Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell

Seit ich dich kenne ... - Jascha Alena Nell


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      „Du bedienst wirklich das Klischee des dummen Models, das nur affig in die Kamera grinst und blöd im Weg rumsteht“, fauchte ich ihn an. „Der Job passt zu dir. Da braucht man kein Hirn, sondern nur Sexappeal. Weißt du was, am besten rufst du Olivia an, die würde auch super in diese Branche passen.“

      „Pah“, Chris schnaubte abfällig, „denk doch, was du willst. Ich jedenfalls finde meinen Job geil. Ich finde mein Leben geil. Und von einer untervögelten Tussi wie dir muss ich mir sicher keine Vorträge anhören. Wenn man keinen Sexappeal hat, muss man sich halt auf sein Hirn verlassen, das tut mir leid für dich ...“

      Weiter kam er nicht, denn ich holte aus und schüttete ihm den Rest meines noch halb vollen Drinks ins Gesicht. Dann sprang ich auf, riss meine Handtasche an mich und stürmte an ihm vorbei, wobei ich ihn absichtlich anrempelte. „Du bist und bleibst ein Arschloch, Waldoff!“, schluchzte ich und ärgerte mich über mich selbst, weil mir Tränen über die Wangen kullerten. Die Jungs johlten, klatschten und riefen irgendwas auf Spanisch, das Model, mit dem Chris hier war, meldete sich besorgt zu Wort und die ganze Strandbar war in Aufruhr. Ich stapfte indes mit gesenktem Blick hinüber zum Tresen, wo eine mitleidig dreinblickende Bedienung mit schwarzen Locken mich abkassierte. Piepsig wünschte ich ihr eine gute Nacht, ehe ich wie ein begossener Pudel davonstolperte. Von den Liegen drangen noch immer Pfiffe und Rufe zu mir herüber, doch ich stellte die Ohren auf Durchzug und beschleunigte meine Schritte.

      „Wenn man keinen Sexappeal hat, muss man sich eben auf sein Hirn verlassen ...“

      „Von einer untervögelten Tussi wie dir muss ich mir keine Vorträge anhören ...“

      Wie in Endlosschleife reihten sich Chris’ gehässige Bemerkungen aneinander, geisterten in meinem Kopf herum und hinderten mich am Einschlafen. Seit Stunden lag ich wach, mittlerweile war es halb zwei vorbei. Ich wusste nicht mal, warum mich diese Sprüche so sehr mitnahmen, schließlich hatte ich immer gewusst, dass Chris ein Arschloch war. Früher hätte ich auf seine Meinung von mir gepfiffen. Ich war ein Jahr allein umhergereist und mit allem fertig geworden, doch jetzt kam dieser Idiot daher und zog mir den Boden unter den Füßen weg.

      Ich hatte keine Ahnung, was ich erwartet hatte. Vielleicht war ich unterbewusst tatsächlich so naiv gewesen zu glauben, wir wären so was wie Freunde. Vielleicht hatte ich wahrhaftig angenommen, die gemeinsame Nacht hätte irgendwas zwischen uns verändert, hätte uns irgendwie zu Vertrauten gemacht. Aber Fehlanzeige. Für ihn war ich nach wie vor die frigide Streberin aus der ehemaligen Parallelklasse.

      Ich rappelte mich schniefend auf, knipste die Nachttischlampe an, tastete mit geschlossenen Augen nach dem Handy und hoffte so sehr, dass eine SMS von Timo eingetrudelt war, hoffte, dass er einen Schritt auf mich zumachte, mir sagte, dass es ihm leidtäte und wir noch mal in Ruhe über alles reden sollten, wenn ich wieder da wäre.

      Aber nichts. Keine neue Nachricht.

      Ich hörte zum wiederholten Mal meine Mailbox ab, doch die Ansage war unmissverständlich: „Sie haben keine neuen Nachrichten ... zum Hauptmenü zurück ...“

      Ich drückte den roten Knopf und sank zurück aufs Kissen. Mein Kopf tat weh und meine Augen brannten vom stundenlangen Weinen. Der Tag heute hatte es wirklich in sich gehabt. Erst der Streit mit Timo, dann der Abschied von Kim und zum Schluss auch noch diese Auseinandersetzung mit Chris. Inzwischen bereute ich, dass ich die Nerven verloren hatte. Ich hätte ihn nicht als dumm darstellen sollen, das war nicht fair gewesen. Alles in allem betrachtet, hatte eigentlich ich den Streit vom Zaun gebrochen, schließlich hatte ich ziemlich gemein darauf herumgehackt, dass er weder surfen noch segeln konnte. Auch wenn das stimmte, ging es mich eigentlich nichts an. Warum musste ich mich nur immer in alles einmischen?

      Zehn Minuten später lag ich immer noch wach, war mittlerweile sogar hellwach und fragte mich, ob ich wohl jemals wieder würde schlafen können. Irgendwie war ich unruhig, eine hibbelige Nervosität hatte sich meiner bemächtigt, meine Füße zuckten ständig unter der leichten Decke und ich konnte nicht still liegen bleiben.

      Ich entschied, Timo eine SMS zu schreiben und dann ein bisschen runter an den Strand zu gehen. Wasser beruhigte und vielleicht würde der Blick aufs Mittelmeer Klarheit in mein innerliche Chaos bringen.

      Bisher hatte ich eigentlich nicht vorgehabt, mich bei Timo zu melden. Ich hatte warten wollen, ob was von ihm kam, ansonsten war mein Plan gewesen, nach meiner Rückkehr in Frieden mit ihm zu reden und vielleicht sogar Schluss zu machen. Doch in diesem Moment war das ein so erschreckender Gedanke, dass er mir regelrecht Angst einjagte. Mich von Timo zu trennen, wäre etwas so Endgültiges, so Einschneidendes. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es sein würde, ihn nicht mehr in meinem Leben zu haben. Wir hatten zusammen so viele Pläne geschmiedet, ohne ihn hatte ich keine Richtung mehr, keinen Antrieb.

      Ich biss mir auf die Unterlippe, öffnete eine leere SMS-Seite und begann, eifrig zu tippen.

      Lieber Timo! Unser dummer Streit tut mir wahnsinnig leid. Ich hätte nicht so auf dich losgehen und dich beleidigen sollen. Das war falsch, ich weiß. All die Dinge, die du mir an den Kopf geworfen hast, ich glaube keine Sekunde lang, dass du das ernst gemeint hast, weil dir sicherlich klar ist, dass ich das, was ich gesagt habe, ebenfalls nicht so meinte. Ich würde dir niemals so wehtun, dafür bist du mir viel zu wichtig. Du magst es vielleicht vergessen haben, aber ich erinnere mich genau an all das, was noch im letzten Jahr zwischen uns war. Du sollst wissen, wie viel es mir bedeutet hat. Ich weiß, dass ich dir mit dem, was ich vorhin gesagt hab, sehr wehgetan habe, und ich nehme alles zurück und möchte mich ehrlich und aufrichtig bei dir entschuld...

      Mittendrin hielt ich inne. Mit einem Mal fragte ich mich, was ich hier überhaupt tat. Wollte ich Timo wirklich mitten in der Nacht eine rührselige Nachricht schicken? Wollte ich, dass er mich morgen anrief und wir über alles redeten, uns wieder versöhnten?

      Mir wurde klar, dass ich es nicht wusste. Außerdem ging mir auf, dass ich all das, was ich in die SMS geschrieben hatte, eigentlich gar nicht Timo sagen wollte, sondern Chris. Es war wirklich zum Mäusemelken.

      „Schluss mit dem Blödsinn, Edda“, wies ich mich selbst streng zurecht, schwang die Beine aus dem Bett, schlüpfte in eine graue Strickjacke, stieg in meine Flipflops, stopfte meinen Zimmerschlüssel in die hintere Hosentasche meiner schwarzen Schlafshorts und machte mich auf den Weg zum Strand.

      Die Flure waren dunkel, lediglich am Treppenaufgang leuchtete ein schwaches Licht. Da ich nicht allzu viel Aufsehen erregen wollte, huschte ich im Stockfinsteren umher, stieß mir mehrfach den Kopf und die Zehen, fluchte leise und schaffte es schließlich durch die Glastür im hinteren Bereich der Anlage, durch die man nur mit Hotelkarte wieder hineinkam.

      Ich schlenderte einen kleinen Weg entlang, überquerte das Gelände mit dem riesigen Spielplatz, den Bootsanlegestellen und dem Schuppen für die Sportgeräte und erreichte schwer atmend den Weg runter zum Meer. Ich blieb stehen, um mir die Schuhe auszuziehen, denn durch die Reibung zwischen dem großen und dem nebenstehenden Zeh entstand bereits eine Blase im Zwischenraum, das musste wirklich nicht auch noch sein.

      Mit den Flipflops in den Händen hopste ich leichtfüßig hangabwärts, die Sterne leuchteten vereinzelt silbrig am dunklen Nachthimmel und der Salzgeruch des Meeres wehte als frische Brise um meine Nase.

      Kaum erhaschte ich den ersten Blick auf das friedlich daliegende Wasser, spürte ich, wie ich ruhiger wurde, mich entspannte. Mein Herzschlag normalisierte sich, der innere Aufruhr legte sich.

      Langsam ging ich aufs Wasser zu, lief ein Stück hinein. Das Nass umspielte sanft meine Knöchel, ich planschte darin herum, wackelte mit den Zehen, legte den Kopf in den Nacken und blickte lächelnd zum Himmel empor. Ich dachte an Südafrika und verspürte einen Stich in der Herzgegend. Einen bittersüßen Schmerz. Wehmütig dachte ich an das halbe Jahr zurück, das ich dort hatte verbringen dürfen. Nirgends war der Sternenhimmel so schön wie über Afrika. Grenzenlose Weite. Ein endloses Himmelszelt.

      Ich dachte an das, was Tayo mir gesagt hatte, als wir uns im Februar verabschiedet hatten: „Denk immer dran, Edda, egal, wo wir sind, egal, wie weit wir voneinander entfernt sind, wir schauen alle in den gleichen Himmel.


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