hatte meinen Spaß, auch wenn ich dafür hin und wieder eine Ohrfeige von Papa bekam. Ich prügelte mich auch mit anderen Jungs unverhältnismäßig oft, wenn ich meine Aggressionen nicht mehr unter Kontrolle hatte und die Wut darüber, wie mein Alter mich behandelte, an jemandem auslassen musste. Ich wusste, dass es falsch war, und ich arbeitete hart an meiner Selbstkontrolle, wollte mich nicht mehr so leicht provozieren lassen.
Heutzutage hatte ich mich ganz gut im Griff. Mittlerweile hatte ich begriffen, dass Gewalt keine Probleme löste, sondern nur neue entstehen ließ, und ich fand einen Ausgleich, indem ich Sport trieb. Ich spielte wieder Fußball, wenn auch nur höchst amateurhaft. Ich perfektionierte meine Skatekünste. Und ich hatte angefangen zu joggen, das war eine Empfehlung meines Personal Trainers gewesen, Volker, der meinte, ich müsse unbedingt meine Fitness und meine Ausdauer trainieren. Ja, es war kein Witz, ich hatte sogar einen Personal Trainer. Und einen Ernährungsberater. Und natürlich Joachim, der mich anspornte und meine Karriere vorantrieb, als wäre es seine eigene. Es war ein Glück, dass er mich entdeckt hatte.
Nachdem ich für Frau Hartmanns Werbeagentur den Duschwerbespot abgedreht hatte, in dem ich, bei aller Bescheidenheit, aussah wie ein junger Gott, bat die Chefin des Unternehmens mich, mich für einige weitere Kampagnen zur Verfügung zu halten. Ich sagte zu. Das Drehen des Spots hatte mir großen Spaß gemacht. Ich hatte nichts weiter tun müssen, als zu duschen, dabei den Anweisungen des Filmteams zu folgen und mich dementsprechend zu bewegen.
Frau Hartmann waren um ein Haar die Augen aus dem Kopf gesprungen, als ich mich ohne viel Federlesen splitternackt ausgezogen hatte und in die Dusche gestiegen war. Der Regisseur war begeistert gewesen, ebenso sämtliche andere Mitarbeiter, vor allem aber die Kunden, die den Werbespot in Auftrag gegeben hatten und mit deren Duschgel ich mich eingeseift hatte. Es hatte köstlich gerochen, nach exotischen Früchten, ich hatte mich gefühlt, als befände ich mich auf einer einsamen Insel. Außerdem machte es die Haut weich und geschmeidig. Ich benutzte es bis heute, auch jetzt gerade.
Ich fühlte mich vor der Kamera vom ersten Moment an wohl, hatte kein Problem damit, mich vor aller Welt nackt zu zeigen. Ich wollte mich nicht verstecken, sondern war bereit, alles zu zeigen, was ich zu bieten hatte.
„Er ist jung, er ist neu und unverbraucht, sexy, dynamisch, auffallend gut aussehend und verfügt über ein gesundes Selbstbewusstsein“, meinte Alina Mahler, die Geschäftsführerin der Werbeagentur, und sah mich an, als wäre ich ihr größter Schatz. „Lola, großes Lob an dich, du hast uns einen wirklich dicken Fisch gefangen.“
Frau Hartmann, die mit Vornamen Lola hieß, strahlte übers ganze Gesicht, umarmte mich überschwänglich und nötigte mich dazu, mit ihr etwas trinken zu gehen. Im weiteren Verlauf des Abends versuchte sie, mich dazu zu überreden, mit ihr ins Bett zu steigen. Sie war ziemlich dicht, schließlich rief ich ihr ein Taxi und lief selbst nach Hause, die kühle Nachtluft half mir, wieder klarer im Kopf zu werden und zu realisieren, dass das alles wirklich passierte. Ich hatte heute gemodelt und in den nächsten Wochen würde dieser Werbespot im Fernsehen zu sehen sein. Ich konnte es kaum erwarten.
Drei Wochen später war es so weit. Marvin und ich ließen den Fernseher neuerdings konsequent laufen und schissen auf die Stromrechnung, Hauptsache, wir verpassten nicht den Werbespot. In der Werbepause eines langweiligen Fußballspiels flimmerte ich dann tatsächlich über den Bildschirm. Gut, man sah nicht wirklich viel von meinem knackigen Po, da er vielleicht zwei Sekunden lang im Fokus stand, aber der Rest meines Körpers, meine langen, kräftigen Beine, die muskulöse Brust, die trainierten Oberarme und vor allem mein