Kung Fu Toby. H. H. T. Osenger

Kung Fu Toby - H. H. T. Osenger


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noch nicht am Ende. »Und wie steht´s mit den Fremdsprachen?«

      Toby kannte seinen Notenschnitt auswendig. »Englisch zwei plus, Französisch zwei minus.«

      Achselzucken, dann ein großzügiges Abwinken. »Na ja, immerhin. Dann sieh zu, dass du später beruflich irgendetwas mit Sprachen anstellst.«

      Das war´s. Toby war entlassen. Der Stiefvater kümmerte sich um sein Abendessen. Toby ging in sein Zimmer, das mit seinem Bett, einem Kleiderschrank, einem kleinen Sofa und einer Kommode fast ausgefüllt war. Alle Möbelstücke waren alt und abgenutzt. In der Mitte war noch so viel Platz, dass drei Menschen bequem hätten stehen können. Er ließ sich mit seinem Geographiebuch auf das Sofa plumpsen. Bevor er es aufschlug und zu lesen begann, war er einen Augenblick lang versucht, bereits jetzt durch die magische Tür zu treten, wie er es nannte. Aber nein, es war dafür noch zu früh. Er musste erst sicher sein, dass niemand in sein Zimmer kommen und ihn stören würde.

      Der Spätnachmittag wurde zum Abend. Toby aß noch eine Schnitte Brot mit Wurst, dann gesellte er sich zu seinen Eltern ins Wohnzimmer, denn er wollte im dritten Programm den Tatort ansehen. Der war zwar eine Wiederholung, aber er mochte die Filme mit den Kommissaren Ballauf und Schenk von der Kölner Kripo. Zum Glück mochte auch Paul Kriminalfilme, sonst hätte er unter Umständen ein anderes Programm eingeschaltet. Tobys Wünsche wären dann einfach überhört worden. Wenn er seine Lieblingsfilme sehen wollte – Kung Fu-Filme mit Jackie Chan oder Bruce Lee – mussten auf den anderen Kanälen total langweilige Sachen laufen, sonst hatte er das Nachsehen.

      Schließlich wurde es Zeit für die Bettruhe. Wieder in seinem kleinen Zimmer wartete Toby ungeduldig, bis in die Wohnung einigermaßen Stille eingekehrt war. Richtig still war es in diesem Haus allerdings erst spät nachts, manchmal auch nie. Aber schließlich näherte sich der rechte Zeitpunkt. Toby entspannte sich, konzentrierte sich dann, sammelte seine innere Kraft. Die Tür zu durchschreiten war nicht einfach, obwohl er es oft tat. Fast jede Nacht. Denn dann begann sein wirkliches Leben. Er schloss die Augen, öffnete dafür seinen inneren Blick.

      Jetzt war es soweit!

      Die Umrisse der magischen Tür schwebten plötzlich in der Dunkelheit, ihre Konturen waren aus Feuer, das auch über das Türblatt und den Rahmen leckte. Das war nun der Moment, da er jedes Mal seinen gesamten Mut zusammen nehmen musste und seine ganze Kraft. Mit dem Fuß stieß er das Türblatt auf, und als sie langsam und brennend aufschwang, sprang er durch den Rahmen der Tür in jene andere Welt, …

      

      

       Zhaos Gegenwelt

      … und während des Sprungs verwandelte er sich. Er war nicht länger Toby, nun war er Zhao. Zhao, der Kämpfer!

      Endlich! Endlich war er zurück in seiner Welt. In der Welt, die für ihn das einzig lohnende Leben bereithielt. Er sah nicht zurück, er sah sich nur um. Es war dunkel. Es war immer dunkel in Zhaos Welt, weshalb das so war, wusste er nicht. Es spielte auch keine Rolle. Immerhin gab es genug Fackeln, Laternen, Lampions und gusseiserne Becken mit glühender Holzkohle, die das Gewirr der kleinen Straßen und Gassen beleuchteten und in ein ungewisses Zwielicht tauchten. Und dann war da ja auch noch das Lichts des Vollmondes. In Zhaos Welt war der Mond immer voll.

      Dieses Gewirr aus Sträßchen, Gassen und Gässchen war bevölkert von einer unübersehbaren Menschenschar. Viele waren klein und zart gebaut, trugen dunkle Kittel und Hosen und runde Hüte aus Reisstroh. Andere waren in prächtige Gewänder aus Seide gehüllt und trugen schwarze Hüte, die aussahen wie Kästen oder Würfel. Die Armen gingen zu Fuß, die meisten Reichen ebenso, aber sie hatten eine Leibwache aus grimmig blickenden Söldnern um sich herum. Die ganz Reichen ließen sich in Sänften tragen, die von Kriegern umringt waren. Die trugen Rüstungen aus Bambus und Leder, lange und gebogene Schwerter, Lanzen und Pfeil und Bogen. Das waren die sichtbaren Waffen, aber Zhao wusste auch um die Existenz der unsichtbaren Waffen. Die waren gefährlicher. Und über diese Waffen verfügte auch er selbst.

      Aber es gab auch exotischere Gestalten. Da waren die Wilden aus den Steppen des Nordens. Sie ritten auf ihren struppigen, kleinen Ponys durch die Stadt, in Kleidung aus Fell und Pelz gehüllt. Diese Leute schwitzen fast alle, denn ihre Kleidung war für diese Stadt des Südens viel zu warm. Und es gab die Seeleute, die mit ihren Schiffen den Hafen angelaufen hatten. Manche dieser Männer waren schwarz wie Ebenholz, gekleidet in buntes Tuch. Andere waren hellhäutig und blond oder rothaarig, trugen wollene Hosen und Westen aus Leder. All diese Menschen gingen durch die Gassen, auf der Suche nach Geschäftspartnern oder Partnern für die Weiterreise, auf der Suche nach Essen und Trinken, nach günstigen Einkäufen oder lohnenden Verkäufen, nach Vergnügungen.

      Zhao ließ sich mit den Menschen durch die Stadt treiben. Die meisten Gebäude hatten weit überhängende Dächer, die außen leicht nach oben gebogen waren. Er ging an armseligen und elenden Hütten vorbei, an solide gebauten Geschäften, deren Inhaber ihre Waren kunstvoll auf den Veranden dekoriert hatten. Die Paläste der Reichen waren umsäumt von mächtigen Mauern, die sowohl Eindringlinge als auch die lästigen Blicke Neugieriger abhalten sollten. Restaurants lockten mit hell erleuchteten Räumen. Darin sah man Damen, die ihr schwarzes Haar kunstvoll nach oben frisiert trugen. Sie bedienten Menschen, die an niedrigen Tischen auf dem Boden saßen und köstliche Speisen verdrückten. Es gab aber auch üble Spelunken, in deren Inneres man kaum einen Blick werfen konnte. Daraus roch es nach billigem Alkohol und Rauch, der vermutlich von Opium oder anderen Drogen stammte. Zhao ging an dem einen oder anderen Bettler vorbei, für jeden hatte er eine kleine Münze.

      Ein Händler sprach ihn an. »Werter Herr, habt doch die Güte und betrachtet meine Spiegel. Sie sind von erlesenster Qualität und doch nicht teuer. Aber seht selbst!« Der Mann hatte einen dünnen Schnurrbart, dessen Enden bis weit über das Kinn reichten. Er zeigte Zhao ein Grinsen voller Goldzähne. Zhao warf einen Blick auf den Spiegel aus poliertem Metall, den der Händler hoch hielt und betrachtete darin sich selbst. Er war groß, schlank und sportlich. Er hatte das markant gut geschnittene Gesicht eines jungen Kämpfers. Seine Kleidung war schlicht und tiefschwarz. Er sah gut aus. Und er war ein Held.

      »Eure Spiegel sind wirklich prachtvoll«, antwortete Zhao höflich. »Aber egal, wie günstig sie sind, ich benötige keinen.« Und damit ging er weiter. Er hörte noch, dass der Händler ärgerlich vor sich hin grummelte, aber das kümmerte ihn nicht.

      Es war Zeit, die anderen zu finden. Denn in dieser Welt hatte Zhao Freunde. Er traf sie jede Nacht, die er hier verbrachte, und gemeinsam erlebten sie Abenteuer. Wo mochten Weng und Lim sein?

      Er bog in eine kleine Seitengasse ab, in der viele Gewürzhändler ihre Läden hatten. Die ausgefallensten Düfte wehten ihm hier um die Nase. Es roch nach Kräutern und Knoblauch, es roch sauer, süß und scharf. Er bemerkte Düfte, für die ihm keine Namen und keine Bezeichnungen einfielen. Jeder Händler rief ihm zu, er möge sein Geschäft betreten und zu ihm kommen, nur er habe die wirklichen guten Waren, die anderen böten nur billigen Schund feil. Während sich die Geschäftsleute so an Eigenlob und Schimpfkanonaden auf die Konkurrenz überboten, entdeckte Zhao seine Freunde. Der vierschrötige Weng, der ein langes, gerades Schwert am Gürtel trug, prüfte den Knoblauch eines Händlers. Der Händler hatte gerade mit einem Messerchen eine Zehe abgeschält und hielt sie Weng unterwürfig hin, dabei grinste er Beifall erheischend. Der schmale und drahtige Lim stand schmunzelnd daneben und sah zu, wie sein kompakt gebauter Freund die Knoblauchzehe entgegen nahm und hinein biss.

      »Nun sagt selbst, edler Herr«, sagte der Händler, »das ist der beste und frischeste Knoblauch, den Ihr jemals gekostet habt, stimmt es nicht? Er ist zart und dabei doch so aromatisch.«

      Weng kaute mit Genuss, dann fragte er: »Wie viel willst du für drei Knollen haben?«

      Der Händler hob drei Finger, behielt jedoch seine unterwürfige Haltung bei. »Nur drei Dong, edler Herr!«

      Weng machte ein zufriedenes Gesicht und holte einige Münzen aus einer kleinen Tasche, die an seinem Gürtel hing.

      »Macht also im Ganzen neun Dong, edler Herr!«, sagte der Händler, und sein Grinsen wurde noch


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