Täterland. Binga Hydman

Täterland - Binga Hydman


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Das habe ich getan. Die Gruppen Schierhorn und Schneider haben offensichtlich die Genfer Konvention auswendig gelernt und die Gefangenen nach allen Regeln der Kriegskunst in ein Ferienlager in die Sommerfrische geschickt. Natürlich erst nach dem Sie die Gefangenen freundlich gebeten haben, doch bitte keinen Widerstand mehr zu leisten.“ Der Spott in seiner Stimme war unüberhörbar. „Die Gruppe Mikulsky hat ihre Gefangenen überhaupt nicht verhört und dann ein eigenes kleines Kriegsgefangenenlager eröffnet.“ Seine flache Hand hieb mit einem lauten Krachen auf die Tischplatte, so dass ein paar halb volle Gläser einen kleinen Satz machten. „Eine Bewachung, die Verpflegung und eine Unterkunft. Das bedeutet also, Ihre Männer müssen ihr Futter mit dem Feind teilen, der eben noch ihre Kameraden umgelegt hat. Außerdem können Männer, die zur Bewachung von Gefangenen abgestellt werden müssen, nicht kämpfen!“ Maaßen schüttelte den Kopf und blickte den stämmigen SS-Anwärter Erik Mikulsky an, der auf seinem Stuhl immer kleiner geworden war. „Mikulsky, Sie sollten wirklich zur Heilsarmee gehen. In der SS haben Sie absolut nichts verloren.“ Für einen Moment herrschte in den verqualmten Schankraum eine völlige Stille, in der man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Dann seufzte der Untersturmführer gekünstelt und setzte ein breites Grinsen auf. „Es gibt aber auch Gutes zu berichten. Die Gruppe des SS-Anwärters von Amsfeld hat vorgemacht, wie man eine solche Situation angeht und bereinigt.“ Alle Augenpaare im Saal blickten jetzt auf Martin. „Von Amsfeld, Sie stellen in dieser Laienspielgruppe den einzigen Lichtblick dar.“ Maaßen sprang auf, so dass sein Stuhl nach hinten kippte. Dann stemmte er die Hände in die Hüften, und erneut wanderte sein Blick durch die Reihen der Rekruten. „SS-Mann von Amsfeld hat diese verdammten Partisanen scharf verhört. Dann hat er sie durchsuchen lassen und anschließen anständig erschossen.“ Maaßen lachte sichtlich amüsiert. Er war an Martin herangetreten und schlug ihm nach den letzten Worten kameradschaftlich auf die Schulter. „Sie sind mir der Richtige. Diese Partisanen haben deutsche Soldaten getötet und gehörten keiner regulären Armee an. Für solche Mörder darf kein Gesetz gelten oder menschliche Gefühlsduselei. Diese Kerle gehörten an die Wand gestellt.“ Den Rest des Abends feierten die Rekruten bis tief in die Nacht hinein. Martin war schon bald sturzbetrunken. Es war bereits weit nach Mitternacht, als er in seine Stube zurücktaumelte. Erschöpft, aber glücklich ließ er sich in seine Koje fallen. Der Kompaniechef hatte ihn nach der Ansprache im Saal des Mannschaftsheims noch kurz beiseite genommen und ihm mitgeteilt, dass er dafür sorgen würde, dass Martin nach dem Ende der Ausbildungszeit eine Versetzung zur SS-Unterführerschule erhalten würde. „Männer wie Sie braucht die SS. Sie haben bei uns eine große Zukunft vor sich!“ Martin schloss die Augen und war schon eine Minute später eingeschlafen.

      *****

      Der schmale steinerne Niedergang hinunter in die Gruft war seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Dichtes Efeu hatte sich überall auf dem alten, gemauerten Kalkstein ausgebreitet und das Unkraut wucherte aus den Ritzen des brüchig gewordenen Mörtels. Freiherr von Amsfeld wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. In seiner Hand hielt er eine große Heckenschere, mit der er, seit Stunden den dichten Efeubewuchs entfernte. Als er wenig später die ausgetretenen Treppen zu der Gruft herunterging, vermutete er, dass er diesen Raum unterhalb der kleinen Kapelle etwa zwanzig Jahre lang nicht mehr betreten haben dürfte. Die alte schwere Holztür war ebenfalls zugewuchert und die Eisenbeschläge waren verrostet und hatten die Farbe der Holztür angenommen. Der große Schlüssel, den er über viele Jahre in einer kleinen Schatulle in seinem Schreibtisch aufbewahrt hatte, passte und nach anfänglichen Schwierigkeiten ließ er sich schließlich drehen. Ein vernehmbares Knacken, dann das Ächzten der alten Holzbohlen und die schwere Tür öffnete sich quietschend. Moderige kalte Luft schlug ihm entgegen. Es riecht nach Tod, dachte er und betätigte den mit Spinnweben überzogenen Lichtschalter. Zwei mickrige Glühbirnen erleuchteten den mit großen Quadersteinen gemauerten Raum, der sich direkt unterhalb des kleinen Gotteshauses befand. Als einer seiner Vorfahren diesen Raum vor langer Zeit hatten bauen lassen, wollte der damalige Gutsherr hier seine letzte Ruhestätte erhalten, doch daraus wurde nichts. Nach der Fertigstellung stellte man fest, dass der mit großen Granitplatten versehende Boden der Gruft plötzlich um einen halben Meter abgesackte, weil man beim Bau nicht bemerkt hatte, dass unter dem Gebäude eine große Wasserader verlief. Also wurden in dem kalten Gemäuer erst Vorräte und später dann Gerümpel gelagert. Auch jetzt war der etwa sieben Meter lange und fünf Meter breite Raum nicht leer. In der hinteren Ecke stand ein alter Kleiderschrank, dessen linke Tür nur noch durch ein letztes intaktes Scharnier daran gehindert wurde auf den Boden zu fallen. Auf dem Boden lagen eine Unmenge leerer Fässer und Flaschen herum. Während an der langen Wand zu seiner Linken ein Stapel morscher Weinkisten ihrem irdischen Ende entgegengingen. „Was tust du hier?“ Die sanfte Stimme seiner Frau ließ ihn herumfahren. Er hatte sie nicht kommen gehört. „Ich bereite diesen Raum vor“, flüsterte er leise. „Wofür bereitest Du ihn vor?“ fragte sie und flüsterte nun ebenfalls. Er legte die Heckenschere auf eine der maroden Kisten und blickte sie an. „Ich habe einigen Menschen versprochen sie hier für eine Weile unterzubringen.“ Sie schwieg und er fuhr fort. „Es sind ein paar Menschen, die sich vor den Nazis verstecken müssen, um nicht in ein Konzentrationslager eingewiesen zu werden.“ Helene von Amsfeld machte einen Schritt auf ihren Mann zu und ergriff seine Hand. „Das ist gefährlich Paul. Wenn man diese armen Seelen bei uns findet sind wir ebenfalls in Gefahr.“ In ihrem Blick lag keinerlei Vorwurf, sondern ein Anflug von Angst. „Ich weiß meine Liebe, aber wir müssen helfen. Denke an Ursula und denke an das Unrecht, das diese Banditen in unser aller Namen begehen.“ Sie küsste seine Hand und nickte stumm. „Du bist ein guter Mann Paul und ich liebe Dich. Sollte man uns verhaften, würde es mir nichts ausmachen solange wir zusammenblieben.“ Dann drehte sie sich wortlos um und stieg die Treppen hinauf.

      Der Lastkraftwagen holperte die schmale Straße entlang. Die Nacht lag über dem Dorf und in den Häusern waren bereits alle Lichter erloschen. Die Bewohner von Amsfeld schliefen den Schlaf der Gerechten. Als der LKW den kleinen Marktplatz und die Kirche passiert hatte, bog er nach rechts ab und erreichte nach einigen hundert Metern den Hof der Familie von Amsfeld. Die Bremsen quietschten und das Motorgeräusch erstarb. Türen wurden geöffnet und eilige Schritte halten durch die pechschwarze Nacht. Walter Empbusch trat an die Rückseite der Ladefläche heran und schlug die Plane zurück. „Los, alle raus. Macht schnell.“ Leises Stimmengewirr folgte. Dann sprangen mehrere Schatten von der Ladefläche herunter. In dem großen Wohnhaus war jetzt ein Licht zu erkennen. Die Tür öffnete sich und Paul Gerhard von Amsfeld trat aus dem Flur auf die Treppe hinaus. „Mir nach!“, flüsterte er und die kleine Gruppe folgte ihm. Sie erreichten den Niedergang, der in die Gruft unterhalb der kleinen Kapelle führte. Im Inneren hatte der Hausherr in den letzten Tagen versucht, dem fensterlosen Keller ein wenig Wohnlichkeit einzuhauchen. Die alten Kisten, der marode Schrank und die unzähligen leeren Flaschen waren verschwunden. Stattdessen hatte er je zwei schmale Etagenbetten aufgebaut, auf denen je ein Kissen und eine Decke lag. In der Mitte des Raums stand ein alter Esstisch und vier einfache Stühle. Gleich dahinter erkannte Empbusch ein barockes Sofa, das in diesem wenig wohnlich wirkenden Keller irgendwie fehl am Platz wirkte. Direkt daneben erleuchtete eine Stehlampe die unwirkliche Szenerie. Ihr Licht würde aber ausreichen, um diesem Raum etwas wohnlicher wirken zu lassen. Auf der anderen Seite dieser unterirdischen Notunterkunft befand sich ein großes Bücherregal, in das einige Dutzend Bücher gestellt worden waren. Am hinteren Ende der Gruft waren die schweren Bodenplatten entfernt worden. Hinter einer hölzernen Abtrennung befand sich ein Loch im Boden. Empbusch trat an die dunkle Öffnung heran.

      Er bemerkte, dass man hier ein etwa zwei Meter tiefes kreisrundes Loch gegraben hatte, das etwa den Durchmesser einer Schallplatte hatte. Daneben standen gefüllte Eimer mit Wasser. „Ich habe dort unten einen Durchbruch zu einer unterirdischen Wasserader geschaffen. Dieses Loch dient ihnen als Toilette. Der Geruch dürfte sich also in Grenzen halten, da die Exkremente von dem dort unten entlang fließenden Wasser weggeschwemmt werden sollten“, erklärte von Amsfeld, der die fragenden Blicke seiner Gäste bemerkt hatte. Erst jetzt bemerkte er, dass eine Frau unter ihnen war. „Mein Name ist von Amsfeld. Sie werden für einige Zeit meine Gäste sein“. Nacheinander gaben sich die Anwesenden die Hand. Die Frau, eine zierliche Mittdreißigerin mit rotem Haar und Sommersprossen stellte sich als Irmgard Neitzel vor. Die hübsche Frau hatte dem Parteivorstand der SPD in Frankfurt an der Oder angehört und war nach dem Verbot der Partei und der Verhaftung der allermeisten ihrer Genossen


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