Kung Fu Toby. H. H. T. Osenger

Kung Fu Toby - H. H. T. Osenger


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gegenseitig an den Kopf warf, zumindest dann, wenn am lautesten geschrieen wurde. In der Wohnung gegenüber wohnte ein junges Pärchen ohne Trauschein zusammen; das wusste er, weil sein Stiefvater darüber immer wieder abfällige Bemerkungen machte. Dennoch hatte Toby den Eindruck, dass sein Stiefvater die junge Frau besonders freundlich grüßte, wenn er ihr im Treppenhaus begegnete. Sein Gruß wurde allerdings immer nur ziemlich spröde erwidert. Ihren Freund nahm der Stiefvater nicht zur Kenntnis. Die zu laute Musik, die manchmal aus der Wohnung gegenüber zu hören war, ergrimmte ihn jedes Mal, aber darüber sagte er der Nachbarin nie auch nur ein Wort.

      Nach dem Essen half Toby seiner Mutter beim Abspülen. Dabei dachte er daran, dass er einmal gesehen hatte, wie er gerne leben würde. Zu Beginn des vorigen Schuljahres hatte er einen neuen Mitschüler bekommen. Der Junge war mit seinen Eltern von Hamburg nach Düsseldorf gezogen. Er hatte einen etwas ulkigen Familiennamen, er hieß Pinnekröger. Das Gelächter war wirklich rekordverdächtig gewesen, als der Name des Jungen zum ersten Mal fiel. Daraus wurde im Nu »Pinkelkröger« und danach »Pinkelkrug« gemacht. Bereits vierundzwanzig Stunden später war der Junge umgetauft in Nachttopf und Kammerpott. Deshalb war der Junge aus Hamburg anfangs einer der Außenseiter gewesen. So hatte er sich mit Toby angefreundet, denn der lachte nicht über den neuen Jungen. Es dauerte nicht lange und der Neue lud Toby zu sich nach Hause ein.

      Toby hatte damals erstaunt festgestellt, dass ein altes Haus nicht unbedingt ein schmutziges und abgewohntes Haus sein musste. Die Pinne-krögers bewohnten eine Villa aus der Gründerzeit auf dem Kaiser-Friedrich-Ring in Oberkassel. Von den vorderen Fenstern blickte man auf den Rhein und die gegenüber liegende Altstadt, nach hinten in einen gepflegten Garten. Die Räume waren groß gewesen und edel möbliert. Alle Oberflächen glänzten, eine Frau in einem schwarzen Röckchen und einer weißen Schürze darüber rannte ständig mit Putzutensilien herum und polierte. Was hatte der Mitschüler doch gelacht, als er sie Frau Pinnekröger nannte, denn er dachte, es handele sich um dessen Mutter. Toby wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass im Hause des neuen Mitschülers Bedienstete für alles sorgten, was so getan werden musste. Köchin und Haushälterin, Putzfrau, Gärtner …

      Das Beste aber waren die Zimmer des Jungen gewesen! Jawohl, die Zimmer, denn er hatte nicht nur eines. Er bewohnte allein das gesamte Dachgeschoss der Villa. Sie hatten vor seinem Fernseher gesessen – er hatte einen Fernseher ganz für sich allein – und hatten Videospiele gespielt. Toby war beeindruckt gewesen, mit welcher Geschicklichkeit der Mitschüler feindliche Krieger besiegte. Mal mit dem Schwert, mal mit Schusswaffen, mal mit den Fäusten, je nach Spiel. Unfassbar, was der Junge alles besaß!

      Er hatte noch etwas, was Toby nicht hatte. Aufgrund des Reichtums seiner Eltern hatte der junge Pinnekröger die Chance, alsbald in der allgemeinen Achtung zu steigen. Er lud bald auch andere Klassenkameraden ein und gab sich in finanzieller Hinsicht großzügig. Und dann sickerte so langsam durch, dass der Vater Pinnekröger in einer der größten Düsseldorfer Firmen der neue Topmanager war. Von da an dauerte es nicht mehr lange, bis der Junge aus Hamburg zu den angesagtesten Leuten in der Klasse gehörte. Genauso schnell war Toby aus dem Kreis seiner Freunde verschwunden.

      Nach dem Abspülen widmete sich Toby am Küchentisch den Schulaufgaben. In seinem Zimmer befanden sich weder ein Tisch noch ein Schreibtisch. Dafür war der Raum zu klein. Eigentlich hatte er im Augenblick keine Lust, diese Pflicht zu erledigen, aber er wusste, dass ihm keine andere Wahl blieb. Schließlich war abzusehen, wann sein Stiefvater nach Hause kam. Er arbeitete in einem Lager als Verwalter und machte für gewöhnlich um vier Uhr Feierabend. Meistens war er dann um halb fünf in der Wohnung angelangt. Wenn dann Toby die Hausaufgaben noch nicht erledigt hatte, gab es als erstes einen Vortrag, dass Toby faul sei und der Schule nicht würdig, auf die ihn sein ach so großzügiger Stiefvater schickte. Zweitens gab er dann vor, Toby helfen zu wollen. Tatsache war aber, dass die Bildung des Mannes bei weitem nicht ausreichte, als dass er hätte verstehen können, was Toby in Naturwissenschaften und Mathematik lernte. Fremdsprachen beherrschte er ohnehin nicht. Also war die »Hilfe« nichts anderes als ärgerliche Zeitverschwendung, die den Aufwand für die Schularbeiten nur erhöhte.

      Toby hatte die schriftlichen Arbeiten eben erledigt, da hörte er, wie die Wohnungstür geöffnet wurde. Der gnädige Herr des Hauses kehrte heim! Toby seufzte und beschloss, für Erdkunde in seinem Zimmer zu lernen. Dazu musste er nur im Lehrbuch nachlesen, was in den folgenden Seiten über Nordamerika stand.

      »Ich bin zu Hause«, hörte er eine laute und etwas zu selbstbewusste Stimme rufen. Die Küchentür wurde geöffnet. Ein Mann von einem Meter neunzig Größe erschien im Türrahmen, mit deutlichem Bauchansatz und dunkelblonden, zurück gekämmten Haaren, die über der Stirn ziemlich dünn waren. Sein Stiefvater hatte irgendwo mal den Satz »Männer mit Stirnglatze sind Denker« gehört. Seitdem gab er diese Binsenweisheit immer wieder breit grinsend zum Besten.

      »Mutter ist im Wohnzimmer«, brauchte Toby nur zu sagen, und der Mann drehte sich um. Da erschien jedoch seine Mutter im Flur, um ihren Mann zu begrüßen. Er küsste sie flüchtig, sie erwiderte den Kuss auf die gleiche Weise. Dann sah Toby, wie er ihr ungeniert an den Busen fasste. Seine Mutter schob die Hand weg und raunte dem Mann in ärgerlichem Ton ein paar Worte zu, die Toby nicht verstand. Er senkte rasch den Blick.

      »Was gibt´s denn Gutes zum Abendessen?«, fragte Paul, der Stiefvater, lauter als notwendig.

      »Von heute Mittag sind noch Nudeln und Soße übrig«, antwortete die Mutter.

      »Sag mal, Nora, ist das alles, was du kochen kannst?«, fragte Paul mit einem Anflug von Verdrossenheit.

      Nora Decker zog ob dieses Vorwurfs gleichfalls eine verärgerte Miene. »Ich kann nur so gut kochen, wie es die Haushaltskasse hergibt.«

      Damit war das Thema beendet. Sobald es um die Finanzen ging, versuchte sein Stiefvater das Gespräch immer in eine andere Richtung zu lenken. Das kannte Toby nur zu gut. Er vermutete, dass seine Mutter Recht hatte, wenn sie glaubte, dass ihr Mann an einem falschen Ort das Geld mit vollen Händen ausgab. Er ließ sich schwer und wichtig am Küchentisch nieder. Im gleichen Moment raffte Toby seine Schulsachen zusammen und stand auf.

      »Hausaufgaben fertig?«, wollte Paul wissen.

      Toby nickte nur. Das schien dem Stiefvater zu knapp zu sein. Einen Moment lang überlegte er, welche Frage er nachschießen könnte. »Welche Klassenarbeiten hast du in letzter Zeit geschrieben?«, wollte er dann wissen.

      »Mathe und Englisch«, antwortete Toby, der leider die Küche noch nicht hatte verlassen können.

      »Welche Noten?«, bohrte Paul weiter nach.

      »Mathe `ne drei«, sagte Toby, ohne den Mann anzusehen. »Englisch ist noch nicht zurück.«

      Paul schüttelte den Kopf und sah dabei an die Zimmerdecke. Er schien in Stimmung für einen Vortrag zu sein. Vielleicht kam es ihm auch nur darauf an, vom Thema Haushaltsgeld und sonstige Finanzen abzulenken. »Heute hat bei uns ein Neuer im Lager angefangen. Ein Junge von achtzehn Jahren. Kein Abschlusszeugnis, nichts gelernt. Dabei ist der Kerl auch noch so doof wie Stroh. Nur stark ist er. Und eine große Klappe hat er. Der wird nicht lange bei uns bleiben, das hab ich gewusst, als ich den das erste Mal heute Morgen gesehen hab.«

      Also wieder diese Tour! Toby verdrehte innerlich die Augen, traute sich aber nicht, die Küche zu verlassen, bevor sein Stiefvater fertig war.

      »Überhaupt wird der es im Leben nicht weit bringen.« Paul gefiel sich offenbar in seinem Monolog. Er hörte sich immer gern reden. »Jedenfalls hat der heute schon einige dicke Fehler gemacht. Von Entschuldigung keine Spur, aber mit einem Kollegen, der schon jahrelang zuverlässig arbeitet, Krach anzufangen, das hat er geschafft.«

      Toby vermutete, dass es sich bei diesem Kollegen um jemanden handelte, der vor seinem Stiefvater kroch und ab und zu mit ihm abends in die Kneipe ging.

      »Eine Niete eben, dieser Kerl. Ich sehe schon kommen, dass du auch eines Tages Hilfsarbeiter wirst. So eine Niete wie der. In Mathe eine drei! Wenn du mal etwas erreichen willst, dann musst du besser werden. Erheblich besser!«

      Nun schaltete sich die Mutter ein. »Eine drei in Mathematik ist gar nicht so schlecht, außerdem ist die Arbeit sowieso schlecht ausgefallen.


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