Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell
ihm Vergnügen bereitete und eben zum Leben dazugehörte.
„Sag mal, hast du schon darüber nachgedacht, ob du vielleicht sexsüchtig bist?“, fragte ich etwas bissig und verschränkte die Arme vor der Brust. Allmählich wurde es frisch und ich wollte ins Bett. Mittlerweile war ich tatsächlich müde.
„Nö. Ich verbringe die Zeit lieber damit, über Sex nachzudenken“, entgegnete Chris ernsthaft. „Macht mehr Spaß. Wie auch immer, es geht nicht um Sex zwischen uns beiden, Rotschopf, daran bin ich wirklich nicht interessiert.“
„Ich auch nicht“, warf ich schnell ein, spürte aber, wie meine Ohren glühten und die Enttäuschung und Verärgerung über diesen Spruch in mir hochkrochen. Blödes Arschgesicht, dachte wohl, er wäre supertoll.
„Na, dann hätten wir das ja geklärt. Also, darf ich dich auf ’nen Drink einladen? Oder auch zwei?“ Abwartend sah er mich an und schien fest damit zu rechnen, dass ich zusagte.
Es war auch ein wirklich verlockendes Angebot und mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich es annehmen und mich nicht so dämlich anstellen sollte. Warum misstraute ich Chris eigentlich so sehr? Klar, er hatte keinen sonderlich guten Ruf, aber mir gegenüber hatte er sich stets korrekt verhalten. Ich hatte keinen Grund, ihm irgendwelche schlechten Absichten zu unterstellen. Außerdem machte es Spaß, mit ihm zu reden, ja, ich würde fast sagen, dass eine Unterhaltung mit ihm lehrreich war, dass er hin und wieder sogar intelligente Sachen von sich gab und eine Lebensphilosophie hatte, von der ich mir mal eine Scheibe abschneiden könnte. Er nahm das Leben nicht wirklich ernst, lebte in den Tag hinein und machte einfach sein Ding, ohne sich groß darum zu sorgen, ob es glatt laufen würde.
„Na schön“, gab ich klein bei. „Aber eins sage ich dir, Waldoff, wenn du mich morgen sitzen lässt, reiße ich dir den Arsch auf.“
Er amüsierte sich köstlich über diese Vorstellung, machte einen Schritt auf mich zu und klopfte mir kumpelhaft auf die Schulter. „Klingt nur fair. Was hältst du davon, wenn wir uns um halb eins im Amigo treffen, das ist nicht weit von hier, die Metro fährt direkt hin.“
„Ich weiß“, entgegnete ich trocken, „ich war da auch schon essen. Letzte Woche. Ziemlich feiner Laden.“
Er zuckte die Achseln. „Die haben die besten Tapas in der ganzen Stadt, darauf verwette ich meinen Hintern.“
„Lieber nicht“, ich musste schmunzeln, „der ist doch quasi dein Grundkapital.“
„Ja.“ Er musste lachen, ein echtes, belustigtes Lachen. „Richtig. Also, Deal? Halb eins im Amigo?“
„Deal.“ Ich ergriff seine Hand, die er mir hinhielt, und schlug ein. „Halb eins und keine Minute später. Sonst bin ich weg und rede nie wieder ein Wort mit dir, Waldoff.“
Gespielt entsetzt riss er die Augen auf. „Das wäre natürlich fatal, das darf ich nicht riskieren.“
„Genau“, stimmte ich zu. „Also dann ... Nacht.“
„Gute Nacht, Rotschopf. Schlaf gut.“
„Du auch.“ Ich zögerte kurz, rieb mir die Nase. „Sag mal, du bist nicht zufällig in der gleichen Jugendherberge wie ich, oder? Gleich da drüben?“ Ich zeigte mit dem Finger in jene Richtung.
Chris lachte mich nur aus. „Jugendherberge? Nee, ich bin hier doch nicht auf Klassenfahrt. Ich penne in ’nem Fünfsternehotel in der Innenstadt. Ziemlich edel.“
„Wie schön für dich“, erwiderte ich grummelnd. Überheblicher Fatzke! Manchmal ging er mir mit seinen Starallüren gewaltig auf den Keks. Nichtsdestotrotz würde ich morgen mit ihm treffen ... zum Mittagessen. Es war also nicht mal ein Date. Auf keinen Fall. Ein Mittagessen war nie ein Date. Außerdem hatte ich keine Dates mit Männern wie ihm. Um genau zu sein, hatte ich noch nie eine Verabredung mit einem Mann gehabt, zumindest keine richtige. Timo und ich hatten uns als Freunde ineinander verliebt, was hieß, dass wir nie klassisch miteinander ausgegangen waren. Es hatte uns einfach überrollt, war passiert, während wir freundschaftliche Ausflüge unternahmen, und irgendwann waren wir eben mehr als Freunde. Aber außer dass wir uns küssten und miteinander schliefen oder Händchen hielten, hatte sich eigentlich nichts verändert. Wir verbrachten ebenso viel Zeit miteinander wie vor der Beziehung und wir trafen uns oft mit unseren gemeinsamen Freunden.
„Also, ich werde dann mal aufbrechen“, verkündete Chris und nickte mir zum Abschied zu. „Bis dann, Ed.“
„Ed?“ Ich hob eine Braue. „Ist das dein neuer Spitzname für mich?“
„Ich kann dich auch weiterhin Rotschopf nennen, wenn dir das lieber ist“, meinte er fröhlich.
Kopfschüttelnd sah ich ihn an. „Was hast du denn gegen den Namen Edda, hm? Gefällt er dir nicht?“
„Oh doch, sehr.“ Chris lächelte offen. „Aber Ed gefällt mir auch. Nicht ganz so sehr wie Rotschopf, aber nah dran.“
„Na, von mir aus. Dann also Ed.“ Ich seufzte ergeben. „Tschüss, Chris.“
„Mach’s gut, Ed.“ Er zwinkerte mir zu, dann machte er sich davon.
Ich musste in die entgegengesetzte Richtung und sah ihm nach, bis er aus meinem Blickfeld verschwunden war. Ein wenig ärgerte ich mich darüber, dass er sich weder nach mir umdrehte, noch darauf bestanden hatte, mich zur Jugendherberge zu bringen. Es war ihm nicht mal in den Sinn gekommen zu fragen. Aber warum wunderte mich das? Chris war eben kein Gentleman. Benimmregeln suchte man bei ihm vergebens. Aber morgen würden wir uns zum Mittagessen treffen. Und wer wusste, was noch alles passieren würde. Vielleicht wurden wir sogar richtig dicke Freunde oder so was in der Art. Es war schon ein lustiger Zufall, dass wir uns in Barcelona wieder über den Weg gelaufen waren, ausgerechnet hier ...
Eigentlich glaubte ich nicht an Zufälle. Möglicherweise war es Schicksal gewesen?
Mit einem Mal hatte ich richtig gute Laune, mitten in der Nacht. Ich schlüpfte in meine Flipflops und hopste zurück zur Jugendherberge. Dabei pochte mein Herz aufgeregt in meiner Brust und ich war von Vorfreude erfüllt.
***
Chris:Ich hatte so was von verschlafen. Warum hatte ich mir auch keinen Wecker gestellt? Ich war sicher gewesen, von allein aufzuwachen, wegen der inneren Uhr und so, aber wie sich herausstellte, hatte ich mich etwas überschätzt.
Ich erwachte um Viertel nach zwölf, hatte einen ziemlichen Brummschädel vom gestrigen Abend und brauchte etwa zehn Minuten, um mich daran zu erinnern, was alles passiert war. Ich hatte mit Elena vom Shooting tags zuvor herumgealbert, hatte am Strand mit ihr geschlafen, ihr anschließend in einer Strandbar einen Drink spendiert und ... richtig, dann hatte ich Edda wiedergetroffen. Ich hatte, warum auch immer, darauf bestanden, mit ihr was trinken zu gehen. Um halb eins. Das war in fünf Minuten.
„Oh, fuck!“
Ich hechtete aus dem Bett, stöhnte, weil mein Schädel zu explodieren drohte, und schnappte mir mein klingelndes Handy, das mich, dem Himmel sei Dank, aus dem Tiefschlaf gerissen hatte. Mit zusammengekniffenen Augen und dröhnendem Schädel ging ich ran, während ich in Richtung Badezimmer taumelte. „Hallo?“
„Chris, Alter, du musst mir helfen“, jammerte Lukas los, kaum dass er meine Stimme vernommen hatte. „Ich hab Stress mit Sophia, Mann, und ich schätze, es wäre gut, wenn du mal mit ihr reden könntest.“
Sophia und Lukas. Ich konnte noch immer nicht ganz fassen, dass die beiden jetzt zusammen waren, aber so war es nun mal. Nachdem ich ins Modelbusiness eingestiegen und klar war, dass ich wirklich in diese Richtung gehen wollte, hatte ich im Klamottengeschäft gekündigt, zu Tanjas Entsetzen und dem Bedauern der Mädchen. Gleichzeitig setzten Layla und Amanda jedoch große Hoffnungen in mich und erwarteten von mir, mich bis nach New York durchzuarbeiten und sie irgendwann mal auf eine glamouröse Modenschau einzuladen, wo sie sich dann an irgendwelche Stardesigner ranmachen wollten, wenn ich das aufgedrehte Gequassel der beiden richtig verstanden hatte.
Sophia hatte bei